Harald Mahrer
APA/Roland Schlager
Energiepreise

„Dramatische Situation“ für Betriebe

Die stark steigenden Energiepreise belasten nicht nur die Haushalte, auch viele Unternehmen kämpfen mit den hohen Strom- und Gaspreisen. Die Situation sei „dramatisch“, sagt Wirtschaftskammer-Präsident (WKO) Harald Mahrer, die Krise sei nicht mit der Pandemie zu vergleichen. Wenn die Produktionskosten weiter steigen, seien heimische Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Man sei „höchst alarmiert“.

Als Sozialpartnerin hätte die Wirtschaftskammer schon im Frühjahr darauf hingewiesen, dass steigende Energiepreise die Unternehmen belasten würden, so Mahrer im Ö1-Interview, gefragt nach der jüngsten Ankündigung des Faserherstellers Lenzing, dass die Produktion im burgenländischen Heiligenkreuz wohl zurückgefahren werden muss – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Es gebe mehrere größere Firmen, die darüber nachdenken würden, ihre Produktionen einzudämmen bzw. abzustellen, so der WKO-Präsident.

In weiterer Folge würden aber auch andere Betriebe durch die gestiegenen Produktionskosten unter Druck kommen, zählte Mahrer etwa Bäckereien, Tischlereien oder Betriebe des Handels auf. Die WKO sei alarmiert, ebenso wie Betriebsrätinnen und Betriebsräte, man sei in intensivem Austausch mit anderen Sozialpartnern wie ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und der Landwirtschaftskammer. Alle würden an einem Strang ziehen. Wenn Betriebe aus dem Markt aussteigen und die EU-Kommission nichts dagegen mache, sei das auch ein „Anschlag“ auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit.

Mahrer fordert schnelle Hilfe

Es gebe konkrete Gespräche über Hilfsmaßnahmen für die heimischen Betriebe, so Mahrer weiter, ein erstes Paket liege schon bei der EU zur Genehmigung, der Budgetrahmen sei aber „viel zu klein“. Die Hilfe auch für Klein- und Mittelbetriebe müsse vor allem schnell kommen, man müsse noch im September „zu Potte“ kommen. Gefragt nach der Kritik des Rechnungshofs an den teils überschießenden Zahlungen im Rahmen der CoV-Hilfe sagte Mahrer, es sei klar gewesen, dass es Ineffizienzen gebe, wenn man schnell handle. Der Rechnungshof solle das zur Kenntnis nehmen.

Inwieweit sich die hohe Inflation auf die KV-Verhandlungen und die tatsächlichen Lohnerhöhungen auswirken werde, wollte Mahrer nicht sagen. Er vertraue darauf, dass sich die Branchenpartner nicht überfordern, er gehe davon aus, dass eine Lösung gefunden werde, die allen helfe. Den Vorwurf, dass einige Firmen die steigenden Preise übermäßig zu ihren Gunsten ausnutzen, könne er für den großen Teil der Wirtschaft ausschließen, es gebe aber immer schwarze Schafe – so wie auf Arbeitnehmerseite, wo es immer mal jemanden gebe, der nichts arbeite und Kolleginnen und Kollegen müssten das kompensieren.

WKO-Chef gegen „Willkür der Märkte“

Gefragt nach möglichen Gegenmaßnahmen und seiner Kritik an der EU präzisierte Mahrer, er sei „glühender Europäer“, er habe die EU-Kommission wegen fehlender „kraftvoller“ Gegenmaßnahmen für die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die eigene Bevölkerung kritisiert. Diese habe bei den Russland-Sanktionen „nur mit einer Gehirnhälfte“ gedacht, schließlich sei an den Sanktionen schon seit November gearbeitet worden, so Mahrer. Man müsse jetzt „zwingend“ den Preisfindungsmechanismus für Strom ändern, er hoffe auf „kraftvolle Initiativen“ kommende Woche beim Sonderministerrat der EU.

Falls auf EU-Ebene nichts entschieden werde, müsse man auf Ebene der Nationalstaaten handeln, forderte er. Der Anmerkung, dass ein neues Preisbildungssystem nicht so schnell und einfach umzusetzen sei, stimmte Mahrer zu, es brauche aber ein Signal an die Märkte, dass die EU und die Nationalstaaten gemeinsam arbeiten würden. Man sei derzeit der „Willkür der Märkte“ ausgeliefert. Gas- und Strompreis müssten entkoppelt werden, bis das umgesetzt sei, brauche es entsprechende Signale an die Märkte, statt ein weiteres „Irrlichtern“.

Dass andere Energieversorger neben der Wien Energie in Turbulenzen sind, davon wisse er nichts, sagte der WKO-Präsident. Er wolle die Situation rund um die Wien Energie nicht „aus der Distanz“ beurteilen, das sollten Expertinnen und Experten in Ruhe machen. Dazu sollten alle Fakten auf den Tisch gelegt werden, forderte er. Er sehe auch keinen großen Streit zwischen Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und der Stadt Wien. Brunner habe vielmehr alles gemacht und geholfen, dass die Versorgung in Wien sichergestellt sei.

Industrie fordert Hilfen für energiereiche Unternehmen

Am Freitag forderte bereits die Industriellenvereinigung (IV) neue Milliardenhilfen für energieintensive Unternehmen. Die Situation sei „mehr als dramatisch“, so IV-Präsident Georg Knill am Freitag, vielen Unternehmen würde „das Wasser bis zum Hals“ stehen, pochte er auf die angekündigten Hilfsmaßnahmen der Regierung. Ohne schnelle Maßnahmen drohten Produktionsdrosselungen und Arbeitslosigkeit in Österreich, warnte er in einer Aussendung. Auch er forderte eine Umgestaltung des Energiemarkts bzw. dessen Preisgestaltung.

