Pamela Rendi-Wagner im Sommergespräch
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

Rendi-Wagner ortet Koalitionsversäumnisse

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat das ORF-„Sommergespräch“ am Montag dazu genutzt, der Regierung von ÖVP und Grünen Versäumnisse in der Bekämpfung der Teuerung und der Inflation, aber auch beim Klimaschutz vorzuwerfen. Für die finanzielle Schieflage der Wien Energie machte sie den „nicht mehr funktionierenden“ Strommarkt verantwortlich – auch hier ortete die SPÖ-Chefin Versäumnisse der Koalition. Fragen nach möglichen Fehlern der SPÖ-geführten Stadt Wien wehrte sie ab.

Im Gespräch mit dem Moderationsduo Tobias Pötzelsberger und Julia Schmuck bekräftigte Rendi-Wagner ihren Fünf-Punkte-Plan gegen die Teuerung. Wirksame Maßnahmen müssten „schleunigst“ umgesetzt werden. Unterstützungsleistungen seien die eine Sache, diese würden aber schnell ihre Wirksamkeit verlieren, deshalb brauche es auch preisdämpfende Maßnahmen wie eine Spritpreisobergrenze. Dass eine solche – wie in Ungarn oder Kroatien – zu geschlossenen Tankstellen führe, glaubt die SPÖ-Chefin nicht.

Rendi-Wagner beklagte, dass die Regierung oft erklärt habe, wieso die SPÖ-Vorschläge nicht funktionieren würden, um sie dann später – siehe Strompreisdeckel – doch in Angriff zu nehmen. Dabei würden aber wertvolle Monate verstrichen sein, in denen „Menschen sehr viel bezahlt haben“.

Benzinpreis soll gedeckelt werden

Die von der Regierung im Rahmen der ökosozialen Steuerreform geplante CO2-Bepreisung will die SPÖ-Chefin so lange verschieben, bis die Inflation nicht mehr weiter steigt, mindestens aber bis Ende des Jahres. Diese hätte schließlich bei der aktuellen Inflation ohnehin keinen Lenkungseffekt, wäre aber eine weitere Belastung, so ihre Argumentation.

CO2-Bepreisung erst bei Rückgang der Inflation

Gegen „reine Symbolpolitik“

Auch beim Klimaschutz geht es für Rendi-Wagner – trotz grüner Beteiligung in der Regierung – zu langsam: Der Ausstieg aus fossiler Energie und der Ausbau der Erneuerbaren müsse schneller passieren, monierte die SPÖ-Chefin. Auf das Energieeffizienzgesetz, das zumindest auf den Weg gebracht wurde, und auf das Klimaschutzgesetz warte man immer noch.

Zum Streit über den Lobautunnel und die Stadtstraße in Wien meinte die SPÖ-Politikerin, man dürfe Menschen und Themen nicht gegeneinander ausspielen. Es müssten Lösungen gefunden werden, die sozial leistbar, klimafreundlich und für die Anrainer verträglich seien: „Für reine Symbolpolitik auf Kosten der Bürger stehe ich nicht zur Verfügung.“

Wien Energie: Strommarkt „außer Rand und Band“

Die von der SPÖ geführte Stadtregierung verteidigte Rendi-Wagner auch bei anderen Themen, allen voran bei der Frage der Milliardenhilfe für Wien Energie. Da machte sie einerseits die Turbulenzen am Strommarkt, aber auch Versäumnisse der Bundesregierung für die Lage verantwortlich: „Der europäische Strommarkt funktioniert einfach nicht mehr in dieser Krise“, sagte sie. Das Merit-Order-Prinzip müsse auf europäischer Ebene ausgesetzt werden oder hätte schon ausgesetzt werden müssen. Der Markt sei „außer Rand und Band“. Dagegen habe die Regierung aber in den vergangenen Monaten mehrfach gestimmt, so Rendi-Wagner.

