Michail Gorbatschow, 1991
AP/Boris Yurchenko
Glasnost und Perestroika

Weltweite Trauer um Michail Gorbatschow

Nach dem Tod des letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, haben zahlreiche internationale Politiker und Politikerinnen ihr Beileid ausgedrückt und ihn ausführlich gewürdigt. Der frühere Generalsekretär der Kommunistischen Partei hatte maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen. Der Friedensnobelpreisträger starb den Berichten zufolge im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Gorbatschow, der die Sowjetunion von 1985 bis 1991 führte, gilt als einer der wichtigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Er war im Westen hoch angesehen und gefeiert, war in seiner Heimat aber umstritten. An der Spitze der Sowjetunion stieß er mit seiner Politik von Glasnost und Perestroika – Offenheit und Umgestaltung – umfassende Reformen in seiner Heimat an.

Er setzte sich zudem unter anderem durch Abrüstungsverhandlungen mit den USA für eine Entspannung mit dem Westen ein und machte dadurch auch die Wiedervereinigung Deutschlands möglich. Während er im Westen gefeiert wurde, lasteten ihm viele Russen und Russinnen den Zusammenbruch der Sowjetunion und das Chaos nach dem Ende des Kommunismus an. Gorbatschow war am 25. Dezember 1991 als Präsident der Sowjetunion zurückgetreten und hatte damit das Ende der UdSSR besiegelt.

Michail Gorbatschow und Vladimir Putin 2004
AP/Heribert Proepper
Gorbatschow mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2004

Putin schickt Telegramm

Russlands Präsident Wladimir Putin würdigte Gorbatschow als einflussreiche Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Er sei „ein Politiker und Staatsmann“ gewesen, „der einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Weltgeschichte hatte“, hieß es am Mittwoch in einem Kondolenztelegramm. Gorbatschow habe „unser Land durch eine Zeit komplexer und dramatischer Veränderungen und großer außenpolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen geführt“.

Zudem ging der russische Präsident auf Gorbatschows Engagement nach dessen Amtszeit als Staats- und Parteichef ein: „Besonders betonen möchte ich die große humanitäre, wohltätige und aufklärerische Tätigkeit, die Michail Sergejewitsch Gorbatschow all die letzten Jahre ausübte.“ In der Vergangenheit hat Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet.

Offene Frage rund um Staatsbegräbnis

Noch nicht entschieden ist, ob es für Gorbatschow ein Staatsbegräbnis geben wird, wie es aus dem Kreml hieß. „Eine Entscheidung wird noch getroffen“, sagte Peskow. Sie hänge auch von den Wünschen der Angehörigen und Freunde ab.

Der prominente russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow, Vizechef des russischen Parlamentsoberhauses Föderationsrat, bezeichnete den Tod Gorbatschows als Tragödie für sein Land. „Gorbatschow hat einen Weg geebnet, den unser Volk in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten sonst nicht hätte gehen können“, schrieb Kossatschow am Mittwoch auf Telegram. Dieser Weg sei schwierig gewesen – anders als in den 70 Jahren zuvor sei er aber in die richtige Richtung gegangen. „Bei aller Widersprüchlichkeit der Ergebnisse verdient Gorbatschow Respekt und er verdient es, dass an ihn erinnert wird.“

Biden: Außerordentliche Führungspersönlichkeit

US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als einen „Mann mit einer bemerkenswerten Vision“. Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt, sagte Biden am Dienstag (Ortszeit). „Das waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit – einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um das zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen.“

Michail Gorbatschow ist tot

Der Friedensnobelpreisträger und letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, ist tot. Er verstarb in der Nacht im Alter von 91 Jahren, teilte das Zentralkrankenhaus in Moskau mit. Gorbatschow gilt als Wegbereiter des Endes des Kalten Krieges.

