ein Verhandler spricht mit einem Mitglied der palästinensischen Terroristen
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Olympiaattentat 1972

Als in München Terror auf Unfähigkeit traf

Die Olympischen Sommerspiele in München 1972 sollten – 36 Jahre nach den von den Nazis für Propaganda missbrauchten Olympischen Spiele in Berlin und 27 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – ein unbeschwertes Ereignis auf deutschem Boden werden. Zehn Tage nach der Eröffnung wurde die Heiterkeit vom Einbruch einer neuen Dimension des internationalen Terrorismus verdrängt. Verdrängt wurde auch danach vieles.

In der Früh des 5. Septembers kletterten acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“, die bei den Vorbereitungen von deutschen Neonazis unterstützt worden waren, über den Zaun ins olympische Dorf. Begünstigt wurde das durch die Sicherheitsvorkehrungen, die bewusst locker gehandhabt worden waren, um der Welt ein friedliches Deutschland zu präsentieren. Konkrete Warnungen des Verfassungsschutzes vor einem Anschlag im Vorfeld wurden ignoriert, wie Jahrzehnte später publik wurde.

Die Palästinenser drangen in das Quartier der israelischen Mannschaft ein, erschossen Ringer-Trainer Mosche Muni Weinberg, Gewichtheber Josef Romano ließen sie verbluten. Neun Israelis hielten sie als Geiseln. Die Geiselnehmer verlangten zunächst die Freilassung von 232 Palästinensern und des japanischen Terroristen Kozo Okamoto aus israelischer sowie der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft. Israels Regierung unter Ministerpräsidentin Golda Meir lehnte eine Freilassung ab.

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Luftaufnahme des olympischen Dorfes in München
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Das olympische Dorf in München war zur Unterbringung der Sportler und Sportlerinnen und der Medienleute entstanden
Luftaufnahme des Olympiapark in München
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Zwei Milliarden D-Mark (rund eine Mrd. Euro) hatte es gekostet, um die Infrastruktur der Stadt zu erneuern, die Wettkampfstätten zu erbauen und die Spiele zu organisieren
zwei Polizisten blicken auf die Unterkünfte der Sportler im olympischen Dorf in München
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Dass im Vorfeld immer wieder Bezüge zu den von Nazi-Propaganda geprägten Spielen 1936 hergestellt würden, war den Organisatoren klar. Mit Gelassenheit wollte man dem entgegenwirken.
zwei Polizisten klettern über Balkone auf das Dach eines Gebäudes im olympischen Dorf in München
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Alles war exakt vorbereitet – nur die Sicherheitsvorkehrungen wurden vernachlässigt, die nur spärlich bewaffnete Polizei versah ihren Dienst in Trainingsanzügen
zwei Polizisten am Dach eines Gebäudes im olympischen Dorf in München
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Ein schrecklicher Fehler, wie sich in den Morgenstunden des 5. September erweisen sollte
zwei Polizisten im Gespräch mit einem der palästinensischen Terroristen
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Acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ kletterten unbehelligt über den Zaun ins olympische Dorf und drangen in das Quartier der israelischen Mannschaft vor. Die Gruppe brachte elf israelische Sportler in ihre Gewalt, zwei davon wurden gleich zu Beginn der Geiselnahme getötet.
Polizisten beim Zurückhalten von Schaulustigen vor dem olympischen Dorf in München
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Die Polizei belagerte den Tatort, laufend gab es Verhandlungen und neue Ultimaten. Politiker und Olympiafunktionäre boten sich als Ersatzgeiseln an – die Terroristen gingen nicht darauf ein.
Helikopter bei der Landung im olympischen Dorf in München
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Nach mehrstündigem Nervenkrieg ließen sich die Terroristen am Abend mit Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck bei München fliegen. Über Radio und Fernsehen hatten sie zuvor mitbekommen, dass eine Befreiungsaktion geplant war.
Helikopter mit Terroristen und Geiseln verlässt das olympische Dorf in München
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Der Befreiungsversuch der bayrischen Polizei auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck hätte schlimmer nicht laufen können: Am Ende waren alle neun israelischen Geiseln und ein deutscher Polizist tot, zudem fünf Terroristen
durch Selbstmordattentat eines Terroristen zerstörter Helikopter am Flugplatz Fürstenfeldbruck
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„Die Deutschen wollten Spiele ausrichten, die beweisen, dass sie inzwischen anders waren als damals in Berlin, 1936. Heiterer, lässiger. Ihr eigenes Image und ihre Selbstvergewisserung war den Gastgebern wichtig, fatalerweise wichtiger als der Schutz ihrer Gäste“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ vor dem 50. Jahrestag des Attentats.
junge Israelis protestieren und fordern ein Ende der olympischen Spiele 1972
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Als die Tragweite der Tragödie an die Öffentlichkeit kam, wurden unter anderem in Israel Forderungen nach einem Abbruch der Spiele laut
der damalige IOC-Vizepräsident Willi Daume begründet vor der Presse die Fortsetzung der Spiele
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Willi Daume, Präsident des Organisationskomitees, wies die Forderung bei einer Trauerfeier am zwölften Tag der Spiele im Olympiastadion zurück: „Es ist schon so viel gemordet worden – wir wollten den Terroristen nicht erlauben, auch noch die Spiele zu ermorden.“
Gedenkfeier für die getöteten israelischen Geiseln bei den olympischen Spielen 1972
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Berühmt wurde aber vor allem der Ausspruch von IOC-Präsident Avery Brundage: „The games must go on." Und so geschah es auch. Ob es richtig war, die Spiele fortzusetzen, ist bis heute umstritten.