Causa Wien Energie: „Merit-Order-System gehört ausgesetzt“

Sie wisse erst seit „gestern“, dass Wien Energie so viel Geld für Finanzgarantien brauche. Jedenfalls müssten alle Energieversorgungsunternehmen Strom für die nächsten zwei, drei Jahre im Voraus kaufen können, daher hätten Deutschland oder die Schweiz schon Lösungen für solche. Dringend brauche es solche Sicherheitsgarantien für Energieunternehmen auch hierzulande. Die SPÖ-Chefin gab an, dass ihre Partei das in den vergangenen Monaten auch schon mehrfach gefordert hatte. Allerdings: Eine große Debatte darüber hatte es in Österreich dazu nicht gegeben, wie auch Pötzelsberger beim Interview einwarf.

Auch andere Energieanbieter vor Turbulenzen?

Als größten Stromanbieter Österreichs, der noch dazu mit wenig Eigenproduktion die größte Abhängigkeit von Stromkäufen habe, wäre Wien Energie quasi das erste Opfer, argumentierte Rendi-Wagner und deutete an, dass auch weitere Energieanbieter demnächst in finanzielle Schieflage geraten könnten. Sie verwies zudem auf die entsprechenden EU-Pläne zur Reformierung des Strommarktes. Diese würde es kaum geben, wenn es das „alleinige Problem der Wien Energie wäre“, so Rendi Wagner. Dass die Stadt Wien 700 Millionen zugeschossen hat, ohne das öffentlich zu machen, wollte die SPÖ-Politikerin nicht als Fehler oder Versäumnis qualifizieren.

Auch andere Energieversorger in Finanznot?

Wiener Gebührenerhöhung verteidigt

Auch dass die SPÖ-geführte Wiener Stadtregierung die Gebühren erhöhe, während die Bundespartei die Regierung wegen fehlender Antiteuerungsmaßnahmen kritisiert, verteidigte die Oppositionspolitikerin: Auf den ersten Blick passe das nicht gut zusammen, räumte sie ein. Allerdings würden Gebührenvergleiche zeigen, dass andere wesentlich höhere Gebühren hätten. Und Wien würde zudem für Unterstützungsmaßnahmen gegen die Teuerung sechsmal soviel ausgeben, wie man durch Gebühren einnehme, sagte Rendi-Wagner.

Teuerung und Gebührenerhöhung in Wien

Migrationsthema als Ablenkungsmanöver?

Keinen akuten Handlungsbedarf sieht die SPÖ-Chefin bei der Migrationspolitik: Derzeit seien etwa so viele Menschen in der Grundversorgung wie vor der Flüchtlingskrise 2015. Sie ortet eher ein Ablenkungsmanöver: Es sei „auffällig“, dass die ÖVP das Thema Migration und Asyl immer dann aufs Tapet bringe, wenn die Umfragewerte schlechter würden oder eine wichtige Landtagswahl anstehe. Zudem meinte sie, dass weder Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) noch sein Vorgänger, der jetzige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), viel getan hätten, um das Flüchtlingsthema in den Griff zu bekommen. Das sei reine „Symbolpolitik“ auf Kosten von „rechtswidrig abgeschobenen Kindern“, sagte sie mit Verweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes im Fall Tina.

Zu Asyl und Migration: Lage nicht dramatisch

Die angesichts der gestiegenen Energiepreise zuletzt in Diskussion geratenen Sanktionen gegen Russland bezeichnete Rendi-Wagner als „notwendig“, Europa müsse geeint auftreten gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Allerdings müsse man diese infrage stellen, „wenn sie nicht mehr wirksam sind“. Neben den Sanktionen müsse Europa aber auch Anstrengungen unternehmen für Friedensverhandlungen, eine militärische Lösung könne nicht das Ziel sein. „Es muss immer Raum für Dialog und Frieden geben.“

Keine Festlegung auf Koalitionspräferenzen

Nicht festlegen wollte sich Rendi-Wagner in Sachen Koalitionspräferenzen. Der ÖVP würde nach 25 Jahre durchgehend in Regierungsverantwortung die Oppositionsrolle für einen Erneuerungsprozess „guttun“, meinte die SPÖ-Chefin. Dennoch wollte sie sich nicht festlegen, ob sie eine Ampelkoalition mit Grünen und NEOS oder eine Große Koalition mit der ÖVP – beide Varianten wären laut derzeitigen Umfragen möglich – vorzieht, die Wählerinnen und Wähler hätten am Wahltag das letzte Wort. Und wie die Mehrheiten in zwei Jahren sind, wenn regulär das nächste Mal gewählt wird, müsse man abwarten.

