Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) und Stadtwerke-Vizechef Peter Weinelt
APA/Hans Klaus Techt
Wien Energie

Wiener Kreditfreigabe unter der Lupe

Der Bund hat der Wien Energie eine Kreditlinie von zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, Geld ist aber auch schon davor freigegeben worden. Bereits Mitte Juli bewilligte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) einen Kreditrahmen in Höhe von 700 Millionen, einen zweiten in derselben Dimension am Montag. Koalitionspartner NEOS wusste darüber Bescheid, es sei aber von keiner „Schieflage“ der Wien Energie die Rede gewesen.

Aufzuhorchen gab es zuletzt viel, erst der dringende Finanzbedarf der Wien Energie, dann die Debatte darüber, was Spekulation ist und was nicht. Auch Ludwigs Pouvoir, eigenhändig zwei Kreditlinien von je 700 Millionen Euro zu gewähren, sorgte für Verwunderung. Er habe seine „Möglichkeit als Bürgermeister ausgeschöpft“, so Ludwig am Dienstag, „entsprechend der Stadtverfassung“. Die 1,4 Mrd. seien ein „Wiener Schutzschirm“, so der Bürgermeister.

Der Gemeinderat wurde darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Darüber schäumt nun die Rathausopposition, und auch der Wiener Koalitionspartner NEOS echauffierte sich: Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) kritisierte Krisenmanagement und Kommunikation rund um die Wien Energie scharf.

Wiederkehr wusste aber über der Vergabe des ersten Kreditrahmens im Juli Bescheid. Aus dem Büro von Stadtchef Ludwig hieß es gegenüber ORF.at, man habe den Koalitionspartner „unmittelbar nach der Unterzeichnung des 1. Schutzschirms (15.7.2022) und des 2. Schutzschirms (29.8.2022)“ darüber in Kenntnis gesetzt.

Kreditrahmen bekannt, „Schieflage“ nicht

NEOS Wien gab an, Wiederkehr sei von der Haftungsübernahme „nachträglich“ informiert worden, auf Nachfrage hieß es, der Vizebürgermeister „wurde zeitnahe nach dem 15.7. informiert. Jedenfalls aber, nachdem der Beschluss schon vom Bürgermeister gezeichnet wurde.“ Vom zweiten Kreditrahmen habe man am Montag erfahren, also eben am 29. August, wie auch die SPÖ angab.

Von der Schieflage der Wien Energie habe Wiederkehr aber erst am Sonntag „über die Medien“ erfahren, so NEOS zu ORF.at. Davor habe es über die Schwierigkeiten des Unternehmens „keinerlei Informationen“ gegeben, auch nicht zur Börsenstrategie und zu offenen Positionen der Wien Energie. Zudem sei auch vermittelt worden, „dass die Kredite bis auf Weiteres nicht abgerufen werden müssten, es sich um eine Vorsorgemaßnahme handelt“.

„Wenn nicht abgewartet werden kann“

Rechtlich möglich macht eine solche Kreditvergabe die Wiener Stadtverfassung. „Der Bürgermeister ist berechtigt, bei dringlichen Fällen in Angelegenheiten, die in den Wirkungsbereich eines Gemeinderatsausschusses, des Stadtsenates oder des Gemeinderates fallen, unter seiner Verantwortung Verfügungen zu treffen, wenn die Entscheidung dieser Gemeindeorgane ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden kann“, lautet Paragraf 92. Er habe „die Angelegenheit jedoch unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen“.

Runder Tisch: Wien Energie – Der Milliardenkrimi

Liquiditätsprobleme bei der Wien Energie erschüttern den Österreichischen Energiemarkt. Was ist bei Österreichs größtem Energieversorger passiert? Waren die Probleme absehbar? Darüber diskutierten Fachleute am Runden Tisch.

Was bedeutet „unverzüglich“?

„Unverzüglich“ ist mitunter ein dehnbarer Begriff. Für die SPÖ bedeutet das, bis zur nächsten regulären Sitzung der zuständigen Organe zu warten. Das wären in dem Fall der Finanzausschuss am 12. September, der Stadtsenat am Tag darauf sowie der Gemeinderat, der erst am 21. September wieder tagt. „Alle im Rathaus vertretenen politischen Fraktionen kennen die gängige Praxis bei Erfordernis der Notkompetenz“, twitterte der Magistrat am Mittwoch. Während der Pandemie sei bereits fünfmal davon Gebrauch gemacht worden, drei davon seien im Gemeinderat nachträglich einstimmig bestätigt worden.

