Michail Gorbatschow, 2014
APA/AFP/Odd Andersen
1931–2022

Michail Gorbatschow ist tot

Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der Sowjetunion, ist im Alter von 91 Jahren in Russland gestorben. „Heute Abend ist Michail Sergejewitsch Gorbatschow nach langer schwerer Krankheit gestorben“, teilte das der russischen Präsidentschaft unterstellte Zentralkrankenhaus in Moskau am Dienstag mit, wie die russischen Nachrichtenagenturen Interfax, TASS und RIA Nowosti meldeten.

Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Er wird in Moskau neben seiner Frau Raissa auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt.

Am 2. März 1931 in einer bäuerlichen Familie im südrussischen Stawropol geboren, begann Gorbatschow seine politische Karriere als kommunistischer Apparatschik. Auf eine Karriere als Parteifunktionär in seiner Heimatregion folgte der Sprung nach Moskau. In den 1970er Jahren trat er ins Zentralkomitee der Kommunistischen Partei ein, als Schützling von KGB-Chef Juri Andropow wurde er 1985 zur neuen Nummer eins in der Sowjetunion.

Neue Signale aus Moskau

Im Vergleich zu den Hardlinern im Politbüro galt Gorbatschow schnell als Reformer. Auch im Ausland sahen viele in dem neuen Mann an der Spitze der UdSSR einen erfrischenden Gesprächspartner. „Er ist von seiner Art relativ offen und intelligent. Er ist umgänglich und hat einigen Charme und Humor“, schrieb die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher vier Monate vor Gorbatschows Ernennung zum Generalsekretär des Politbüros an den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan.

Michail Gorbatschow, 1990
AP/David Longstreath
Im Ausland galt Gorbatschow als Held, im Inland als Totengräber russischer Größe

Friedensnobelpreis 1990

So hatte die Sowjetunion in den 1980er Jahren unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen.

In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Eigentlich wollte der damalige Kreml-Chef mit seinen Reformen noch den Kommunismus modernisieren – am Ende leitete er selbst den Zerfall der Supermacht Sowjetunion ein, das Aus des kommunistischen Machtimperiums. Den Untergang der Sowjetunion sollte Gorbatschow später in seiner Autobiographie bedauern – ebenso wie den gescheiterten Umbau der Kommunistischen Partei zu einer demokratischen. „Ich bedauere noch immer, dass es mir nicht gelungen ist, das Boot, an dessen Steuer ich stand, in einen guten Hafen zu fahren.“

Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, 1987
Reuters
Michail Gorbatschow und Ronald Reagan im Jahr 1987

Enttäuschte Hoffnungen in Russland

Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion – und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Anders als im Westen standen bei der politischen Bewertung Gorbatschows in Russland nicht dessen Abrüstungspolitik und ehrgeizige Reformansätze im Vordergrund – sondern deren Scheitern. Zunächst ließ die Politik von Glasnost und Perestroika Millionen Menschen in der Sowjetunion in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auf ein besseres Leben hoffen – das sich aber meist nicht erfüllte.

Über das Land brach ungezügelter Kapitalismus und die zahlreiche Privatisierungen herein, von denen vor allem einige Oligarchen profitierten. Auch Gorbatschow selbst machte aus seinen Versäumnissen keinen Hehl. „Natürlich bedauere ich manches. Es wurden Fehler gemacht, und wir haben es nicht geschafft, die Perestroika erfolgreich zu beenden“, sagte er rückblickend über sein Kernprojekt.

Umstrittene Entscheidungen

Überschattet wird Gorbatschows Regierungszeit auch von anderen Entscheidungen. In der damaligen Sowjetunion ordnete Gorbatschow durchaus Militäreinsätze an und schickte sowjetische Panzer in die sich abspaltenden Republiken Litauen, Aserbaidschan und Georgien. Auch die tagelange Vertuschung der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die zur Verseuchung Hunderttausender mit radioaktiver Strahlung führte, fällt unter Gorbatschows Verantwortung.

Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931–2007). Der wiederum erklärte am 31. Dezember 1999 seinen Rücktritt, er übergab die Regierungsgeschäfte an seinen Ministerpräsidenten, an einen gewissen Wladimir Putin.

Kritik an Putin

Gorbatschow war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Der Politiker hatte in den vergangenen Jahren Kreml-Chef Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken. Die Verfassung, die Gerichte, das Parlament – alles sei „Imitation von Demokratie“. Präsident Putin habe seine Macht so zementiert, dass anderen politischen Kräften keine Luft zum Atmen bleibe, meinte er. Der Kreml reagierte auf Gorbatschows Tod mit der Ankündigung eines Telegramms an seine Familie. Putin habe nach Angaben eines Sprechers sein tiefes Mitgefühl ausgerdückt.

Allerdings kritisierte Gorbatschow 2014 vor dem Hintergrund der damaligen Ukraine-Krise nicht zuletzt den Westen scharf. Dieser Konflikt habe eine „globale Unordnung“ mit internationaler Kriegsgefahr geschaffen – und Russland sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht als Partner behandelt worden. Die USA bezeichnete er sogar als „Seuche der Welt“. Als einen Verrat des Westens an den Zugeständnissen an Moskau bei der deutschen Wiedervereinigung empfand er stets die Osterweiterung der NATO.

Nach Angaben des früheren Chefredakteurs von Echo Moskau, Alexej Wenediktow, kritisierte Gorbatschow ihm gegenüber heuer den russischen Angriffskrieg gegen das Nachbarland scharf. Offiziell äußerte er sich zu dem Zeitpunkt allerdings nicht mehr.

Zahlreiche Bücher geschrieben

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow
Reuters/Maxim Shemetov
Gorbatschow bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte 2019

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.