Koalitionsformen: Rendi-Wagner hält sich alles offen

Allerdings sprach sich Rendi-Wagner auch im „Sommergespräch" – trotz der derzeitigen Krise – für Neuwahlen aus. Grundsätzlich sei es nicht wünschenswert, in Zeiten der Krise mit Neuwahlen Instabilität zu erzeugen. Andererseits brachte die SPÖ-Politikerin einen „Reformstau“ ins Spiel, die Koalition sei instabil und agiere vor allem nach „Zurufen aus den Bundesländern“. Insofern sei ein „Ende mit Schrecken“ besser als „ein Schrecken ohne Ende“.

Richtiger Zeitpunkt für Neuwahlen?

Als Spitzenkandidatin in die nächste Wahl

Bei der nächsten Wahl werde sie als Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten ins Rennen gehen, das sei Tradition, dass der oder die Parteivorsitzende diese Rolle übernehme. Als „Krisengewinnerin“ nach den Turbulenzen der ÖVP und dem Abgang von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus der Politik will sich Rendi-Wagner nicht sehen, obwohl genau zu diesem Zeitpunkt die Umfragedaten der SPÖ wieder in die Höhe gingen. Politischer Erfolg falle „nicht vom Himmel“, Vertrauen müsse man sich hart erarbeiten: „Von nichts kommt nichts.“

In Sachen Bundespräsidentenwahl findet es Rendi-Wagner schade, dass zum derzeitigen Zeitpunkt nur männliche Kandidaten antreten werden. Die SPÖ-Entscheidung, selbst keine Kandidatin aufzustellen, verteidigte sie. Alexander Van der Bellen habe eine tadellose Amtsführung gezeigt, hätte die SPÖ jemanden ins Rennen geschickt, hätte es dafür – zu Recht – Kritik gegeben, glaubt Rendi-Wagner.

ZIB2-Analyse: „Eigenartiger Umgang mit so einer Krise“

In der Analyse des „Sommergesprächs“ in der ZIB2 fand es „Krone“-Journalistin Doris Vettermann „bemerkenswert“, dass weder von Rendi-Wagner noch von den Akteuren in Wien ein Eingeständnis eines Fehlers gekommen sei. Das sei ein „eigenartiger Umgang mit so einer Krise“. Für Politologen Peter Filzmaier habe das Thema Wien Energie Krisenpotenzial wie seinerzeit der BAWAG-Skandal. Zudem stürze aber auch die SPÖ-Erzählung ab, nämlich die „Betonung mehr Staat ist gut, um die Krisen zu bewältigen“, und wo die SPÖ Verantwortung hätte, funktioniere das auch besonders gut.

Analyse des „Sommergesprächs“ mit Pamela Rendi-Wagner

Das überraschende Milliardenloch bei der Wien Energie im rot regierten Wien war auch großes Thema im ORF-„Sommergespräch“ mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Politologe Peter Filzmaier und Doris Vettermann von der „Kronen Zeitung“ analysieren.

Auch die Wiener Gebührenerhöhung sei schwierig bis gar nicht zu argumentieren, verwies Vettermann auf ein zweites Thema, das für Rendi-Wagner „sicher nicht angenehm“ gewesen sei. Dass die SPÖ-Chefin im „Sommergespräch“ keine neuen Lösungsvorschläge etwa gegen die Teuerung gebracht hätte, ist für Filzmaier „rein kommunikationsstrategisch“ schlau: Mit der Kritik bekomme sie sicher viel Zustimmung, bei einzelnen Lösungsvorschlägen vielleicht nicht mehr.