Atomkraftwerk Zaporischschja
Reuters/Alexander Ermochenko
AKW Saporischschja

Ukraine erwartet baldige IAEA-Visite

Nachdem die Lage rund um das weltgrößte und von Russland gehaltende ukrainische Atomkraftwerk bei der südukrainischen Stadt Saporischschja zuletzt weiter eskaliert ist, hofft Kiew auf eine baldige Visite der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Nach Angaben des ukrainischen Betreibers Enerhoatom ist das AKW weiterhin vom ukrainischen Stromnetz abgeschnitten.

Man arbeite daran, zwei Reaktorblöcke wieder an das Stromnetz anzuschließen, teilte Enerhoatom am Freitag mit. Die IAEA-Mission könnte indes nach Worten des ukrainischen Energieministers German Galuschtschenko bereits in den kommenden Tagen anlaufen. „Ein Besuch ist geplant. Wir sprechen von den nächsten Tagen – auf jeden Fall nicht später als Anfang September“, zitierte Reuters am Donnerstag den Minister. Zuletzt waren im AKW Saporischschja noch zwei von insgesamt sechs Reaktoren in Betrieb.

Die Notabschaltung der letzten zwei Saporischschja-Reaktoren war dann auch zentrales Thema der abendlichen Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die IAEA und andere internationale Organisationen müssten viel schneller handeln als bislang, forderte Selenskyj: „Jede Minute, die das russische Militär im Kernkraftwerk bleibt, bedeutet das Risiko einer globalen Strahlenkatastrophe.“ IAEA-Direktor Rafael Grossi bekräftigte seine Bereitschaft, binnen Tagen mit Experten nach Saporischschja zu fahren. Die Lage in und am größten Kernkraftwerk Europas ist seit Wochen undurchsichtig.

Vor dem russischen Angriffskrieg hatte das AKW Saporischschja etwa ein Fünftel des ukrainischen Stroms erzeugt. Das AKW wurde von den russischen Truppen am 4. März eingenommen, also nur acht Tage nach Beginn der Invasion. Seitdem wird das AKW unter russischer Aufsicht weiter vom ukrainischen Personal betrieben. Zuletzt sind auf dem Gelände wiederholt Geschosse niedergegangen. Die Ukraine und Russland geben sich dafür gegenseitig die Schuld.

Satellitenaufnahme von Bränden beim Akw Saporischschja
Sentinel
Satellitenbilder zeigen Brände nahe dem AKW

Betreiber: Brandschäden an Stromleitung

Den Enerhoatom-Angaben zufolge sei das AKW am Donnerstag wegen Brandschäden schließlich komplett vom Netz genommen worden. In den Aschegruben eines nahe gelegenen Kohlekraftwerks seien demnach Feuer ausgebrochen. Diese hätten die Stromleitungen zum AKW beschädigt. „Daher wurden die beiden funktionierenden Reaktorblöcke der Anlage vom Netz getrennt.“ Auch die IAEA in Wien teilte unter Berufung auf Kiewer Informationen mit, dass das Sicherheitssystem zwei laufende Reaktoren abgeschaltet habe.

Es sei „das erste Mal in der Geschichte der Anlage“, dass das AKW Saporischschja komplett vom ukrainischen Stromnetz abgeschnitten sei, wie Enerhoatom via Telegram mitteilte. Die Sicherheitssysteme des Kraftwerkes funktionierten den Angaben zufolge aber weiter normal und es werde daran gearbeitet, einen der Reaktorblöcke wieder ans Netz anzuschließen. Russischen Angaben zufolge sei das bereits am Donnerstag erfolgt. Eine Bestätigung über den Stand der Dinge gibt es bislang nicht.

Laut Enerhoatom werde das Kernkraftwerk weiterhin von einem nahe gelegenen Kohlekraftwerk mit dem für die Kühlung benötigten Strom versorgt. Reuters berichtet indes mit Verweis auf einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter des ukrainischen Energieministeriums, dass die beiden abgetrennten Blöcke zeitweise von Dieselgeneratoren gespeist worden seien. Jeder Block bestehe aus dem eigentlichen Reaktor, einem Kühlsystem und weiteren Komponenten mit drei Dieselgeneratoren aus der Sowjetzeit. Diese könnten jedoch „nicht wochenlang betrieben werden“, sagte eine mit der Sache vertraute Person laut Reuters.

USA warnt vor Umleitung von Strom nach Russland

Das AKW befindet sich nicht weit von der im Jahr 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim entfernt. Enerhoatom vermutet deshalb, dass Russland Saporischschja an das Stromnetz der Krim anschließen will. Eine Warnung Richtung Moskau kam dazu am Donnerstag von den USA. „Um es ganz klar zu sagen: Das Atomkraftwerk und der Strom, den es produziert, gehören der Ukraine“, sagte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel. Jeder Versuch, das Werk von der ukrainischen Stromversorgung zu trennen und in russisch besetzte Gebiete umzuleiten, sei „inakzeptabel“.

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres appellierte bei seinem Besuch in der Ukraine in der vergangenen Woche an Russland, die Anlage nicht vom ukrainischen Stromnetz zu trennen. So wie die USA forderte Guterres zudem die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone rund um das AKW.

Wehrschütz (ORF) zum AKW in Saporischschja

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz meldet sich aus der Ukraine und spricht über die jüngsten Ereignisse rund um das von Russland kontrollierte AKW in Saporischschja.

Derzeit keinen Hinweis auf erhöhte Strahlung

Expertinnen und Experten zufolge ist unklar, wer im Falle einer Atomkatastrophe mit der Bewältigung betraut werden würde. „Wir wissen nicht, was in einer Kriegssituation passiert, wenn wir einen atomaren Notfall haben“, sagte Kate Brown von der US-Universität MIT. Zur Erinnerung: Bei der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 habe die Sowjetunion Zehntausende Menschen, Ausrüstung und Einsatzfahrzeug an den Ort des Geschehens bringen können. Nach Angaben vom Klimaschutzministerium gebe es aktuell keinen Hinweis auf erhöhte Strahlung im Bereich des AKW Saporischschja.

Saporischschja wurde ab 1980 gebaut, der letzte der insgesamt sechs Reaktorblöcke ging 1995 ans Netz. Die Reaktoren werden mit Uran betrieben und mit Wasser gekühlt.

Eine permanente Stromversorgung ist nach Angaben von Expertinnen und Experten für die Sicherheit von Atomkraftwerken essenziell – auch im ausgeschalteten Zustand, denn auch dann müssen diese Anlagen gekühlt werden. Die größte Gefahr bestünde demnach bei einer Unterbrechung der Wasserversorgung. Sollte diese ausfallen und Hilfssysteme wie Dieselgeneratoren nicht in der Lage sein, die Reaktoren abzukühlen, drohe eine Überhitzung.