Die Silberfarbe des Außenanstrichs habe man bisher nur im Raumfahrtzentrum Cape Kennedy verwendet, wusste damals die Programmzeitschrift „HÖRZU“. Die Nähe zur Raumfahrt war durchaus symbolisch zu verstehen und bewusst gewählt. Es war die Zeit der Sputnik- und Apollo-Raumfahrtprogramme, und ein weltweites Weltraumfieber hatte Kunst, Architektur und Design erfasst.
1969 landeten die ersten Menschen auf dem Mond. David Bowie schickte Major Tom für immer in den Weltraum, und ORF-Chefdesigner Erich Sokol und sein Team tauchten den ORF in gleißendes Silber. Die neue „Hausfarbe“ stand für Fortschritt, Technik, Utopie und sollte den modernen ORF der Zukunft repräsentieren.

In coolem technoiden Silber glänzte damals alles, was den ORF nach außen und innen darstellte: Kameras, Dienstkleidung, ORF-Fahrzeuge, der (längste abgeschaffte) ORF-Hubschrauber, Broschüren und eben auch die Architektur. Zusammen mit dem Logo, dem „ORF-Auge", ergab das eine in Österreich bis dahin beispiellose Form des Corporate Design.
Peichl-Torte statt Franziskanerkloster
50 Pieces
Corporate Design für reformierten Rundfunk
Ein reformierter Rundfunk auf dem neuesten Stand der Technik, das war das große Aufbauprojekt von Gerd Bacher, der 1967 an die Spitze des ORF getreten war. Er musste den ORF nicht nur dem Proporz entreißen, sondern auch eine veraltete technische Infrastruktur erneuern beziehungsweise überhaupt erst aufbauen lassen. Mit dem Bau der neuen ORF-Landesstudios wurde Architekt Peichl beauftragt.
ORF-Generalintendant Gerd Bacher für neue Architektur und gegen den Firlefanz
50 Pieces
Für Kritik sorgte die Tatsache, dass ein und dasselbe Baumodell in allen vier Bundesländern realisiert werden sollte. Manche hätten lieber regionale Architekten und Architektur zum Zug kommen lassen. Das war nicht im Sinne Bachers. „Wir wollten mit den Landesstudios ja nicht die Länder repräsentieren, sondern den ORF in den Ländern“, meinte er dazu 2005 gegenüber dem ORF-Zeitgeschichte-Experten Andreas Novak. So viel Selbstbewusstsein brach auch auf der symbolischen Ebene mit den Gepflogenheiten des Proporzes.
Am Ende musste auch Bacher an den Marterpfahl
50 Pieces
Buchhinweis
Andreas Novak, Oliver Rathkolb: Die Macht der Bilder, Kral Verlag 2017.
Aufregung um Landesstudio Salzburg
In Bachers Heimatstadt Salzburg gingen die Wogen besonders hoch. Dass Peichl und der ORF Major Toms Raumschiff gerade im Nonntal zu Füßen der Festung Hohensalzburg landen ließen, ärgerte die Traditionalisten. Auf dem fröhlich-expressiven Studioneubau, mit dem sich der reformierte ORF zum ersten Mal architektonisch selbst darstellte, ruhten die Argusaugen des Stadtvereines Salzburg, der sich die Bewahrung des Stadtbildes zum Ziel gesetzt hatte.
Es war ausgerechnet der Silberanstrich im Corporate-Design-Stil, der knapp vor der Fertigstellung ins Visier der Stadtbildschützer und -schützerinnen geriet. Nur 14 Tage vor der Eröffnung rückten Architekt Peichl, der Vizebürgermeister von Salzburg höchstpersönlich und ein Baubeamter des Magistrats Salzburg aus, um an Ort und Stelle zu klären, ob der Anstrich fortgesetzt werden könne. Er konnte.
Tausende stürmen das Landesstudio: Architekt Peichl stellt sich
50 Pieces
„Studios fürs Jahr 2000“
Die Programmzeitschrift „HÖRZU“ lobte zumindest die „hellen, farbenfrohen Büroräume“ in der sonst etwas bespöttelten „silbergrauen, supermodernen Aluminiumschöpfung“. Diese knüpfte an die Tradition der klassischen Moderne an. Freiliegende technische Elemente ließen die Funktion der Gebäude deutlich hervortreten. Ihre ästhetische Aufwertung fand historische Vorbilder in der Technikfaszination des Futurismus und fügte sich nahtlos in die silberne Technoästhetik des ORF-Corporate-Design.
Darüber hinaus war blitzendes Aluminium der Baustoff der Stunde. Und mit der witzig-ironischen Konnotation von Bauteilen ragte Peichls Entwurf weit über eine nur funktionelle Moderne hinaus. Peichl gehörte der Architektengeneration von Hans Hollein, Günther Domenig und Haus-Rucker-Co an. Bei Peichls Landesstudios erinnerten die Ausblasöffnungen der Außenwände an Kanonen und Schießscharten – dieses ironisch-martialische Detail entsprach wohl auch Bachers kämpferischem Selbstverständnis.
„Das Studio fürs Jahr 2000“ nannte es „HÖRZU“. Der wohl ironisch gemeinte Titel traf aber den Kern der Bacher-Reformen. Die Studios sollten optisch in die Zukunft weisen und den ständig wachsenden Anforderungen eines modernen Studiobetriebes Genüge tun. Peichls Entwurf sah einen zentralen Empfangsraum vor, um das sich Kreissegmente unterschiedlicher Größe flexibel gruppierten. Diese Segmente der „Peichl-Torten“ sollten für künftige Erweiterungen ausbaubar sein.
Fernsehausbau in Bundesländern
Zunächst einmal sollten die silberglänzenden Studios dem damals schnell wachsenden Fernsehen Raum bieten. Die tägliche Bundesländersendung um 19.00 Uhr wurde im selben Jahr eingeführt und stand in der Publikumsgunst bald ganz vorne. Anfang 1974 erreichte die Anzahl der Zuschauer und Zuschauerinnen erstmals die Zweimillionengrenze. Das ORF-Jubiläumprojekt „50 Pieces“ versammelt ein Best-of dieser Österreich-Bilder aus dem Gründungsjahr 1972.
Ein Polizist ahndet „Anstandsverletzungen“ in Linz
50 Pieces
Preise für Architekt und Bauherrn
Für Architekten Peichl begründete der Bau der vier Landesstudios seinen internationalen Durchbruch. Schon 1971, noch in der Bauphase, hatte er mit Hinweis auf die Studiobauten den Großen Österreichischen Staatspreis für seine „menschbezogene, technisch-funktionelle Architektur“ bekommen. 1975 folgte der Reynolds Memorial Award, der damals bedeutendste US-amerikanische Architekturpreis.

Die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs zeichnete den ORF für die Landesstudios mit dem Preis als "Bester Bauherr“ aus. Und für sein Corporate Design, das eine klar nach außen hin erkennbare Identität schuf, wurde dem ORF noch 1980 eine besondere Ehre zuteil. Die Rundfunkanstalt wurde als einziger österreichischer Teilnehmer zur Linzer Schau „Design ist unsichtbar“ eingeladen, bei der sich das Who’s who der internationalen Design- und Architekturwelt die Klinke in die Hand gab.