Gefahrenschild „Hochspannung!“ an einem Zaun
ORF.at/Christian Öser
Wien Energie

Mechanismen hinter dem Finanzdilemma

Wien Energie braucht Milliarden: Was Sonntagabend erstmals publik wurde, konkretisierte sich im Laufe des Montags zusehends. Laut Finanzministerium braucht das Unternehmen weitere sechs Milliarden Euro an Finanzhilfe. Wien Energie sprach in einer Aussendung von Garantien, die „unvorhergesehen“ angestiegen seien. Eine Rolle spielen dabei auch Stromverkäufe durch das Unternehmen.

Was vergangene Woche an den europäischen Energiemärkten passierte, ließ so manchem Beobachter den Mund offen stehen. Innerhalb kurzer Zeit stieg zuerst der Gaspreis auf ein neues Hoch, dann zog der Strompreis nach. Am Freitag stieg er auf Werte über 1.000 Euro pro Megawattstunde. Spätestens jetzt wurde es für die Wien Energie (zu) eng. Infolge des „explodierenden Strompreises“ hätten „sich die erforderlichen Kautionen für bereits getätigte Geschäfte in der Zukunft vervielfacht“, hieß es Montagmittag in einer Aussendung der Wien Energie – einen Tag nachdem bekanntgeworden war, dass das Unternehmen wohl staatliche Hilfen benötigt.

Montagnachmittag verwies das Finanzministerium dann auf einen Brief, den Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) an den Bund geschrieben habe. Hanke habe mitgeteilt, dass die Stadt Wien noch 1,75 Milliarden für Garantien zur Verfügung stellen könne. Darüber hinaus wären aber noch weitere sechs Milliarden Euro nötig – zwei Milliarden davon bis spätestens Dienstagmittag. Könnte Wien Energie diese Summe nicht aufbringen, drohe der unmittelbare Ausschluss vom Börsenhandel. Am Abend hieß es dann seitens der Stadt Wien, das Geld sei „wegen des verrückten Strommarkts“ doch nicht mehr so kurzfristig nötig.

Battisti (ORF) zur Finanznot der Wien Energie

Barbara Battisti, Leiterin des ZIB-Wirtschaftsressorts, ordnet die Finanzturbulenzen der Wien Energie ein. Der Energieversorger Wien Energie benötigt sechs Milliarden Euro vom Staat. Es besteht keine Gefahr, dass Kunden ohne Strom bleiben.

Börse lässt sich Termingeschäfte absichern

In Probleme haben die Wien Energie augenscheinlich Termingeschäfte an der Strombörse gebracht. Ein Verkäufer bietet dort Strom für einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem bestimmten Betrag pro Megawattstunde an. Eine Käuferin stimmt diesem in der Zukunft liegenden Geschäft zu. Zur Absicherung müssen Käuferin und Verkäufer bei der Börse Sicherheiten hinterlegen. Mit diesen sollen Preisschwankungen ausgeglichen werden, die im Falle eines Vetragsausfalls für die Käuferin beziehungsweise den Verkäufer relevant werden könnten.

Am besten lässt sich das an einem – vereinfachten – Beispiel zeigen: Ein Termingeschäft von Anfang des Jahres sah vor, dass zwölf Monate später eine Megawattstunde Strom für 100 Euro gehandelt wird. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob das dann unter oder über dem aktuellen Tagespreis liegt, mussten Verkäufer und Käufer eine Sicherheit – Margin genannt – hinterlegen. Diese berechnet die Börse aufgrund der vermuteten Schwankungen beim Preis.

Stromverkäufe als Akutproblem?

Verändert sich der Preis nun in der Folge stärker als erwartet, müssen entweder Käufer oder Verkäufer bei den Sicherheiten nachbessern. Dabei gilt ganz generell: Bei sinkenden Marktpreisen muss der Käufer die Margin erhöhen, bei steigenden Preisen der Verkäufer. Dahinter steht die Idee, dass beim Ausfall eines der beiden Vertragspartners, die Börse den anderen schadlos halten kann.

Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: In den zwölf Monaten seit Abschluss des Termingeschäfts stieg der tagesaktuelle Strompreis auf die fünffache Höhe des vereinbarten Preises. Wenn nun der Verkäufer nicht liefern kann, muss die Börse den Strom zum hohen Tagespreis kaufen, ihn aber zum ursprünglich vereinbarten Preis an den Käufer weitergeben. Die Differenz von 400 Euro muss durch die Margin abgesichert sein, die deshalb laufend angepasst wird. Das so gebundene Kapital erhält der Verkäufer zurück, wenn das Geschäft wie geplant über die Bühne geht.

Wenn nun Wien Energie von stark gestiegenen Sicherheiten auf – bereits getätigte – Termingeschäfte spricht, ist davon auszugehen, dass sie dabei die Verkäuferin ist. Mit anderen Worten: Wien Energie hat – in der Vergangenheit – Termingeschäfte über den Verkauf von Strom abgeschlossen. Und muss nun angesichts explodierender Strompreise die Sicherheiten dafür stark aufstocken.

Noch unbeantwortete Fragen

Handelte es sich dabei um ein Vorgehen, um möglichst große Planbarkeit zu erhalten, wie es vonseiten der Wien Energie hieß. Oder wurde vom Unternehmen auf fallende Strompreise gesetzt, wie es etwa der Ökonom Stefan Schulmeister in den Raum stellte. Eine solche Deutung wies der Wien-Energie-Aufsichtsrat Peter Weinelt im Ö1-Interview allerdings zurück und machte die Dysfunktionalität der Märkte dafür verantwortlich. Auch Finanzstadtrat Hanke wies Spekulationen seitens der Wien Energie im „Wien heute“-Interview „absolut zurück“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Details, welche Geschäfte genau von den nun gestiegenen Sicherheitszahlungen betroffen waren, blieben Wien Energie und ihr Eigentümer die Stadt Wien am Montag allerdings schuldig. Auch eine entsprechende Anfrage von ORF.at bei Wien Energie blieb bisher unbeantwortet.

Stadtrat Hanke über die Lage der Wien Energie

Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) nahm im Interview unmittelbar vor der ZIB2 zu den Vorgängen rund um Wien Energie Stellung.

Für Verwunderung sorgte auch, dass die nun kolportierten Liquiditätsprobleme so kurzfristig publik gemacht wurden. Dass die Probleme „unvorhergesehen“ gewesen wären, sei „schwierig vorzustellen“, sagte etwa der ehemalige E-Control-Chef und nunmehrige Berater des Klimaschutzministeriums, Walter Boltz, im Interview mit ORF III.

Walter Boltz zu Wien Energie

Auch Folgen für Einkäufe

Die jetzt schlagend gewordenen Steigerungen bei den Sicherheitszahlungen haben also wohl primär mit Terminverkäufen zu tun. Das heißt aber nicht, dass Wien Energie nicht auch bei – künftigen – Einkäufen mit höheren Garantien konfrontiert ist. Die sechs Milliarden Euro an Finanzbedarf, von denen das Finanzministerium am Montag sprach, dürften auch für solche Sicherheiten auf längerfristige Energieeinkäufe nötig sein.

Das könnte in Zukunft auch andere Energieanbieter betreffen. Wenngleich es am Montag noch von den anderen Unternehmen in Landesbesitz hieß, man sehe keine mit der Wien Energie vergleichbaren Probleme. Begründet wurde das von mehreren Energieversorgern auch damit, dass man selbst – anders als Wien Energie – längerfristige Geschäfte nicht über die Börse abwickle.

Tatsächlich läuft ein Großteil des Energiehandels hierzulande über „Over the counter“-Geschäfte ab. Dabei handelt es sich um direkte Geschäfte zwischen Käufer und Verkäufer ohne dazwischen geschaltete Börse. Dort können zwar auch Sicherheiten fällig werden, das machen sich die Vertragsparteien aber untereinander aus.

In Wien rechnet man dennoch damit, dass in Zukunft auch andere Energieunternehmen Hilfe bei den Garantien brauchen könnten. Weshalb sich die Bundeshauptstadt am Montag auch für einen bundesweiten Schutzschirm aussprach. Ein solches Netz könne bis zu zehn Milliarden Euro betragen, so Finanzstadtrat Hanke. Und er verwies darauf, dass es solche Modelle in der Schweiz und Deutschland bereits gebe.