Dilettantismus und Überforderung

Was in den Stunden danach folgte, war eine Sammlung von Unfähigkeit und Überforderung der Behörden und unerklärlichem Dilettantismus. In zermürbenden Verhandlungen stellten die Attentäter immer wieder neue Ultimaten, Versuche, zu den Geiseln vorzudringen, scheiterten. Der damalige deutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Olympiafunktionäre boten sich als Ersatzgeiseln an – die Terroristen gingen nicht darauf ein.

Nach einem mehrstündigen Nervenkrieg ließen sich die Terroristen mit ihren Geiseln am Abend mit Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck bei München fliegen. Über Radio und Fernsehen hatten die Palästinenser zuvor mitbekommen, dass eine Befreiungsaktion im olympischen Dorf geplant war. Die Polizei hatte es verabsäumt, ihnen den Strom abzuschalten und die Presse auszusperren.

Schlachtfeld Fürstenfeldbruck

Eigentlich blieb der Polizei genügend Zeit, eine Falle vorzubereiten, doch die Umsetzung war stümperhaft. So standen nur fünf – von so vielen Terroristen war irrtümlich ausgegangen worden – Scharfschützen bereit, die zudem unzureichend ausgebildet und ungenügend bewaffnet waren. Im für die Terroristen zum Flug nach Ägypten vorbereiteten Flugzeug befanden sich zwar ebenfalls als Personal getarnte Polizisten. Doch es handelte sich um ungenügend bewaffnete Streifenpolizisten, die ihren Einsatz eigenmächtig beendeten und sich noch vor dem Eintreffen der Geiselnehmer aus dem Flugzeug absetzten.

Um kurz nach 22.30 Uhr gab Bayerns Innenminister Bruno Merk den Befehl „Feuer frei“. Es folgte eine dreistündige Schießerei. Während ein Vertreter der Olympischen Spiele und ein Sprecher der Regierung die falsche Nachricht verbreiteten, dass die Geiseln befreit seien, wurde noch immer geschossen. Am Ende waren alle verbliebenen israelischen Sportler, David Berger, Seev Friedman, Josef Gutfreund, Elieser Halfin, Mark Slavin, Andrei Spitzer, Amisur Schapira, Jakov Springer, Kehat Schor, und der bayrische Polizist Anton Fliegerbauer tot, zudem fünf Terroristen.