Biden erklärte weiter, Gorbatschow habe an Glasnost und Perestroika geglaubt – nicht als bloße Schlagworte, sondern als den Weg nach vorn für die Menschen in der Sowjetunion nach so vielen Jahren der Isolation und Entbehrung. „Als Führer der UdSSR arbeitete er mit (US-)Präsident (Ronald) Reagan zusammen, um die Atomwaffenarsenale unserer beiden Länder zu reduzieren, zur Erleichterung der Menschen weltweit, die für ein Ende des atomaren Wettrüstens beteten.“

US-Präsident Joe Biden
AP/Evan Vucci
US-Präsident Joe Biden

Eine Würdigung kam auch von der NATO. „Michail Gorbatschows historische Reformen haben zur Auflösung der Sowjetunion geführt, zum Ende des Kalten Krieges beigetragen und die Möglichkeit einer Partnerschaft zwischen Russland und der NATO eröffnet“, so NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Twitter. „Seine Vision einer besseren Welt bleibt ein Vorbild.“

Guterres: Lauf der Geschichte geändert

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich „zutiefst traurig“ über den Tod Gorbatschows. Dieser sei ein „einzigartiger Staatsmann“ gewesen, der den Lauf der Geschichte verändert habe, ließ Guterres am Dienstag mitteilen. „Er hat mehr als jeder andere dazu beigetragen, den Kalten Krieg friedlich zu beenden.“ Der Portugiese sprach der Familie Gorbatschows und der Bevölkerung Russlands sein Beileid aus. Die Aussage des Friedensnobelpreisträgers, dass Frieden nicht Einheit in Gleichartigkeit, sondern Einheit in Vielfalt sei, habe dieser mit seiner Politik in die Praxis umgesetzt.

TV-Hinweis

ORF2 zeigt in Memoriam Michail Gorbatschow am Mittwoch um 22.30 Uhr „Michail Gorbatschow – der Weltveränderer“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs für Europa heraus. „Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs“, schrieb von der Leyen am Dienstagabend auf Twitter. Sie bezeichnete Gorbatschow als Führungspersönlichkeit, die zuverlässig und geachtet gewesen sei. „Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
AP/Ritzau Scanpix/Mads Claus Rasmussen
Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

EU-Ratspräsident Charles Michel würdigte Gorbatschow als einen Kämpfer für Frieden und Freiheit. Gorbatschow sei ein Mann gewesen, der sein Leben mit einem großen Engagement für Frieden und Freiheit dem öffentlichen Dienst gewidmet habe, schrieb Michel am Mittwoch auf Twitter. Er sprach Gorbatschows Familie, seinen Freunden und dem russischen Volk sein Mitgefühl aus.

Van der Bellen und Regierungsspitze würdigen Gorbatschow

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete Gorbatschow als „Mann des Friedens“ und „Inbegriff eines Visionärs“. „Kaum einer hat das vergangene Jahrhundert, aber auch unser heutiges Europa so geprägt wie er“, schrieb Van der Bellen am Mittwoch auf Twitter. „Sein Vermächtnis bleibt – und ist heute wichtiger denn je.“

„Michail Gorbatschow prägte wie kein anderer die Annäherung zwischen Osten und Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa und dem Ende des Kalten Krieges. Möge er in Frieden ruhen“, twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion am Dienstagabend. „Tragisch bleibt, dass die Anerkennung, die er im Westen genoss, ihm in seiner Heimat nie zuteilwurde“, so Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf Twitter.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) würdigte ebenfalls die Leistungen Gorbatschows für eine friedliche Neuordnung Europas in den vergangenen 30 Jahren. Gorbatschow sei „ein großer Staatsmann“ gewesen, sagte Schallenberg am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal. „Er hat die Zeichen der Zeit erkannt.“

Steinmeier: Gorbatschows Traum in Trümmern

Der scheidende britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. „Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte“, schrieb Johnson am späten Dienstagabend auf Twitter. Zudem stellte er Gorbatschow dem russischen Präsidenten Putin gegenüber. „Zu einer Zeit von Putins Aggression in der Ukraine bleibt sein unermüdliches Engagement für die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ein Vorbild für uns alle“, schrieb Johnson.

