Szenenbild aus Die Dubarry
Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Volksoper

Viel Slapstick für den Neustart

Breiter, jünger wollen, ja müssen Opernhäuser dieser Tage sein. Die Wiener Volksoper versucht es unter der neuen Chefin Lotte de Beer mit der Operette „Die Dubarry“, die vom Aufstieg des Arbeitermädchens Jeanne Becu zur geadelten Mätresse Ludwigs XV. erzählt. Dass Harald Schmidt den französischen König spielt, sich die Operette zugleich am k.u.k-Hofstaat abarbeitet, sorgt nicht immer für Stimmigkeit, wohl aber für Überdosen an Slapstick zu einem Werk, das auch vor den Debatten der Gegenwart nicht geschont wird.

„Man muss vergessen, dann kommt das Glück zurück“ – es ist ein sehr österreichischer Leitspruch, der in einer der zentralen Arien der Operette „Die Dubarry“ steht. Theo Mackeben, ein durchaus von den Arbeiten Janaceks inspirierter Musiker und Dirigent, hat dieses Werk auf der Grundlage einer Operette des Wiener Kapellmeisters Carl Millöcker, immerhin einem der großen Drei in diesem Fach im 19. Jahrhundert, überarbeitet und in die Revuewelt der unsicheren frühen 1930er Jahren transportiert.

Dass die neue Chefin im Haus am Gürtel genau auf das Format Operette setzt, mag für die Volksoper nicht überraschend wirken, immerhin ist sie ja das populäre Haus für das populäre Fach. De Beer will die Operette aber durchaus programmatisch verstehen für die Zeit, in der wir leben – und für eine nötige Öffnung Richtung neuer Schichten.

Harald Schmidt als König Ludwig
Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Alles flockig in Versailles: Harald Schmidt dirigiert beim Einstand das Orchester, als wäre sein ehemaliger Bandleader Helmut Zerlett im Graben

Eine Frau kennt ihre Optionen

In diese Gedankenwelt soll denn „Die Dubarry“ mit dem darin verhandelten Stoff passen: Jeanne Becu, das Arbeitermädchen, das über ihre Arbeit als Verkäuferin in einem Modeatelier bis an den Hof des Königs kommt und dabei dem sozialen Aufstieg den Vorzug einer Bohemien-Liebe zum Maler Rene Lavallery gibt, ist weniger ein modernes Märchen als die Geschichte einer Frau, die ihre Optionen kennt.

TV-Hinweis:

ORF III zeigt die Aufzeichnung der „Dubarry“-Premiere am Sonntagabend um 20.15 Uhr.

Möglich, dass die Wienerin Dubarry, gesungen von Anette Dasch, ahnen konnte, dass hier Ludwig XV. in Gestalt von Harald Schmidt dasitzen wird, der die Schaukastenwelt in eine Harald-Schmidt-Show verwandeln soll. Da steht das Fach Kopf, und auch die sozialen Welten und Normen sind mit dem Slapstick am Schluss verdreht, wenn der König die künftige Mätresse wie einst den Superstar seiner Show befragt und dabei noch die Welt des „alten weißen Mannes“ auf die Schaufel nehmen muss.

Alles ein bisschen viel, darf man vermuten, und tatsächlich ist es ein Abend der Überambitionen. Auch, dass man einerseits die Wiener Hofkultur auf die Schippe nimmt, um wenig später doch im Versailles des 18. Jahrhunderts herumzutänzeln, hilft zwar beim Pointenfeuerwerk, aber nicht für das, was man gern Stimmigkeit nennt. Aber vielleicht muss und darf man es ja auch eher als bunten, sehr bunten Abend sehen.

Harald Schmidt im Gespräch

Harald Schmidt spielt König Ludwig XV. in „Die Dubarry“.

Varietee trifft auf den Schaukasten

Wozu also der Romantik frönen, wenn der Weg nach oben eben eine Frage des Mitteleinsatzes ist – und die deklarierte Liebe zum König am Ende vielleicht doch auch nur die Liebe zum schönen Schein, der immerhin eine gesicherte soziale Stellung bedeutet? Solchen Fragen stellt sich die Inszenierung von Regisseur Jan Philipp Glogger im Varieteestil und lässt dabei die Operettenwelt des 19. Jahrhunderts in Drehbildern am Publikum vorbeiziehen. Leider ist das Handlungsgerüst der Vorlage neben ein paar bekannten eingängigen Melodien schon recht fragil, sodass die dauernde Erweiterung des Stoffes samt dem Harald-Schmidt-Slapstick nicht den Zusammenhalt der Teile erhöht.