Konkret forderte die Industrie eine Ausweitung und Verlängerung bereits vorbereiteter Hilfsinstrumente, wie die Erhöhung des Energiekostenzuschusses auf 2,5 Mrd. Euro samt Verlängerung bis 2023. Die Strompreiskompensation müsse dauerhaft umgesetzt werden. Zur Liquiditätsstärkung der Betriebe brauche es zusätzlich Unterstützung bei der Beschaffung und Absicherung der Energie. Steuerlich solle ein dreijähriger Verlustrücktrag eingeführt werden. Nötig sei auch eine Vorbereitung auf mögliche neue Kurzarbeit.

ÖGB pocht auf Entkoppelung von Gas- und Strompreis

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian forderte neuerlich preissenkende Maßnahmen, „vor allem eine Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis“. Den jetzt an die Öffentlichkeit gelangte Entwurf der Europäischen Kommission bezeichnet Katzian als „unzureichend und enttäuschend“, dabei würden seit Monaten viele Varianten auf dem Tisch liegen. So sieht der Vorschlag etwa eine Gewinnabschöpfung von Energieunternehmen, die primär Erneuerbare und Atomstrom produzieren, in einer „Miniaturvariante“ vor. Maßnahmen für Erdöl- und Erdgasunternehmen seien nicht vorgesehen.

Ähnlich äußerte sich die Arbeiterkammer (AK), der Vorschlag der Kommission betreffe nur den Spotmarkt, wo Energielieferantinnen und -lieferanten nur sehr geringe Strommengen zum Ausgleich von Nachfrageschwankungen beziehen würden. Die dort möglichen Abschöpfungen seien extrem überschaubar, ortete die AK eine „Nebelgranate“ der Kommission.

SPÖ wirft Regierung Untätigkeit vor

Unterdessen ging am Samstag die politische Debatte über Verantwortlichkeiten und Maßnahmen in der aktuellen Krise weiter. Die SPÖ warf der Bundesregierung neuerlich schwere Versäumnisse und Planlosigkeit bei der Sicherung der Energieversorgung in Österreich vor. SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter nannte ebenfalls den Lenzing-Standort im Burgenland als Beispiel, wegen der hohen Energiepreise sei eine kostendeckende Produktion dort nicht mehr möglich.

Im Gegensatz etwa zum deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sei die österreichische Regierung weiter untätig, das sei „lebensgefährlich, auch für ein Staatsschiff“, so Matznetter. Nach dem Beschluss des Energiekostenbezuschussungsgesetzes vor dem Sommer hätte man entsprechende Richtlinien bereits erlassen können, die zuständigen Minister Martin Kocher, Magnus Brunner (beide ÖVP) und Leonore Gewessler (Grüne) seien aber untätig. Dafür habe man auf EU-Ebene jede Form von Markteingriffen blockiert.

SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll warf der Regierung vor, auch bei der „Strompreisbremse“ säumig zu sein, die bis Ende August versprochen worden sei. Beim Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das am 7. Juli 2021 beschlossen worden sei, würden nach wie vor Verordnungen fehlen. Das Energieeffizienzgesetz sei am 1. Jänner 2021 ausgelaufen und seither nicht in Kraft. Wegen des fortgesetzten Stillstands der Gaspipeline „Nord Stream 1“ sei mit einem weiteren Anstieg des Gaspreises zu rechnen, die Regierung habe dazu aber keine Strategie vorgelegt. Beim Anlegen der im März beschlossenen strategischen Gasreserve komme man auch nur langsam voran.

Hickhack wegen Wien Energie geht weiter

Matznetter verteidigte neuerlich die Termingeschäfte der Wien Energie, unterdessen warf ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner der SPÖ „parteipolitisch motivierte Lügen“ vor, mit denen vom eigenen Versagen abgelenkt werden solle. Zuvor hatte bereits der Wiener ÖVP-Landesparteiobmann, Stadtrat Karl Mahrer, in den Raum gestellt, dass (nach Berichten, wonach die Wien Energie ihre Termingeschäfte schon vergangene Woche gestoppt habe) „der viel zitierte ‚Verrückte Freitag‘ womöglich gar nicht der Grund für die Zuschussverpflichtung von mehreren Milliarden Euro“ gewesen sein könnte. Die Wien Energie hätte sich „angesichts der angespannten Situation viel früher von hochriskanten Geschäften zurückziehen müssen“.

Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp fordert die „sofortige Offenlegung der Cash-Pooling Verträge“ in der Causa Wien Energie. Die FPÖ habe aufgedeckt, „dass bereits im Laufes des Jahres zwei Milliarden Euro aus anderen Gesellschaften der Stadtwerke AG zur Wien Energie transferiert wurden“. Wien-Energie-Aufsichtsratschef Peter Weinelt habe „diese dubiose Vorgangsweise“ – „nach einem heftigen Dementi der Wien Energie“ – doch zugeben müssen. Man wolle sofort wissen, ob und in welchem Ausmaß anderen Betrieben wie den Wiener Linien oder der Bestattung Wien Geld weggenommen wurden, um damit die Geschäfte der Wien Energie zu bedecken, so Nepp am Samstag.