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete Gorbatschow als „großen Staatsmann“. „Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa“, so Steinmeier am Mittwoch.

Merkel: Gorbatschow schrieb Weltgeschichte

Gorbatschow habe in den vergangenen Jahren darunter gelitten, dass sein Traum in immer weitere Ferne rückte. „Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine“, betonte Steinmeier. In das gleiche Horn stieß der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Er würdigte den verstorbenen Politiker. Er sei in einer Zeit gestorben, „in der nicht nur die Demokratie in Russland gescheitert ist“, sondern in der Putin auch neue Gräben in Europa ziehe.

Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Gorbatschow als „einen einzigartigen Weltpolitiker“. Gorbatschow habe Weltgeschichte geschrieben. „Möge die Erinnerung an seine historische Leistung gerade in diesen schrecklichen Wochen und Monaten des Krieges Russlands gegen die Ukraine ein Innehalten möglich machen“, hieß es in einer Erklärung Merkels, die am Mittwoch auf ihrer Website veröffentlicht wurde.

Macron: Weg in die Freiheit geöffnet

Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte den verstorbenen russischen Friedensnobelpreisträger als „Mann des Friedens“. Seine Entscheidung habe den Russen „einen Weg der Freiheit“ geöffnet, schrieb Macron in der Nacht auf Mittwoch auf Twitter. „Sein Engagement für den Frieden in Europa hat unsere gemeinsame Geschichte verändert.“

Der australische Premierminister Anthony Albanese würdigte Gorbatschow als einen Friedensstifter, der die Welt zum Besseren verändert habe. „Er befreite die Nationen Osteuropas aus dem Gefängnis der Sowjetherrschaft und trug dazu bei, den Kalten Krieg zu beenden“, schrieb Albanese am Mittwoch. Gorbatschow sei „ein Mann von Wärme, Hoffnung, Entschlossenheit und enormem Mut“ gewesen und in einer tief gespaltenen Welt vom Instinkt der Kooperation und der Einheit angetrieben worden. „Mit seinem Tod verlieren wir einen der wahren Giganten des 20. Jahrhunderts“, so Albanese.

Litauen mit Erinnerung an „Blutsonntag“

Litauen erinnerte indes an Gorbatschows Rolle beim „Blutsonntag“ von Vilnius am 13. Jänner 1991. „Die Litauer werden Gorbatschow nicht verherrlichen. Wir werden nie die simple Tatsache vergessen, dass seine Armee Zivilisten ermordete, um die Besetzung unseres Landes durch sein Regime zu verlängern“, schrieb Außenminister Gabrielius Landsbergis am Mittwoch auf Twitter. „Seine Soldaten schossen auf unsere unbewaffneten Demonstranten und zermalmten sie unter seinen Panzern. So werden wir ihn in Erinnerung behalten.“

Jawlinski: Geschenkte Freiheit nutzen

Der prominente liberale russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski würdigte Gorbatschow als einen Veränderer der Welt. „Gorbatschow gab uns die Freiheit. Er hat Millionen von Menschen die Freiheit gegeben – in Russland und seinem Umfeld und noch dazu der Hälfte Europas“, schrieb der Gründer der Oppositionspartei Jabloko in der Nacht auf Mittwoch in seinem Blog auf Telegram.

Jawlinski und die Partei Jabloko sind die letzten Reste der Opposition in Russland. Es liege auch heute in der Verantwortung der Russen, die damals geschenkte Freiheit zu nutzen, sagte Jawlinski. Wenige Anführer hätten einen solchen Einfluss auf die Geschichte gehabt. „In seinen sechs Jahren an der Macht hat Michail Gorbatschow die Welt verändert“, unterstrich der Politiker.