Strommast
ORF.at/Carina Kainz
„Keine Leerverkäufe“

Wien Energie verteidigt Vorgehen

Die Causa rund um die zwischenzeitlich in finanzielle Turbulenzen geratene Wien Energie sorgt weiter für Aufsehen. Der Energieversorger bemühte sich nun in einer Aussendung, laut gewordene Spekulationsvorwürfe aus dem Weg zu räumen. Leerverkäufe gebe es nicht, die zuverlässige Energieversorgung der Wienerinnen und Wiener habe „oberste Priorität“, hieß es. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) unterstrich zuvor, dass es nichts zu verbergen gebe.

„Ein Spekulationsverbot ist in unseren Risikohandbüchern dezidiert festgehalten, wir tätigen selbstverständlich keine Leerverkäufe“, so die Wien Energie. „Wir müssen zur Versorgung von Wien die dafür notwendige Energie an den europäischen Energiebörsen kaufen und unsere Stromproduktion dort verkaufen, weil das die einzigen Stellen sind, wo man diese großen Mengen handeln und langfristig absichern kann. Das ist der ausschließliche Grund für diese Geschäfte.“

Die Wien Energie habe aktuell 4,48 Terawattstunden (TWh) Strom bis Ende 2024 im Verkauf an der Börse, also getätigte, aber noch nicht abgewickelte Positionen offen. „Das entspricht nicht einmal einer Jahresproduktion.“ 2021 habe die Wien Energie 6,28 TWh Strom selbst produziert.

Ausgewiesene Mengen von 16,88 TWh erklärte die Wien Energie wie folgt: Diese Daten seien auf Basis des Finanzberichts der Wiener Stadtwerke aus 2021 zu finden. Die Höhe sei rein bilanziell und zeige die Handelsbewegungen auch für die Jahre 2022/2023. Diese Zahl beinhalte auch konzerninterne Lieferungen. „Als Beispiel erwirbt die Wien Energie GmbH für ihre Vertriebsgesellschaft Wien Energie Vertrieb GmbH & Co KG an europäischen Strombörsen Strom, den sie dann an die Wien Energie Vertrieb GmbH & Co KG weiterleitet. Dadurch scheint diese Menge bilanziell doppelt auf, ohne dass dadurch ein Risiko entsteht.“

Wien Energie: Beratungen

Um die Versorgungssicherheit der zwei Millionen Kundinnen und Kunden bei der Wien Energie sicherzustellen, muss nun der Bund eingreifen. Um wie viel Geld es geht, ist derzeit noch unklar, aber im Finanzministerium wird über die Hilfszahlungen für die Wien Energie beraten.

Wien Energie: Am Dienstag 800 Mio. Euro zurückerhalten

Am Montag habe die Wien Energie 1,75 Mrd. Euro an Sicherheitskautionen für den Energiehandel aufbringen müssen. Diese Sicherheitsleistungen würden vor allem Stromverkäufe an der Strombörse betreffen, die bereits in der Vergangenheit getätigt, aber noch nicht abgewickelt wurden. Gemeinsam mit der Stadt Wien habe man diese Garantieleistungen am Montag aufgebracht.

Am Dienstag brauche die Wien Energie „gar keine zusätzlichen“ Garantien. Seit Montag sei der Strompreis wieder um rund 23 Prozent gesunken, der Gaspreis um 13 Prozent. Die Wien Energie bekomme daher am Dienstag Sicherheitsleistungen in der Höhe von rund 800 Mio. Euro wieder zurück, hieß es weiter in der Aussendung.

„Extreme Schwankungen“: Mehrere Szenarien möglich

Aufgrund der „extremen Schwankungen am Markt“ seien mehrere Szenarien berechnet und mit der Stadt Wien und der Bundesregierung diskutiert worden. Im Worst-Case-Szenario – also bei einer weiteren Verdopplung des Strompreises diese Woche – würde die Wien Energie nach eigenen Angaben fünf Mrd. Euro an Garantien benötigen, zehn Mrd. Euro im „Worst-Worst-Case“. Im besten Fall benötige Wien Energie „gar keine Sicherheitsgarantien“ vom Bund.

