Regisseur Ulrich Seidl
APA/AFP/John Macdougall
Bei Filmdreh mit Kindern

Schwere Vorwürfe gegen Ulrich Seidl

Das deutsche Magazin „Spiegel“ erhebt schwere Vorwürfe gegen den renommierten österreichischen Regisseur Ulrich Seidl. Am rumänischen Set zu seinem neuen Film „Sparta“, bei dem es um Pädophilie geht, soll gegen die Kinderrechte minderjähriger Laienschauspieler verstoßen worden sein. Seidl wies die Vorwürfe zurück und kündigte rechtliche Schritte an.

Laut „Spiegel“ waren weder die am Film beteiligten Kinder noch deren Eltern korrekt über das Filmthema informiert worden. Einer der „Spiegel“-Journalisten, Bartholomäus Laffert, sprach nach eigenen Angaben mit neun Crewmitgliedern und sieben minderjährigen Schauspielern und deren Eltern in Rumänien. Die Kinder konnten laut dem Bericht teils nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.

So soll ein Schauspieler, der einen Alkoholiker spielt, in einer Szene einen Buben an sich drücken und ihm Wasser in ein Schnapsglas schütten. Dann sagt er ihm laut „Spiegel“, „er solle ‚den Schnaps‘ trinken“. Erst nach zehn Minuten Drehzeit soll Seidl abgebrochen haben. Das Kind hat laut „Spiegel“ selbst einen alkoholsüchtigen Vater, von dem sich die Mutter erst kurz davor getrennt hatte. Er habe sich an seinen Vater erinnert gefühlt, so der mittlerweile 13-Jährige laut dem Magazin.

Vorwürfe gegen Ulrich Seidl

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl hat in Rumänien seinen neuen Spielfilm „Sparta“ gedreht. Der Film handelt von einem Mann mit pädophilen Neigungen. Nun gibt es Vorwürfe gegen den Regisseur: Die Familien der am Dreh beteiligten Kinder seien über das Filmthema nicht vollständig informiert worden.

Ein Crewmitglied habe dem Regisseur vorgeworfen, den familiären Hintergrund des Buben, der im Dreh mit dem alkoholisierten Hauptdarsteller konfrontiert wurde, genau gekannt zu haben. Der Bub sei bewusst gewählt worden, um echte Emotionen filmen zu können.

Kinder sollen, so fasste es die Mittags-ZIB zusammen, auf dem Set teils mit ihren Traumata konfrontiert worden sein. Den Eltern sei nur erzählt worden, dass es in dem Film um Judo und Fußball gehe. In keinem der Verträge dieser Minderjährigen stand laut Laffert etwas von der Thematik Pädophilie.

Seidl: Artikel „diffamiert meine Arbeitsweise“

Seidl wies alle Vorwürfe zurück und kündigte rechtliche Schritte an. In einer schriftlichen Aussendung betonte Seidl, in dem „Spiegel“-Artikel würden eine „unzutreffende Darstellung, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse am Set von ‚Sparta‘ zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild montiert“. „Meine Arbeitsweise (wird, Anm.) diffamiert und mir Intentionen unterstellt, die weiter weg von der Wirklichkeit gar nicht sein könnten“, heißt es vonseiten des Erfolgsregisseurs.

„In allen meinen Filmen, in meinem gesamten künstlerischen Werk verlange ich nach Empathie für die Angeschlagenen und Abgestürzten, für die Abgedrängten und Geächteten: Ich stelle sie nicht an den (moralischen) Pranger, sondern fordere dazu auf, sie als komplexe und auch widersprüchliche Menschen wahrzunehmen“, so Seidl.