Westdeutshchlands Kanzler Willy Brandt mit Israles Botschafter in Westberlin, Ben Horin, am 6. September 1972
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Kanzler Willy Brandt (l.) und der israelische Botschafter in der BRD, Ben Horin, bei der Trauerfeier

Brandt: „Dokument deutscher Unfähigkeit“

Zunächst dankte die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir der Bundesregierung für ihren Einsatz für die Sportler. Aber nach einem Bericht des Chefs des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, Zvi Samir, der in Fürstenfeldbruck als Augenzeuge den Einsatz beobachtet hatte, kippte die Stimmung. „Sie haben nicht einmal den minimalen Versuch unternommen, Menschenleben zu retten“, lautete sein Fazit. Die Deutschen hätten nur die Olympischen Spiele fortsetzen wollen – was nach einer Trauerfeier im Olympiastadion am zwölften Tag der Spiele auch geschah.

Kanzler Willy Brandt (SPD) fand nach dem Attentat deutliche Worte. Er sprach von einem „erschütternden Dokument deutscher Unfähigkeit“. Als Konsequenz entstand in Deutschland die Spezialeinheit GSG 9. Den Hinterbliebenen der Sportler wurde insgesamt eine Million Mark (511.300 Euro) gezahlt. Deklariert wurde das Geld als humanitäre Hilfe, um daraus kein Schuldeingeständnis zu machen.

„Zorn Gottes“ folgte

Schon im Oktober 1972 wurden die drei überlebenden Geiselnehmer freigelassen: Nach der Entführung der Lufthansa-Maschine „Kiel“ durch ein Terrorkommando kamen im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln die Geiselnehmer von München frei. Der Mossad begann mit der Einsatzkampagne „Zorn Gottes“. In den nächsten 20 Jahren töteten Mossad-Kommandos einen der drei Attentäter, die München überlebt hatten, und mindestens zwölf Palästinenser, die sie verdächtigten, an der Planung des Anschlags beteiligt gewesen zu sein. Der Operation fielen aber auch Unbeteiligte zum Opfer.

Gedenktafel vor der Unterkunft in der die israelischen Sportler als Geiseln gehalten und getötet wurden
Reuters/Michael Dalder
Vieles lief lange schief bei der Aufarbeitung der Geschehnisse in München

Als zweites Versagen Deutschlands nach 1972 galt lange der Umgang von Behörden und Politik mit den Hinterbliebenen. „Alles ging schief in München. Jeder duckte sich weg. Keiner wollte Verantwortung tragen“, sagte Ankie Spitzer, Sprecherin der Opferfamilien, im Juni der ARD. „Bis heute, 50 Jahre später, hat keiner mal gesagt: ‚Es tut uns leid. Wir haben falsch entschieden. Wir waren inkompetent.‘“

Späte Entschädigung

Vor der für den 5. September in München geplanten Gedenkfeier eskalierte der Konflikt über die Höhe von Entschädigungszahlungen zwischen den Angehörigen der Sportler und der deutschen Seite erneut. Die Hinterbliebenen sagten zunächst ihre Teilnahme ab – ehe die deutsche Regierung am Mittwoch, symbolisch unter großem Druck, eine Einigung mit ihnen erreichte und damit wohl auch ihre Anwesenheit sicherte.

Das deutsche Innenministerium bestätigte am Freitag offiziell, dass eine Entschädigungsleistung für die Hinterbliebenen von 28 Millionen Euro vorgesehen ist. 22,5 Millionen Euro zahle der Bund, fünf Millionen das Land Bayern und 500.000 Euro die Stadt München. Die Zahlung erfolge im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das auch eine gemeinsame israelisch-deutsche Aufarbeitung und Erinnerung vorsieht. Auch der israelische Präsident Isaac Herzog wird nun bei der Gedenkfeier in München erwartet.

Deutschlands Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, die Gedenkfeier werde Anlass für eine klare politische Einordnung sein: „Deutschland bekräftigt seine Verantwortung für die Fehler, die 1972 vor Ort, aber auch in den Jahrzehnten danach begangen worden sind. Ferner erhalten die Familien eine angemessene Entschädigung als Anerkennung für ihr jahrzehntelanges Leid.“ Das Gedenken am Ort der schrecklichen Ereignisse und genau 50 Jahre danach werde für die Hinterbliebenen ein „schwerer Gang“. „Deutschland wird besonders an diesem Tag Seite an Seite mit den Hinterbliebenen stehen.“