Die Wien Energie habe „vorausschauend agiert“ und ihre Kreditlinien bereits in der Vergangenheit als Vorsorgemaßnahme aufgestockt. Am vergangenen Freitag habe sich die Marktlage jedoch „dramatisch entwickelt“. Bis Mitte vergangener Woche hätten die notwendigen Garantien in Schwankungsbreiten von plus/minus 200 Mio. Euro gelegen, die erforderlichen täglichen Leistungen seien am Freitag auf 1,75 Mrd. Euro hochgeschossen. Zu dieser Zeit habe Wien Energie bereits einen Handelsstopp für Termingeschäfte eingelegt.

Wien Energie gegen Vergleich mit kleinen Versorgern

Die Wien Energie handle zwar gewisse Mengen direkt mit Handelspartnern, insbesondere die langfristige Absicherung großer Energiemengen und der Stromverkauf seien aber nur über die internationalen Märkte möglich. Die Wien Energie sei dabei nicht mit kleinen Energielieferanten zu vergleichen.

Der Handel an der Börse sei weniger risikobehaftet, weil sich das Ausfallsrisiko eines Geschäftspartners nicht an einem einzelnen Partner festmache, so das Unternehmen. Die Erhöhung von Sicherheitsgarantien habe aber keine unmittelbaren Auswirkungen auf ihre Kundinnen und Kunden, hielt die Wien Energie fest. Die Preise würden, wie bereits kommuniziert, mit September steigen.

Fritz Dittlbacher (ORF) zur Causa Wien Energie

Fritz Dittlbacher (ORF) spricht über die finanzielle Notlage der Wien Energie.

Ludwig: „Nichts zu verbergen“

Zuvor meldeten sich auch die Wiener Stadtregierung sowie die Bundesregierung zu Wort. Weil im Zusammenhang mit dem Liquiditätsengpass bei der Wien Energie auch der Verdacht aufgetaucht ist, dass sich die Stadtwerke-Tochter an den Strombörsen verspekuliert und dabei Milliardenbeträge in den Sand gesetzt haben könnte, kündigte der Wiener Bürgermeister eine Sonderprüfung der Organe von Wien Energie und Stadtwerken durch den Stadtrechnungshof und externe Gutachter an.

„Ich möchte damit zeigen, dass es nichts zu verbergen gibt“, so Ludwig – mehr dazu in wien.ORF.at. Indes kündigte auch der Rechnungshof eine Prüfung an.

Dass die Stadt Wien nun vom Bund über die Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) um eine Kreditlinie beantragt habe, um eventuell kurzfristig notwendige Kautionszahlungen der Wien Energie für Geschäfte an den Strombörsen finanzieren zu können, sei kein ungewöhnlicher Vorgang, sagte Ludwig. Es gehe um Überbrückungen, „das Geld wird ja dann auch wieder zurückgezahlt“. In den letzten zwei Jahren hätten davon fast alle Bundesländer Gebrauch gemacht.

Experte zur Finanznot von Wien Energie

Für Walter Boltz, den früheren Vorstand der E-Control und aktuellen Berater der grünen Energieministerin Leonore Gewessler, kam der hohe Finanzbedarf der Wien Energie überraschend. Von Spekulationen gehe er nicht aus.

Ludwig bewilligte Darlehen von 1,4 Mrd. Euro

Ludwig verwies darauf, dass Deutschland und andere Länder bereits ähnliche Schutzschirme für Energieversorger aufgespannt hätten. In Österreich gebe es einen solchen Schutzschirm nicht, daher habe Wien einen eigenen Schutzschirm aufgespannt. „Ich habe im Zuge dessen meine Möglichkeit als Bürgermeister ausgeschöpft, um am 15. Juli entsprechend der Stadtverfassung ein Darlehen von 700 Mio. Euro zu bewilligen und ein weiteres Darlehen gestern in derselben Höhe von 700 Mio. Euro.“

Stadtwerke-Vizechef: Müssen mit Strom handeln

Stadtwerke-Vizechef Peter Weinelt sagte neuerlich, dass die Wien Energie nicht an den Strombörsen spekuliert habe. „Wenn es einen Kundenvertrag gibt, dann gibt es auch einen Liefervertrag. Das gilt für den Strom, das gilt fürs Gas. Es gibt keinen Leerverkauf.“ Abgesehen davon müsse die Wien Energie mit Strom handeln.