„Die daraus sich ergebenden Ambivalenzen zwischen Fürsorge und Missbrauch zu erkennen und zu beschreiben, hinzuschauen, anstatt wegzusehen und sie damit auszublenden – darin sehe ich eine wesentliche Verantwortung – als Künstler und als Mensch.“

Seidl: Kinder niemals gedrängt

Die Kinderdarsteller seien wie alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler niemals gedrängt worden, vor der Kamera Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten. Auch seien die jugendlichen Darsteller durchgehend betreut worden. Und selbstredend seien die Eltern vor den Dreharbeiten über alle wesentlichen Inhalte des Films unterrichtet worden, stellt Seidl die vom „Spiegel“ gemachten Vorwürfe in Abrede: „Nie haben wir beim Dreh die Grenzen des ethisch und moralisch Gebotenen überschritten.“

Die Dreharbeiten erstreckten sich vom Winter 2018/2019 bis zum Sommer 2019. Dass die Kinder in dieser langen Zeit dabeiblieben, führte Seidls Anwalt gegenüber dem „Spiegel“ als Beleg gegen die Vorwürfe ins Treffen. Die im „Spiegel“-Artikel erhobenen Vorwürfe beziehen sich laut der Recherche vor allem auf die letzte Phase der Drehzeit.

Gesetzliche Regeln für Drehs mit Kindern

In Österreich gibt es klare Regeln bei Dreharbeiten mit Minderjährigen, festgelegt sind diese im Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz. Drei zentrale Bedingungen müssen erfüllt sein: Es braucht psychologische Betreuung durch pädagogisch geschultes Personal am Set. Minderjährige dürfen maximal vier Stunden auf einmal arbeiten, und es braucht ein ärztliches Attest, dass die Kinder geistig und körperlich geeignet sind. Ähnliche Regeln gelten laut „Spiegel“ auch in Rumänien.

Der Film soll in wenigen Tagen beim Filmfestival in Toronto Weltpremiere feiern. Noch ist unklar, ob es dabei bleibt. Beim Festival von San Sebastian – wenige Tage später – soll der Streifen seine Europapremiere erleben. Im Frühjahr 2023 ist der Kinostart geplant.

„Sparta“ wurde wie auch andere Seidl-Filme mit Förderungen der öffentlichen Hand mitfinanziert. Seidl, der zunächst Dokus machte und mit „Hundstage“ seinen ersten Spielfilm drehte, ist bekannt dafür, Tabuthemen aufzugreifen und Menschen und Schicksale direkt bis schonungslos zu zeichnen. Dieser Stil brachte ihm mehrere Preise ein, allen voran den Großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig 2001 für „Hundstage“.

Schneeberger (ORF) zu Vorwürfen gegen Seidl

Peter Schneeberger (ORF) ist zu Gast im Studio und spricht über die Vorwürfe gegen Regisseur Ulrich Seidl. Seidl drehte in Rumänien seinen neuen Spielfilm „Sparta“, der pädophile Neigungen behandelt. Nun gibt es Vorwürfe gegen den Regisseur wegen der Missachtung von Kinderrechten.

Zweiter Teil zu „Rimini“

Bei „Sparta“ handelt es sich um das „Bruderstück“ zu Seidls letztem Film „Rimini“, der bei der heurigen Berlinale seine Premiere feierte und bei der Diagonale zum besten Spielfilm gekürt wurde. Ursprünglich war es als ein Film geplant, Seidl entschied sich dann aber, zwei getrennte Filme daraus zu machen. In „Rimini“ wird der eine Bruder, Richie Bravo, porträtiert, der in dem italienischen Badeort vor Seniorinnen auftritt. In „Sparta“ geht es um dessen Bruder Ewald, dargestellt von Georg Friedrich.

Der Mittvierziger Ewald hat seine Freundin verlassen, um in der rumänischen Einöde einen Neuanfang zu wagen. Dort baut er mit Burschen aus der Umgebung ein verfallenes Schulgebäude zu einer Festung aus. Damit erregt er den Argwohn der Dorfbewohner, und Ewald entdeckt seine pädophile Neigung und muss sich einer lange verdrängten Wahrheit stellen.

Seidl zeichnet nicht nur für die Regie, sondern gemeinsam mit Veronika Franz auch für das Drehbuch verantwortlich. Neben Friedrich sind in weiteren Rollen Florentina Elena Pop, der bereits verstorbene Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat und Octavian-Nicolae Cocis zu sehen.