Sharon 2013, HD-Video
Bill Viola Studio; Foto: Kira Perov
Bill Viola

Videokunst, die Dimensionen sprengt

Bill Viola zählt zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart. Seine Bildwelten sprengen den Rahmen konventioneller Sehgewohnheiten. Die erste Einzelschau von Violas Werk in Österreich findet im Museum der Moderne Salzburg am Mönchsberg statt.

Es sind die kleinen, unscheinbaren Gesten, die Viola mit Hilfe der Slow-Motion-Technik gleichsam zur Deutlichkeit dehnt. Der Einsatz von Zeitlupe für Momentaufnahmen ist eines der markanten Grundprinzipien des amerikanischen Künstlers, der seit 50 Jahren immer wieder die ästhetischen und künstlerischen Möglichkeiten der Videokunst auslotet. Deshalb sind seine Projektionen auch nicht schnell konsumierbare Installationskunst, sie entfalten erst allmählich ihre volle Wirkung.

„Zeit ist für mich die Basis der Arbeit mit Video. Nicht die Kamera oder der Monitor sind von Bedeutung, sondern die Zeit. Wenn Sie sich diese wie auf der Palette eines Malers angeordnet vorstellen, dann möchte ich als Künstler das gesamte Spektrum der Zeit nützen“, erklärte Viola 1996 in einem Fernsehinterview anlässlich seiner Ausstellung „Buried Secrets“ in Hannover. Krankheitsbedingt tritt Viola seit Jahren nicht mehr öffentlich auf und gibt auch keine Interviews.

Bill Violas Blick in die Tiefe eines Moments

Bill Violas Videokunst ist einzigartig: In Slow Motion friert er Momente oder Erinnerungen ein. Das ist visuell äußerst beeindruckend – und lädt zum Reflektieren ein.

Keine Angst vor Pathos

„Bill Viola“ lautet der schlichte Titel der Ausstellung, die noch bis Ende Oktober zu sehen ist. In fünf Kabinetten und zwei Sälen werden Arbeiten aus all seinen wesentlichen Werkphasen präsentiert. Damit wird dem Pionier der Videokunst eine umfassende Ausstellung über sein mittlerweile 50-jähriges Schaffen gewidmet.

Thorsten Sadowsky, Direktor des Museums der Moderne Salzburg: „Ich glaube, was besonders wichtig ist an seinem Werk, das ist die Nichtscheu, sich mit großen, existenziellen Fragen und mit großen Gefühlen künstlerisch auseinanderzusetzen. Das ist, glaube ich, ungewöhnlich in Zeiten der Postmoderne, wo eher die Ironie dominiert, also genau das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint, bzw. das Uneigentliche zu formulieren. Darin liegt seine große Stärke. Also diese Pathosformel, das ist etwas, was ich an seinem Werk schätze.“ Gemeinsam mit Christina Penetsdorfer und in Abstimmung mit Kira Perov, Violas Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann viele Arbeiten konzipiert hat und sein kalifornisches Studio leitet, kuratiert er die Ausstellung.

Videokunst als „spirituelle Übung“

Seit den frühen 1970er Jahren beschäftigt sich Viola mit der Erforschung des Mediums Video. Zentral für sein Werk ist die Auseinandersetzung mit Grunderfahrungen des menschlichen Seins wie Leben und Sterben, Geburt und Tod. Es sind vor allem Prozesse der Verwandlung, die ihn interessieren. Er beschäftigt sich mit dem Zen-Buddhismus, dem islamischen Sufismus und der christlichen Mystik. Den Umgang mit seinen Werken bezeichnet er als „spirituelle Übung“, wie zum Beispiel auch seine Installation „Three Women“. Sie ist Teil der Serie „Transfigurations“, einer Gruppe von Werken, die den Lauf der Zeit und den Prozess der inneren Wandlung eines Menschen reflektieren.

