Wien Energie Chef Michael Strebl
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Wien-Energie-Chef Strebl

Spekulationsgeschäfte „dezidiert verboten“

In der Causa Wien Energie hat sich nun auch Unternehmenschef Michael Strebl erstmals öffentlich zu Wort gemeldet. Strebl verteidigte am Donnerstag das Vorgehen des in finanzielle Turbulenzen geratenen Energieunternehmens. Demzufolge sei man „an der Börse tätig, um die Versorgung unserer Kundinnen und Kunden sicherzustellen“. Spekulative Geschäfte habe es keine gegeben, diese seien laut Strebl bei Wien Energie vielmehr „dezidiert verboten“. Auch das Krisenmanagement habe nicht versagt: Wien Energie sei aber von einer „Tsunami-Welle voll erwischt worden“.

Die weitere Argumentationslinie erscheint bekannt: Auch Strebls Angaben zufolge habe etwa niemand vorhersagen können, dass kurzfristig derart hohe Kautionsleistungen schlagend werden. Zurückzuführen sei das auf den plötzlich gestiegenen Strompreis, der sich von vergangenem Donnerstag auf Freitag aus heiterem Himmel verdoppelt habe. So habe sich dann auch der „Horrorwert“ von 1,75 Mrd. Euro an kurzfristigem Liquiditätsbedarf ergeben. „Ich bin seit 28 Jahren in der Energiewirtschaft, so etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Von Verlusten könne man dabei jedoch nicht sprechen, meinte Strebl. Es handle sich um übliche Vorgänge, „das sind Kautionen, die wir zurückbekommen“. In Bedrängnis sei man nur aufgrund der enormen Größe der zu bedienenden Sicherheitsleistungen an diesem „Schwarzen Freitag“ gekommen. Zwar hätten sich schon im Zuge des Ukraine-Krieges schwere Turbulenzen auf den Märkten abgezeichnet. Auch sei folglich klar gewesen, „dass die Kautionen steigen“.

Wenig Verständnis für „Ferndiagnosen“

Die Energiepreise seien schon lange stark gestiegen, wie Strebl im „Wien heute“-Interview weiter ausführt. Man habe „gesehen, dass es hier zu Verwerfungen kommt. Wir haben die Liquiditätsreserven erhöht. Wir haben auch unsere Gespräche mit den Banken geführt, um hier Möglichkeiten zu haben“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Wien Energie: Geschäftsführung verteidigt sich

Michael Strebl, der verantwortliche Geschäftsführer der Wien Energie, hat am Donnerstag erstmals Stellung zu den finanziellen Turbulenzen genommen. Er hat „Wien heute“-Moderator Lukas Lattinger ein ausführliches Interview gegeben.

In dieser Dimension sei das aber nicht zu erwarten gewesen, auch nicht seitens des Krisenmanagements, das die Situation evaluiert und diverse Stresstests durchgeführt habe. Außerdem seien Spekulationsgeschäfte bei Wien Energie dezidiert verboten. Für in diese Richtung gehende „Ferndiagnosen“ habe er daher nur wenig Verständnis. Die Abwicklung der Geschäfte über die Börse verteidigte Strebl. Der außerbörsliche Handel etwa sei mit größeren Ausfallsrisiken verbunden, argumentierte er. Wende man sich hingegen dem Spotmarkt zu, gerate man rasch in die Lage, letztlich doch Spekulationsgeschäfte tätigen zu müssen.

Schutzschirm für Branche gefordert

Auf die Frage, warum letztlich der Staat und nicht etwa Banken für den Liquiditätsbedarf aufkamen, verwies der Wien-Energie-Chef auf „die unglaubliche Kurzfristigkeit“ der Ereignisse. Oberstes Ziel sei es in dieser Lage gewesen, die Versorgung der Kundinnen und Kunden aufrechtzuerhalten.

Allgemein wertete er die Turbulenzen bei Wien Energie als Auswüchse „eines europäischen Marktmodells, das komplett versagt hat“. Wirklich problematisch werde es abgesehen von seinem Unternehmen dann, sollten die „irren Preissauschläge“ bei den Energiekonsumenten ankommen, sagte Strebl, der sich selbst keineswegs als „Anhänger der staatlichen Energiewirtschaft“ sieht. Er gehe davon aus, dass sich die Situation auf dem Markt mittelfristig wieder beruhigen werde. Bis dorthin gelte es, einen Schutzschirm über die Branche zu spannen, wie das etwa in Deutschland bereits geschehen sei.

Vertrag zwischen Wien und Bund abgesegnet

Seit Donnerstag hat unterdessen die Wiener Landesregierung einen Vertrag mit der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) über einen bis zu zwei Milliarden schweren Kredit abgesegnet. Dieser besagt, dass der Bund dem Land Wien einen Betrag bis zur genannten Höhe kurzfristig für die Wien Energie zur Verfügung stellt. Im Schreiben zum entsprechenden Umlaufbeschluss wird gewarnt, dass es ohne die Vereinbarung zu einem Versorgungsaus kommen könnte – mehr dazu in wien.ORF.at.