Die Wiener ÖVP sieht das freilich anders und geißelt die Informationspolitik der SPÖ. „Unverzüglich“ bedeute eben ohne Verzug. Ludwig hätte den zuständigen Gemeinderatsausschuss sofort in Kenntnis setzen müssen, anstatt zwei Monate auf die nächste Sitzung zu warten.

Was „unverzüglich“ tatsächlich bedeute, sei eine schwierige Frage, so der Verfassungsjurist Heinz Mayer zu ORF.at. Es bedeute „jedenfalls bei der nächsten Sitzung. Man könnte natürlich sagen, er muss versuchen, eine Sondersitzung anzuberaumen", so Mayer. Er gab allerdings zu bedenken, dass das – auch angesichts der Urlaubssaison – ebenfalls zwei bis vier Wochen dauern könnte, bis man ein beschlussfähiges Gremium zusammenbringt. Dann ist die Frage, ob die ohnehin anberaumte reguläre Sitzung ausreicht. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort“, so der Verfassungsjurist. Ob und wann man den Koalitionspartner informiere, sei hingegen eine Frage der politischen Kultur: „Das sollte man im Allgemeinen schon tun.“

Eine Gemeinde unter Gemeinden

Auch wenn die Stadtverfassung sie vorsieht und die Stadt Wien betont, die „Notkompetenz“ gebe auch anderen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern die Möglichkeit, in Notsituationen „Entscheidungen zur Abwehr von Krisen zu treffen“ – die Vollmacht, eigenhändig 1,4 Milliarden an Krediten zu vergeben, ist doch eine Besonderheit in Österreich. Wien agiert hier als Gemeinde und „alle Gemeindeordnungen haben eine Notkompetenz des Bürgermeisters in bestimmten Fällen, mit nachträglicher Genehmigung“, so Mayer. Da sei die Wiener Regel auch sinnvoll und nicht außergewöhnlich. „Die Voraussetzung ist die Dringlichkeit, das muss man dann auch begründen können.“

In anderen Gemeinden dürften die Geldbeträge, mit denen man hantiert, allerdings weit geringer sein. Da wird es eher um Grundstückskäufe und dergleichen gehen. In der rechtlichen Frage sind die Höhen der Summen aber irrelevant, so Mayer.

Untersuchungskommission angedacht

Der Stadtopposition bleibt damit nur der Ruf nach Aufklärung und mehr Transparenz, eine Untersuchungskommission steht im Raum. Eine solche Kommission gab es etwa auch zum Krankenhaus Nord oder zu parteinahen Vereinen. Gegenstand kann hier nur die politische Seite sein, nicht die Gebarung der Stadtwerke selbst.

Welche Parteien im Gemeinderat die Kredite nachträglich absegnen werden, wird man im September sehen. NEOS will sich „das ganz genau anschauen, damit Aufklärung und Kontrolle gewährleistet sind“, hieß es. Auswirkungen wird das ohnehin nicht haben. „Die Verweigerung der Genehmigung hat keine Auswirkung auf die Gültigkeit der vom Bürgermeister gesetzten Rechtshandlung“, informierte der Magistrat.

Ludwig verteidigt Vorgehen

Ludwig verteidigte das Vorgehen im Ö1-Morgenjournal und dementierte, dass es sich um „Geheimniskrämerei“ handle. Der Koalitionspartner NEOS sei mit 15. Juli informiert gewesen. Er begründete das Vorgehen mit „Vorlaufzeit“, die bei großen Geldmengen angemessen sei. Dass die Versorgung der Kundschaft der Wien Energie bei einer fehlenden Finanzspritze nicht mehr gewährleistet sei – wie es im Umlaufbeschluss des Wiener Stadtsenats von Mittwoch hieß –, bestritt Ludwig.

Er erneuerte seine Forderung nach einem bundesweiten Schutzschirm für Energieversorger. Eine Nachfrage, ob Wien mit diesem Verlangen rechtzeitig an den Bund herangetreten sei, beantwortete er allerdings nicht. Der Bürgermeister sieht keine „Affäre“, bis jetzt habe man kein Steuergeld und kein Geld des Bundes benötigt. Das begründet sich aus der Preisentwicklung. Stadtrat Hanke und die Führung der Wien Energie würden darüber hinaus weiterhin sein Vertrauen genießen. Eine weitere Preiserhöhung bei der Wien Energie sei zum derzeitigen Zeitpunkt „nicht anzunehmen“.