Liz Truss und Rishi Sunak
Reuters/Hannah Mckay
Tory-Spitze und Premier

Entscheidung um Nachfolge von Johnson

Das Rennen um die Nachfolge des britischen Premiers Boris Johnson geht in die Entscheidung: Am Montag soll feststehen, ob die bisherige Außenministerin Liz Truss oder der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak Chefin bzw. Chef der britischen Torys und damit der britischen Regierung wird. Truss ist klare Favoritin und kündigte bereits erste Maßnahmen an – es gibt aber auch einige Forderungen an sie.

In einem Beitrag für den „Sunday Telegraph“ kündigte Truss für den Fall ihrer Wahl sofortige Maßnahmen gegen steigende Energiekosten an, und das noch in der ersten Woche. Im Laufe des ersten Monats plane sie eine Veranstaltung zum Thema Steuern mit einem breiteren Maßnahmenpaket für die Wirtschaft. Sie werde einen Rat für „die besten Ideen“ zur Ankurbelung der Wirtschaft einberufen, schrieb sie. „Ich bin bereit, die schwierigen Entscheidungen zu treffen, um unsere Wirtschaft wieder aufzubauen.“

Details blieb Truss auch in einem Interview mit der britischen BBC am Sonntag aber schuldig. Steuersenkungen bzw. ein Stopp der Erhöhungen für Unternehmen sollen die Wirtschaft ankurbeln, erklärte sie. Darauf hingewiesen, dass ihre Steuerpläne vor allem Reichen helfen dürften, sagte sie, man solle nicht alles von der Perspektive der Umverteilung betrachten. Sie bekannte sich zum Budget für das britische Gesundheitssystem (NHS), die Beiträge zur Sozialversicherung sollen aber nicht angehoben werden.

Liz Truss und Rishi Sunak
Reuters/Hannah Mckay
Mehrere Duelle lieferten sich Truss und Dunak, zuletzt in der Wembley Arena

Sunak erklärte gegenüber der BBC, er könne nicht für alle die Probleme mit der Energierechnung lösen, es soll aber für alle Betroffenen eine finanzielle Unterstützung geben. Er legte seine Pläne unter anderen für Pensionistinnen und Geringverdiener dar. Blackouts im heurigen Winter wollte er nicht ausschließen, schließlich könnte auch Großbritannien vor einer einzigartigen Notsituation in Sachen Energie stehen. Sunak will vor allem die steigende Inflation und die Energiepreise in den Griff bekommen.

Letztes Duell in Wembley Arena

Zuletzt lieferten sich Truss und Sunak am Donnerstag in der Wembley Arena vor Tausenden Mitgliedern der Konservativen Partei ein letztes direktes Rededuell. Auch dabei erklärte Truss, sie wolle sich im Falle eines Sieges auf „Energiepreise für Verbraucherinnen und Verbraucher“ und eine Ankurbelung der Wirtschaft konzentrieren.

Sunak vermied scharfe Angriffe auf Truss und grenzte sich vielmehr von Johnson ab. Er werde eine Regierung anführen, „die kompetent und ernsthaft“ geleitet werde und bei der „Anstand und Integrität“ im Mittelpunkt stünden. „Das ist der Wandel, den ich bringen werde. Das ist der Premierminister, der ich sein werde.“

Der scheidende Johnson rief seine Partei zu Einigkeit auf. „Das ist der Moment, an dem sich alle Torys zusammenraufen und hinter der neuen Spitze vereinen müssen“, schrieb er in einem Gastbeitrag im „Sunday Express“. Die Uneinigkeiten der vergangenen Wochen müssten nun beiseitegelegt und das Interesse des Landes an erste Stelle gerückt werden. Beide Kandidaten seien für die Herausforderungen des Amtes geeignet.

Truss in Umfragen weiter vor Sunak

Nach Umfragen liegt Truss derzeit deutlich vor ihrem Rivalen Sunak. Versprechen von Truss, trotz der hohen Inflation eine unternehmensfreundliche Politik zu verfolgen, treffen den Nerv der konservativen Parteibasis, die deutlich älter, männlicher, weißer und wohlhabender ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung. In der Presse werden allerdings beide nicht gerade in den Himmel gelobt.

Johnson hatte auf Druck der Partei nach einer Serie von Skandalen und Kabinettsrücktritten seinen Rückzug als Parteichef und Premierminister angekündigt. Truss und Sunak setzten sich gegen eine Reihe anderer Bewerber und Bewerberinnen um die Nachfolge durch. Die rund 200.000 Parteimitglieder der regierenden Torys konnten bis Freitagabend über die Nachfolge abstimmen. Das Ergebnis wird am Montag bekanntgegeben.