Geld innerhalb von zwei Stunden abrufbar

In dem der APA vorliegenden Vertrag zwischen Bund und Wien wird festgelegt, dass die Kreditlinie innerhalb von zwei Stunden abrufbar ist. Sie wird bis April 2023 gewährt. Die Stadt wird auch verpflichtet, dem Bund Bericht über die Sicherstellung der Energieversorgung durch die Wien Energie zu erstatten. Schon bis 15. September muss Wien dem Bund klarlegen, aus welchen Gründen es zu einer „angespannten Liquiditätssituation“ gekommen ist.

Der Vertrag läuft bis April 2023. So lange wird auch ein Vertreter des Bundes in das Aufsichtsgremium der Wien Energie entsendet. Rückflüsse müssen „umgehend“ an die OeBFA zurückgezahlt werden. Wien verpflichtet sich zudem, dass die Gehälter der Mitarbeiter des Unternehmens nicht unangemessen im Vergleich zu jenen der Gemeindeverwaltung ausfallen. Auch für Prämien und Gewinnausschüttungen gibt es strenge Regeln. Es dürften dafür keinesfalls die bereitgestellten Mittel herangezogen werden.

Ludwig: „Versorgungssicherheit immer gewährleistet“

Ludwig beteuerte im Ö1-Morgenjournal einmal mehr: „Die Versorgungssicherheit war und ist immer gewährleistet. Wir wollten mit dem Wiener Schutzschirm sicherstellen, dass die Wien Energie den Handel an der Börse entsprechend unterfüttern soll.“ Er versicherte: Man brauche die Mittel, die nun zur Verfügung stünden, nun nicht, aber es sei nötig gewesen, einen Rahmen festzulegen. „Bis jetzt haben wir keinen Euro Steuergeld benötigt.“

Der Koalitionspartner NEOS sei informiert gewesen, sagte er. Und man habe schon im März darauf hingewiesen, dass Österreich ein Schutzschirm brauche, wie es ihn in anderen Ländern gebe. Aus dem Handel zu gehen, hätte bedeutet, dass man die Versorgungssicherheit aufs Spiel gesetzt hätte. Er habe Vertrauen, dass die Wien Energie die richtigen Maßnahmen getroffen habe.

Wiederkehr: Krisenmanagement „katastrophal“

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr bestätigte gegenüber „Wien heute“, dass er über den Kreditrahmen über 700 Millionen Euro an die Wien Energie seit Mitte Juli informiert gewesen sei. Relevant sei aus seiner Sicht jedoch, ab wann die finanzielle Schieflage bestanden habe. Er habe erst am Sonntag erfahren, „dass es so brenzlig ist, dass die Wiener Energie hier dringend zusätzliches Geld benötigt“, so Wiederkehr, der gleichzeitig das Krisenmanagement der Wien Energie als „wirklich katastrophal“ abkanzelte – mehr dazu in wien.ORF.at.

Vizebürgermeister Wiederkehr im Interview

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr von NEOS spricht unter anderem über die Vorgänge der Wien Energie.

Der Umstand, dass die Wien Energie Milliardenhilfe in Form von Krediten benötigt, um eine weitere Teilnahme am Markt sicherzustellen, sorgt auch bei der Opposition weiter für Kopfschütteln. So präsentierte die FPÖ am Donnerstag eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) soll dem FPÖ-Vorwurf zufolge durch die Ausübung seiner Notkompetenz im Juli die Stadtverfassung gebrochen haben.

Geht es nach dem ehemaligen Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, seien die von der Wien Energie getätigten Geschäfte wohl durchaus branchenüblich. Die Wien Energie habe aber womöglich „ihr Risiko nicht im Griff“ und „offensichtlich zu große Volumina gehandelt“, wie Boltz am Mittwoch in der ZIB2 anmerkte. Für die Aufklärung einiger „Ungereimtheiten“ bedürfe es aber noch einer „detaillierten Analyse“.

Mehr Kompetenzen für E-Control?

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) stellte unterdessen eine Ausweitung der Kompetenzen der Regulierungsbehörde E-Control in den Raum. Die Behörde ist dafür zuständig, dass der Strommarkt ohne Marktmanipulationen funktioniert, habe aber keine Einsichtsrechte bei den einzelnen Unternehmen. E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch begrüßte den Vorstoß im Ö1-Morgenjournal.

E-Control-Vorstand Urbantschitsch zur Wien Energie

E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch über die Situation der Wien Energie, für die die Stadt Wien vom Bund einen Kreditrahmen von zwei Milliarden Euro gewährt bekommen hat.

Mehr Berichtspflichten der Energieunternehmen über ihre Kapitalstruktur und Liquidität könnten die Aufsichtsmöglichkeiten der E-Control verbessern, so Urbantschitsch. Derzeit habe die E-Control keine Einsicht in diese Art von Unternehmensdaten. Gegenüber der ZIB2 verwies Urbantschitsch schließlich auch auf Möglichkeiten einer Risikominimierung.

Eine sei, dass man sich zumindest teilweise vom Börsenhandel zurückzieht, „und wenn man das tut, dann fallen diese Nachdotierungen weg, und damit setzt man sich diesem Risiko zumindest in diesem Maßstab nicht mehr aus“. Bei Nichterbringen der Sicherheitsleistungen hätte ein „Schreckensszenario“ samt Börsenausschluss und etwaigen Versorgungsproblemen gedroht – und man sei froh, dass das nicht eingetreten ist.