Serena Williams
Reuters/Eric Gaillard
„Nur Serena“

Eine Ikone geht vom Platz

Mit Serena Williams verabschiedet sich nicht nur eine Sportlegende, sondern auch eine weibliche, schwarze Galionsfigur. Williams vernachlässigte gesellschaftliche Normen und schrieb die Regeln auch abseits des Platzes neu. Mit ihrem sportlichen Ehrgeiz, ihrem Faible für Mode und das Scheinwerferlicht bastelte sie auch am eigenen Mythos, nun gilt sie als Rollenvorbild für Generationen junger Frauen. Sie selbst nimmt den Rummel um ihre Person gelassen hin: „Ich bin nur Serena.“

Am Ende hat es nicht sein sollen: Williams Niederlage gegen Ajla Tomljanovic in der Nacht auf Samstag zerschlug dann doch die Hoffnungen, die 40-Jährige könnte zum Abschluss ihrer Tenniskarriere auch die US Open noch gewinnen. Williams hatte vor wenigen Wochen standesgemäß in der Modezeitschrift „Vogue“ angekündigt, dem Profisport den Rücken kehren zu wollen. Wann genau sagte sie nicht, denn der Schritt erfülle sie „mit großem Schmerz“. Er sei das Härteste, das sie sich habe vorstellen können.

Dabei hat Williams neben ihren grandiosen Siegen – sie besetzt mit 23 Grand-Slam-Turniere im Einzel und 14 im Doppel den Olymp der Tennisfrauen – auch schwere Rückschläge meistern müssen. An manchen ließ sie die Öffentlichkeit teilhaben, sie sprach etwa offen über ihre gesundheitlichen Probleme, aber auch über psychische Tiefs. Ein Blutgerinnsel in der Lunge hatte sie 2011 dem Tod nahegebracht, wie sie selbst sagte. Auch die Geburt ihrer Tochter Olympia 2017 war lebensbedrohlich, hinzu kam später auch eine postnatale Depression. Daraus machte sie ebenfalls kein Geheimnis. In einem Interview mit dem Magazin „Time“ sagte sie: „An manchen Tagen weine ich. Ich bin wirklich traurig, habe Zusammenbrüche.“

Diese Offenheit brachte ihr großen Respekt auch abseits des Tenniscourts ein, Williams war sich schon früh ihrer Rolle als Vorbild für Sportlerinnen, Schwarze und Frauen bewusst.

Venus und Serena Williams, 1998
AP/Steve Holland
Mit Zahnspangen, aber schon Profis: Die Williams-Schwestern 1998

Gegen die Wahrscheinlichkeiten

Von Beginn an galt Williams’ Karriere als eine, die den Wahrscheinlichkeiten trotzt. „Defying the odds“ schrieben zahllose Medien entsprechend zu Williams’ bevorstehenden Abschied vom Tennisplatz. Sie wurde in einer mittelgroßen Stadt in Michigan geboren, die Familie zog nach Los Angeles, wo sie mit 14 Jahren in den Profisport einstieg. Der Vater war es, der die beiden Schwestern Venus und Serena zum Tennis gebracht hatte – zu einer Zeit, als der elitäre, vornehmlich weiße und hochtraditionelle Sport noch als verlängerter Arm der Country Clubs galt. Auch wenn es ihr nicht in die Wiege gelegt war, Williams sei trotzig zur größten Tennisspielerin der Welt emporgestiegen, zur „G.O.A.T“ – „the Greatest of all Times“ (dt.: die Größte aller Zeiten).

Williams selbst gefällt der Titel offenbar nicht schlecht: Sie trug heuer auf der Mailänder Fashion Week ein Sweatshirt mit diesem Ausdruck. Darin steht sie in der Tradition der Boxlegende Muhammad Ali – er nannte sogar eine seiner Firmen G.O.A.T. Inc.

Die Barrieren zerschmettert

Ali und Williams haben etliches gemein: Sie sind zu Symbolen geworden. Für viele Fans stehen nicht so sehr Williams’ sportliche Erfolge im Vordergrund, sondern ihre Rolle als öffentliche Figur. „Als eine der wenigen schwarzen Frauen im Tennis, als Frau mit einer Hintergrundgeschichte und einem Körper, der nicht der bevorzugten Mythologie des Sports entsprach“ wollte sie eine Botschaft transportieren, so die „New York Times“: „Sie zerschmetterte Barrieren, von Hautfarbe (im Original: race), Alter und sozialer Schicht, und sie zerschmetterte die alten Dresscodes des Tennis.“ Sie habe Mode wie ein Instrument genutzt, als „Waffe des Wandels“.

Serena Williams bei den French Open 2019
Reuters/USA Today Sports/Susan Mullane
„Mutter“ und „Göttin“: Eindeutige Botschaften bei den French Open 2019

Waren ihre ausgefallenen Outfits zu Beginn ihrer Sportkarriere noch ein Spiel gegen die Konformität, wurden sie im Lauf der Zeit zu Statements. Falls jemand nicht verstehen wollte, half Williams auch mal nach, etwa mit schriftlichen Botschaften auf der Kleidung. „Mutter, Champion, Königin, Göttin“ stand etwa auf Französisch 2019 auf ihrer eigenwilligen Sportkreation, die sie bei den French Open trug. Mit ihrer Unangepasstheit hielt Williams dem Tennissport mitunter einen Spiegel vor, nicht immer ohne Folgen.