Der Philosoph Otto Neumaier beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Werk von Viola und hat ihn immer wieder persönlich getroffen: „Es geht um Begegnungen am Übergang von Leben und Tod. Und da er sich selbst auch immer wieder auf Rilke bezieht und auch explizit Engel in den Titeln seiner Werke anspricht, hat mich diese Installation tatsächlich an Engel erinnert, die bei Rilke ja Wesen sind, die sich zwischen unserem irdischen Leben und etwas anderem bewegen, etwas Größerem.“

Man sehe keine Engel bei „Three Women“: „Aber, was wir sehen, ist, dass drei Personen sozusagen aus einem anderen Raum hervortreten, durch eine zunächst unsichtbare Wasserwand, dann auf einmal in vollem Leben vor uns stehen, um schließlich wieder zurückzukehren. Und das ist eine Begegnung vom Übergang zwischen Leben und Tod.“

Detail der Videoinstallation Night Vigil 2005/2009
Bill Viola Studio; Foto: Kira Perov
Bild aus dem Video „Night Vigil“ von Bill Viola

Nahtoderfahrung als Inspiration

Wasser spielt in seinem Werk seit jeher eine zentrale Rolle. Als Kind wäre Viola nach einem Sprung in einen Teich beinahe ertrunken. Diese Nahtoderfahrung hat ihn und sein Werk nachhaltig geprägt. „Am Anfang war ich schockiert, aber dann habe ich meine Augen geöffnet und sah diese Lichtstrahlen im Wasser, die wogenden Wasserpflanzen. Es war der schönste Ort, den ich je gesehen habe“, so Viola 2014, anlässlich seiner Ausstellung im Grand Palais in Paris. Museumsdirektor Sadowsky: „Luft, Feuer, Wasser – insbesondere Wasser – sind sehr zentral für sein Werk. Der Aspekt des Eintauchens, des Überschwemmens, die Macht des Eintauchens. Man kann sagen, die ikonische Kraft des Wassers ist ganz zentral, das merkt man auch in dieser Ausstellung wieder.“

So sei es nicht weiter verwunderlich, dass sieben der acht gezeigten Arbeiten mit unterschiedlichen Aspekten von Wasser arbeiten, sagt Sadowsky: „Wir haben zum Beispiel diese große Arbeit ‚The Raft‘, wo Menschen von riesigen Wellen mitgerissen werden, gewissermaßen umgeworfen werden, das ist wie ein gewaltiger, szenischer Schiffbruch, der dort aufgeführt wird. Oder ‚Five Angels for the Millennium‘, da spielt der Aspekt des Eintauchens in das Wasser eine ganz große Rolle. Diese gesamte Ikonografie des Wassers, sowohl das Lebensspendende als auch das Bedrohliche, die Übermacht, das Erhabene, ist in dieser Ausstellung aufgehoben.“

Ausstellungshinweis

Die Ausstellung „Bill Viola“ findet im Salzburger Museum der Moderne noch bis 30. Oktober auf dem Mönchsberg statt.

Raum im Raum

Großflächig und geheimnisvoll verweisen viele Installationen von Viola das Publikum auf Grenzen, die ihm beim Betrachten gesetzt sind. Dadurch, dass oft mehrere Projektionen auf unterschiedlichen Wänden zu sehen sind, ist es ihm nie möglich, alles zu sehen. Philosoph Neumaier: „Ständig spielt sich ein Teil des Geschehens außerhalb unseres Sehfeldes ab, nicht zuletzt in unserem Rücken. Wir können nie das gesamte Werk wahrnehmen.“ Das Publikum wird vom Betrachter zum Teil des Kunstwerks, wie zum Beispiel bei „Interval“: Ein Mann steht in einem Duschraum und wäscht sich.

Schnell geschnittene Großaufnahmen von ganz unterschiedlichen Körpern und Dingen werden auf die gegenüberliegende Wand projiziert. In immer kürzer werdenden Intervallen erscheinen das Bild des Mannes auf der einen, dann wieder die Großaufnahmen auf der anderen Raumseite, bis sie sich in ihrem Ablauf fast gänzlich überlagern. Als Betrachter befindet man sich genau dazwischen – und mittendrin. Viola erklärte dazu: „Es gibt da kein Außen mehr. Die gewöhnliche Trennung zwischen Kunst und Betrachter ist hier aufgehoben. Sie können die Arbeit nicht einfach betrachten. Sie sind einbezogen, tauchen gleichsam darin unter.“