Indexierte Familienbeihilfe: Gutachter riet von Beamtenregel ab

Die Indexierung der Familienbeihilfe ist Geschichte. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juni entschieden hatte, dass das ÖVP-FPÖ-Projekt gegen Unionsrecht verstößt, wurden die nationalen gesetzlichen Bestimmungen aufgehoben. Familien, die wegen der Indexierung weniger Familienbeihilfe erhielten, gebührt eine Nachzahlung.

Nun fand aber ein weiteres Detail zur Indexierung seinen Weg an die Öffentlichkeit: Zwei Gutachten hatten sich mit einer umstrittenen Sonderlösung bzw. Ausnahme für Auslandsbeamte beschäftigt. Wegen des EuGH-Verfahrens blieben die Papiere bis zuletzt unter Verschluss. Auf ORF.at-Anfrage übermittelte das Finanzministerium die Gutachten, die nun auch online abrufbar sind.

Eines davon stammt von Michael Lang, Rechtswissenschaftler der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, das andere von Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal. Letzterer erstellte auch jenes Gutachten, mit dem die ÖVP-FPÖ-Regierung die Umsetzung der Indexierung rechtlich argumentierte und vor dem EuGH verteidigte.

Streit wegen Sonderlösung

Das einstige ÖVP-FPÖ-Prestigeprojekt wurde im Oktober 2018 beschlossen, mit 1. Jänner 2019 orientierte sich die Höhe der Familienbeihilfe an den Lebenshaltungskosten des jeweiligen EU-Staates, in dem die Kinder des in Österreich beschäftigten Arbeitnehmers lebten. Für heimische Diplomatinnen und Diplomaten und Beamte und Beamtinnen, die von einem Ministerium oder einer Interessenvertretung ins Ausland entsandt werden, galt eine Ausnahme: Sie bekamen die Familienbeihilfe vollständig ausgezahlt.

Dieser Sonderlösung ging allerdings eine heftige Diskussion voraus. Denn ursprünglich sollte auch diese Gruppe von der Indexierung erfasst werden. Für Auslandsbeamte, deren Kinder in Drittstaaten wohnen, war überhaupt keine Familienbeihilfe mehr vorgesehen. Mit Ende 2018 sollte die entsprechende Bestimmung nämlich auslaufen. Ein Versehen, wie das Außenministerium damals annahm, war das freilich nicht, stand doch in den Erläuterungen explizit, dass man eine „Ungleichbehandlung“ beseitigen wollte.

Gegen diese Bestimmung in der Regierungsvorlage protestierte die Personalvertretung im Außenministerium heftig. Die Pläne würden eine „massive Verschlechterung“ für den auswärtigen Dienst bedeuten, weil viele andere Leistungen an die Familienbeihilfe geknüpft seien. Die damalige FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl kündigte Verhandlungen an – für das Außen-, Familien- und Finanzministerium erstellte Mazal ein Gutachten.

Gutachten im Auftrag der Ministerien

Doch der Jurist, der die rechtliche Basis für die Indexierung lieferte, hielt wenig von einer Ausnahme für Auslandsbeamte. Würde eine solche beschlossen werden, könnte die eigentliche Indexierung der Familienbeihilfe „verwässert“ sowie die „Sachlichkeit und Diskriminierungsfreiheit der Gesamtregelung“ gefährdet werden, schrieb Mazal in seinem Gutachten, das mit 16. August 2018 datiert ist.

Er verwies zugleich auf das Gutachten von WU-Vizerektor Lang, der sich mit der Indexierung des Familienbonus Plus beschäftigte. Aus „gleichheitsrechtlicher Sicht“ äußerte der Experte Bedenken, sollte es zu einer Sonderlösung für Auslandsbeamte kommen. Zudem könnte eine solche die „Tragfähigkeit der unionsrechtlichen Rechtfertigungsgründe“ für die Indexierung beeinträchtigen.

Trotz der ablehnenden Haltung der Experten hatten die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im Familienausschuss den Gesetzesentwurf abgeändert, wodurch es zu einer Ausnahme von der Indexierung für Auslandsbeamte kam. Das geschah am 9. Oktober. Zwei Wochen später beschloss der Nationalrat den neuen Gesetzestext, was zu dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission führte.

Knapp vier Jahre später entschied der EuGH, dass die Indexierung unionswidrig ist. Ob die Sonderlösung Anteil am Urteil hat, ist unklar. Die Regierung argumentierte vor dem EuGH, dass der Staat lediglich seiner Fürsorgepflicht, wie auch Mazal im Gutachten ausführte, gegenüber den Beamtinnen und Beamten nachgekommen sei. Die EU-Kommission hatte zuvor eingeworfen, dass die Sonderlösung eine mittelbare Diskriminierung darstelle und die Argumentationslinie der österreichischen Regierung widerspreche.

Mazal: Politik mit „eigenen Gesetzmäßigkeiten“

Gegenüber ORF.at sagte Mazal, dass die Politik „ihre eigene Gesetzmäßigkeiten“ habe. Es sei nicht unüblich, dass man sich eine Rechtsmeinung einholt, dieser aber nicht folgt. Überrascht habe es ihn jedenfalls nicht, dass man das Gutachten zur Sonderlösung nicht weiter erwähnt hatte. Es handle sich um eine „politische Entscheidung“, so der Experte.

Jurist Franz Marhold von der WU Wien pflichtet Mazal bei: Keine Regierung sei verpflichtet, ein Gutachten zu berücksichtigen. Dennoch sei es „bemerkenswert“, dass sich die Politik auf jenes Gutachten, das die Indexierung verteidigt, „extrem stützte“, das andere über die Sonderlösung „unter den Tisch fallen ließ“.

Marhold hatte sich seit jeher kritisch zur Indexierung der Familienbeihilfe geäußert und sieht sich im Urteil des EuGH bestätigt. „Mir stellte sich die Frage der Sonderlösung freilich nicht, da ich immer schon die Grundsatzfrage – Indexierung – für unzulässig gehalten habe, sodass in meinem Verständnis die Regelung für Auslandsbeamte kein Privileg darstellte, sondern die für alle vorzusehende rechtskonforme Lösung.“