Serena Williams bei den French Open 2018
Reuters/Gonzalo Fuentes
Der „Catsuit“ war bei den Französinnen und Franzosen nicht gern gesehen

Legendär wurde etwa ihre Auseinandersetzung mit den French Open im Jahr davor – Williams hatte einen hautengen Ganzkörperanzug, den berühmt gewordenen „Catsuit“, zum Match getragen. Eigentlich sollte er helfen, Williams nach der schwierigen Geburt ihrer Tochter vor weiteren Blutgerinnseln zu schützen. Außerdem habe sie sich darin gefühlt „wie eine Superheldin, eine Kriegerin, die Königin von Wakanda“, wie sie selbst sagte.

Für den Französischen Tennisverband (FFT) war der Auftritt allerdings zu viel, er verschärfte in der Folge die Kleiderordnung, ein solches Outfit werde man zukünftig nicht mehr dulden, so FFT-Vorsitzender Bernard Giudicelli damals: „Der Sport und der Platz müssen respektiert werden.“ Williams’ Antwort auf jene, die „weiblichere“ Kleidung am Platz wünschten, war deutlich: Am nächsten Tag spielte sie im Tutu.

Tennis und Mode ist mehr als Tennismode

Williams ist selbst längst ins Fashion-Business eingestiegen. 2018 tat sie es ihrer Schwester Venus gleich und gründete ihre eigene Modelinie, beide hatten zuvor das Art Institute of Fort Lauderdale besucht. Zwei Jahre später brachte sie „S by Serena“ auf die New York Fashion Week, wo sie bis dahin Dauerzaungast war. Unter dem Dach ihres Werbepartners Nike gründete sie die Serena Williams Design Crew, die junge Designerinnen und Designer fördert.

Serena Williams und Anna Wintour
Reuters/Joshua Lott
Freundschaft und Modebegeisterung: Venus und Serena Williams mit Anna Wintour

Die Leidenschaft für Mode brachte sie mit der berüchtigten „Vogue“-Chefin Anna Wintour zusammen, die beiden verbindet eine enge Freundschaft. Schon 1998, drei Jahre nach Start ihrer Profikarriere, kam sie zusammen mit Venus das erste Mal auf das Cover der Modebibel, es sollte nicht das einzige Mal bleiben.

Serena Williams bei der Metgala 2019
Reuters/Mario Anzuoni
Als Modeikone bei der Met Gala 2019: Unter dem Versace-Kleid trug sie Tennisschuhe

Feminismus auch abseits des Courts

Ihre Frauenfreundschaften zelebrierte Williams stets öffentlich, als wortloses Statement der Solidarität. Bestes Beispiel dafür ist ihre Verbindung zu Herzogin Meghan, der sie beistand, als misogyn und rassistisch motivierter Hass über sie hereinbrach. Williams war etwa auch der erste Gast in Meghans Podcast „Archetypes“. Das Thema war Ehrgeiz – und wie der Charakterzug bei Frauen und Männern unterschiedlich wahrgenommen wird. „Hoffentlich können wir Mädchen beibringen, weiterhin ihre Hand zu heben und keine Angst zu haben“, sagte Williams.

Serena Williams und Alexis Ohanian
Reuters/Gareth Fuller
Williams mit Ehemann Alexis Ohanian, dem Mitbegründer der Onlinecommunity Reddit. Gemeinsam waren sie zu Gast bei der Hochzeit von Meghan und Prinz Harry.

Im Vorfeld des großen Abschieds würdigten Williams freilich zahllose Wegbegleiter. Rafael Nadal nannte sie eine „Legende“, die junge US-Tennisspielerin Coco Gauff sagte: „Bevor Serena kam, gab es keine Ikone des Sports, die so aussah wie ich. Als ich aufwuchs, dachte ich nie, dass ich anders bin, weil die Nummer eins der Welt jemand war, der so aussah wie ich.“

Nachdem sie in der „Vogue“ ihren Abschied nach den US Open ankündigt hatte, begann der Countdown, ihre Spiele wurden noch genauer beäugt als sonst. Schon das Spiel gegen die Weltranglistenzweite Anett Kontaveit wurde als das letzte für Williams angesehen. Überraschend aber siegte die 40-Jährige, einmal mehr „against the odds“. Williams kam noch einmal weiter, dennoch wurde die vorbereitete Abschiedszeremonie im Arthur Ashe Stadium schon abgehalten. Das Publikum verneigte sich und stimmte wiederholt Liebeschöre an. Sie selbst gab sich bescheiden: „Ich bin nur Serena.“

Nun dürfte der Abgang der „Königin des Tennis“, wie die US Open sie titulieren, tatsächlich bevorstehen. Doch Williams will sich offenbar auch hier ihre Optionen offenlassen. Nach der Niederlage gegen Tomljanovic sagte sie über eine mögliche Rückkehr: „Ich denke nicht, aber man weiß nie. Ich weiß es nicht.“