Iggy Pop bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus
APA/Eva Manhart
Iggy Pop in Wien

Kein Leiberl fürs Konzerthaus

Iggy Pop im bestuhlten Konzerthaus? Das klingt wie ein Witz. Und den galt es, am Freitagabend in Wien aufzulösen. Deshalb: Jacke aus, Spucke raus – und mit der alten Lederhaut Richtung Publikum, das rasch Richtung Bühne stürmte. Iggy gab auch hinkend den Unzerstörbaren. Und das Publikum nahm’s dankbar an.

Ganz wie in alten, zugedröhnten Zeiten ließ der Sänger seine Fans eine Weile warten. Erst, als Buhrufe und ungeduldige Pfiffe laut wurden, enterte Iggy Pop am Freitagabend die Bühne des Wiener Konzerthauses. Dann ging alles ganz schnell: ausgestreckter Mittelfinger. Quer über die Bühne geschleuderte Spuckebatzen. Jacke aus, Oberkörper nackt, und mit der Hand tief hineingefasst in die eigene Hose.

Die Dramaturgie der Provokationen saß. Der eigene Körper, wenn auch vom intensiven Lebenswandel ramponiert, ledrig, krumm und mit einem Hinken verblieben, ist das Instrument, das Iggy Pop beherrscht. Dass seine Stimme dagegen, vor allem bei langsameren Nummern, brüchig wirkte, konnte man dem 75-Jährigen nicht verübeln. Schließlich war der Konzertabend in Wien, der – wie es heißt, ebenfalls wegen Stimmproblemen – im Vorfeld von 7. Juli auf den 2. September 2022 verschoben worden war, die letzte Station einer langen, schon im Mai gestarteten Europatournee.

Iggy Pop bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus
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Iggy-Grandezza: Der Anzug blieb nur kurz

Iggy, der Unzerstörbare

Begonnen hat Iggy Pop, bürgerlich James Osterberg, seine Karriere 1963 in Ann Arbor/Michigan als Schlagzeuger der Band Iguanas, von der sich auch sein selbstgewählter Vorname ableitet. Von den Drums wechselte er als Sänger ans Mikrofon der Stooge“, die mit vorwärtspeitschenden, repetitiven Nummern wie „I Wanna Be your Dog“ oder „Search and Destroy“ (beide an diesem Abend zu hören) als Wegbereiter des Punk gelten. Eine Fanbase schuf er sich damals auch durch seine erotisch-suggestiven, zugleich aggressiven Bühnenauftritte. Pop trug Bikinislips, hautenge Latexhosen, die beim Tanzen platzten, und rasierte sich die Augenbrauen. Er flirtete mit dem Publikum, nur um es kurz darauf zu beschimpfen, wälzte sich in Scherben und ließ sich mit Bierflaschen bewerfen. „Indestructible Iggy“, den Unzerstörbaren, nennt ihn sein Biograf, Paul Trynka („Open Up and Bleed“).

Iggy Pop bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus
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„Open Up and Bleed“ – Versprochen gehalten

Stofftiere statt Bierflaschen

Nach diversen Alkohol- und Drogentiefs ist es erstaunlich, dass der Sänger überhaupt noch auftritt und sich musikalisch immer wieder neu erfinden konnte. Nach der Auflösung der The Stooges 1974 startete er eine Solokarriere, deren größte, von David Bowie mitproduzierte Hits „The Passenger“ und „Lust for Life“ im Konzerthaus natürlich auch auf der Setlist standen. Nur, dass diesmal statt Flaschen Stofftiere flogen – darunter ein weißer Plüschpapagei, den der Sänger, selbst Kakadubesitzer (siehe Link unten), auffing, um sich an ihn zu schmiegen. Die Zeiten ändern sich. Mancher wird im Alter weicher. Nur die Texte bleiben hart.

Denn als musikalisch eindrucksvollste Nummer blieb kurz vor dem Schlussapplaus „I’m sick of you“ im Gedächtnis. Für die Darbietung ging der Sänger kurzzeitig auf die Knie und ließ sich wirklich auf die eingestreuten Blechbläserarrangements der Band ein. „I’m sick of you“ ist ein unversöhnlicher Song aus dem Jahr 1980, in dem der Musiker die Trennung von Betsy Mickelsen besingt. Laut Biografen Trynka war der Sänger Anfang der 1970er Jahre mit der damals 14-Jährigen zusammen. Er habe sie damals mit Drogen in Kontakt gebracht, geschwängert und schließlich verlassen, so der Autor.

„Goodbye, Betsy, I’m going away. I’m sick of you and I don’t wanna stay", ich habe dich satt, Betsy, und will nicht mehr bleiben, heißt es im Text, der – wenn Trynka mit seiner Darstellung recht hat – den Sänger nicht eben sympathisch erscheinen lässt.

Iggy Pop bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus
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Wer eine Panzerkette hat, braucht kein Shirt

Jazzeinflüsse im aktuellen Album

Während seiner Karriere arbeitete Pop mit vielen Musikerinnen und Musikern zusammen: Am berühmtesten ist wohl die kreative Symbiose zwischen ihm und David Bowie. Für sein vorerst letztes Studioalbum Free (2019) tat er sich mit der Avantgarde-Gitarristin Sarah Lipstate aka Noveller und dem New Yorker Jazztrompeter Leron Thomas zusammen, die nun in Wien als Teil der sechsköpfigen Tourband mit auf der Bühne standen – Lipstake an der E-Gitarre, Thomas an der Trompete.

Iggy Pop bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus
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Konzerthaus-Bilder, wie man sie eher selten sieht

Von diesem letzten, sich Richtung Freejazz und Ambient streckenden Album waren beim Konzert nur einige Stücke zu hören, darunter das tranceartig schwebende Konzertintro, sowie die eingängigsten Nummern, „James Bond“, „Loves Missing“ und „Page“. Warum die Tourband dennoch vorwiegend aus Jazzmusikern, darunter einem Trompeter und einem Posaunisten, bestand, war nicht ganz nachvollziehbar: Tatsächlich wirkte der Sound einiger älterer Songs, ohne klare Ein- und Ausstiege, dafür mit Bläserarrangements verbrämt, etwas unscharf und verwaschen.

Mit den jungen Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne interagierte Iggy Pop an diesem Abend auch kaum, dafür umso mehr mit dem Publikum. Er, der als Erfinder des Stagediving gilt, ging zwar nicht so weit, ins Meer der ausgestreckten Arme zu springen. Doch die Berührung mit der ersten Reihe genoss er sichtlich: ein Fistbump hier, ein Handshake dort und immer wieder der Ruf an die Beleuchter: „Gimme more light!“ – so, als könnte man ihn, Iggy, jemals übersehen.