Die Wien Energie brauche Wärme und habe Kraftwerkserzeugung von Jänner bis März und von Oktober bis Weihnachten. Im Sommer habe man keine eigene Erzeugung, „das heißt, wir kaufen diesen Strom zu“. Wasserkrafterzeuger würden den meisten Strom im Sommer erzeugen, der von der Wien Energie abgenommen werde. Darüber hinaus sei viel Liquidität dadurch gebunden, dass man die eigenen Gasspeicher bereits zu mehr als 91 Prozent gefüllt habe.

Die hohen Handelsmengen in der Bilanz würden sich durch eine Mehrfachzählung ergeben: „Die Wien Energie beschafft das und gibt diese Energie, meistens Strom und Gas, an die Vertriebstochter Energie Allianz mit der EVN und der Energie Burgenland weiter.“ Diese Menge tauche in der Bilanz mehrfach auf. „Physikalisch gibt es die dreifache Menge nicht.“

Hanke verweist auf volatilen Markt

Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) sagte überdies, der am Montag zu leistende Betrag von über 1,7 Mrd. Euro sei eine Kaution, „die nicht verloren ist“. Inzwischen habe sich herausgestellt, dass davon 798 Mio. Euro wieder gutgebucht worden seien. Auch die zweimal zur Verfügung gestellten 700 Mio. Euro seien nur eine Sicherheit gewesen. Bei der OeBFA verhandle man sicherheitshalber um eine Kreditlinie von zwei Mrd. Euro.

Die Schätzung von sechs bis zehn Mrd. Euro für einen Schutzschirm für die Energieversorger setzte Hanke in Bezug zum deutschen Schutzschirm von 100 Mrd. Euro. „Momentan brauchen wir gar nichts, aber wir wissen nicht, wo wir in einer Woche, in einem Monat, in zwei Monaten stehen.“

Brunner zu Rettungsschirm skeptisch

Am Vormittag äußerten sich auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne). Man befinde sich auf einem guten Weg, um mit der Stadt eine Lösung zu finden, sagte Brunner. Einige Detailfragen seien aber noch offen. Zurückhaltend gibt sich Brunner mit Blick auf einen möglichen österreichischen Rettungsschirm für die Strombranche.

„Wir werden uns das mit den Branchen anschauen.“ Die bei der Wien Energie vermuteten spekulativen Geschäfte würden davon aber nicht erfasst, erklärte der Minister. An den Gesprächen nahmen unter anderen Beamte der Stadt sowie der Bundesfinanzierungsagentur teil, hieß es aus dem Finanzministerium.

Viel Kritik von Opposition

Die Wiener ÖVP befand in einer Reaktion, dass man „verkrampft“ versuche, den Eindruck zu erwecken, es sei nichts passiert. Dabei sei offenbar das Problem seit Langem bekannt gewesen, sagte Parteichef Karl Mahrer. Dass ein erster Zuschuss bereits im Juli gewährt worden sei, sorgt für Kritik. „Es ist eine völlige Missachtung der demokratischen Gremien in Wien, solch horrende Summen einfach freizugeben.“ Tirols ÖVP-Obmann und Landtagswahl-Spitzenkandidat Anton Mattle geißelte in einer Aussendung die „Wiener Geheimniskrämerei“.

Wiens Grünen-Chef Peter Kraus ließ mit der Ankündigung aufhorchen, die ÖVP zu Gesprächen über eine mögliche Untersuchungskommission zu bitten. Zwar könne man das Unternehmen selbst nicht zum Gegenstand eines solchen Gremiums machen – die in diesem Zusammenhang getätigten politischen Entscheidungen aber schon. Auch Kraus staunte darüber, dass so lange nichts von den Zahlungen bekanntgeworden ist.

Den Wunsch nach einer U-Kommission zum ihrer Ansicht nach „größten Finanzskandal“ der Stadt hatte auch die FPÖ am Vormittag geäußert. Prinzipiell kann die Opposition in Wien eine solche Kommission in die Wege leiten – wenn auch keine Partei alleine. Denn es sind mindestens 30 Unterschriften für einen Antrag nötig. Die größte Oppositionspartei, die ÖVP, verfügt über 22 Sitze im Stadtparlament, die Grünen über 16 und die FPÖ über acht.