Annette Dasch (Jeanne Beçu), Lucian Krasznec (René Lavallery) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Anette Dasch, die nicht mehr in die Bilderwelt des Malers einsteigen kann, und Lucian Krasznec in der Rolle des letzten Romantikers Lavallery

Sängerisch beweist die extra hergeholte Dasch als Jeanne Becu und spätere Gräfin Duberry ihr Niveau, wenngleich am Zusammenklang noch Luft nach oben ist. Lucian Kraszenec müht sich als Maler Rene um Romantik und auch entsprechende Ausdrücke. Allein ist an diesem Abend das Funktionieren aller Pointen und Promiauftritte gefragt. So darf man Harald Schmidt, der ja eigentlich eine Bariton-Rolle innehätte, aber nur zum Schmähtandeln herhalten soll, am Schluss auch als Sänger hören, wenngleich sein Part zum Text „So ist sie, die Dubarry“ überschaubar kompliziert ist. Doch wann hat man den Showmaster schon so ernsthaft im Opernfach gehört?

Proben zu „Die Dubarry“

„Die Dubarry“ – mit einer Wiener Operette eröffnet Lotte de Beer die Saison als erste Direktorin der Wiener Volksoper. Im historischen Stoff geht es um den sozialen Aufstieg des Arbeitermädchens Jeanne Becu zur Gräfin Dubarry.

„Ein perfektes Genre“

„Operette ist das perfekte Genre für eine Welt, die nicht mehr so komfortabel und sicher ist wie vor 20 Jahren. Gerade in dunklen Zeiten brauchen wir Unterhaltung“, meinte die neue Chefin de Beer gegenüber ORF.at im Vorfeld. „Die ersten Operetten von Offenbach waren Entertainment, satirisch, politisch unkorrekt und stets mit einem Augenzwinkern. Man ging in die Operette, um über die Absurdität des Lebens zu lachen. Doch sie hatten auch herrliche Melodien, die den Hörer umarmten: die Musik, die Poesie, die Schönheit, das hat Ewigkeitswert, die Texte, die Sprache, der Humor haben hingegen ein Ablaufdatum.“

Ihre Aufgabe, so de Beer, sei es, die beißende Satire, den prickelnden Humor, das Politische ins Heute zu führen. Ob das gelungen ist, darf jede und jeder am Sonntagabend um 20.15 Uhr in ORF III überprüfen (und danach noch in tvthek.ORF.at).

Lotte de Beer & Omer Meir Wellber
David Payr / Volksoper Wien
Lotte de Beer und ihr neuer Musikchef Omer Meir Wellber

Beginn und Programmatik

Dass die Niederländerin Lotte de Beer ausgerechnet mit dieser Oper in ihre erste Volksopern-Saison startet, kann kein Zufall sein. Die „Waffen der Frau“ sind in diesem Stück wirkungsvoll eingesetzt. Für die erfolgreiche Regisseurin de Beer, die zuletzt mit Janaceks „Janufa“ am Theater an der Wien von sich reden machte, ist die Intendanz eine neue Herausforderung, noch dazu auf dem nicht immer leichten Pflaster Wien, wo schon die Platzhirsche gern vorgeben, wer zu akzeptieren sei und wer nicht.

Zur Person

De Beer studierte zunächst in Maastricht Gesang und Klavier und später Schauspiel und wechselte später ins Regiefach in Amsterdam. Peter Konwitschny entdeckte sie schließlich für den deutschsprachigen Raum und realisierte mit ihr an der Seite mehrere Produktionen, bevor sie an der Oper Leipzig mit „Clara S.“ von Nicoleta Chatzopoulo debütierte.

„Mir gefällt der Name Volksoper, das Repertoirehaus für das Volk, mit vier verschiedenen Sparten, in dem wir Geschichten mit Musik, Theater und Tanz und allem dazwischen erzählen“, erläutert sie ihren Zugang. Brücken bauen müsse sie, zwischen einem Publikum mit einem traditionellen Geschmack und neuen Schichten, so de Beer.

Dorthin gehen, wo die Menschen sind – mit diesem Anspruch möchte sie raus in die Stadt und hat hierfür das Opernstudio gegründet, in dem junge Künstlerinnen und Künstler ein Programm erarbeiten, mit dem man direkt in die Stadt hinausziehen mag. Freilich muss man den Jungen wohl noch genauer erklären, warum die Operette für sie in Zeiten von TikTok eine Alternative sein kann. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Neue Farben, außen wie innen

Außen hat die Volksoper jedenfalls einen neuen, rosigen Anstrich bekommen. Innen soll der energiegeladene Omer Meir Wellber als neuer Musikdirektor frischen Wind verbreiten. Nach der „Dubarry“ folgen unter anderem auch die Wiederaufnahme von Rossinis „La Cenerentola“ und am 6. September eine Neueinstudierung der Strauß’schen „Fledermaus“ durch Carsten Süss.