Sunak und sein Swimmingpool

Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Sunak galt lange als Favorit für eine Nachfolge Johnsons. Als Finanzminister war er aus Protest gegen Johnsons Amtsführung zurückgetreten und trug damit zu Johnsons Fall bei. Er verdiente sich in der CoV-Pandemie Meriten mit einem Rettungsprogramm für die Wirtschaft. Viele Britinnen und Briten hielten die Unterstützung seines Ministeriums angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten jedoch für zu gering und die Steuern für zu hoch. Sunak wurde wie Johnson für Verstöße gegen Lockdown-Auflagen bestraft.

Fragen zu seinem beträchtlichen Privatvermögen – es wird auf 700 Mio. Pfund geschätzt – und Steuertricks seiner Familie schadeten zuletzt seinem Ruf. Seine Beliebtheitswerte litten auch darunter, dass er trotz der stark steigenden Lebenshaltungskosten weitere Hilfen für die Bevölkerung zunächst ablehnte.

Großbritanniens Ex-Finanzminister Rishi Sunak
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Rishi Sunak bei einer Rede im britischen Parlament

Laut britischen Medien ließ Sunak mitten in dem aktuellen Aufruf, aufgrund der Trockenheit Wasser zu sparen, auf seinem Anwesen einen riesigen Swimmingpool bauen. Für Unmut sorgte auch ein Auftritt Sunaks für Investitionen in ärmeren Gegenden, um dort die Wirtschaft anzukurbeln: Die Pressekonferenz fand in Royal Tunbridge Wells statt – einem wohlhabenden Ort in der Nähe von London.

In den Fußstapfen der „Eisernen Lady“

Truss war in Johnsons Regierung zunächst zwei Jahre lang Außenhandelsministerin, bevor die spätberufene Brexit-Befürworterin Außenministerin wurde. Seit vergangenem Jahr vertritt sie zudem als Chefunterhändlerin in Brüssel gegenüber der EU britische Positionen. Wie Sunak outete sich Truss als Fan von Margaret Thatcher, der „Eisernen Lady“, die Großbritannien mit harter Hand – Stichwort Bergarbeiterstreik – als erste Premierministerin zwischen 1979 und 1990 regiert hatte. Truss wird auch nachgesagt, sich teils wie Thatcher zu kleiden.

Die britische Außenministerin Liz Truss
AP/Alastair Grant
Liz Truss trägt eine Bluse mit Schleife – ganz wie ihr Vorbild Margaret Thatcher

In britischen Medien macht man sich über ungeschickte Auftritte von Truss lustig, auch ihre Rhetorik wird teils als skurril bezeichnet. Dass sie früher einmal gegen den Brexit war, bezeichnet Truss heute als Fehler. Zur Freude der ultrarechten Brexiteers tritt sie heute als glühende Verfechterin des britischen Austritts aus der EU auf. Auch sonst übt sich Truss nicht in großen politischen Würfen oder versucht eine Konsenspolitik – sondern setzt auf altbekannte Themen der Konservativen.

Torys und Gewerkschaften stellen Forderungen

Von dort kamen naturgemäß bereits Forderungen, unter anderem solle sie die Partei breiter aufstellen und auch Kritikerinnen und Kritiker von Johnson in ihr Kabinett holen, schrieb der „Guardian“. Offenbar wird befürchtet, dass sie neben Johnson-Getreuen auch viele Vertreterinnen und Vertreter aus dem rechten Flügel wie John Redwood, Iain Duncan Smith und Nadine Dorries in ihr Kabinett berufen könnte. Sollten diese versuchen, Untersuchungen gegen Johnson wegen seiner Lockdown-Partys auf dem britischen Regierungssitz zu behindern, werde es „explosive“ Konsequenzen geben, so die relativ unverhohlene Warnung.

Forderungen kommen auch von den britischen Gewerkschaften, die Details über angekündigte Änderungen bei den Arbeitnehmerrechten wissen wollen. Medienberichten zufolge soll unter anderem die 48-Stunden-Woche – eingeführt als Teil einer EU-Direktive – auf der Liste von Truss stehen. Urlaubsgeld, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer, eine Begrenzung der Arbeitszeit und Elternzeit seien wichtige Errungenschaften und keine Goodies, so Gewerkschaftsvertreterin Frances O’Grady.

Truss klare Favoritin als Johnson-Nachfolger

Über die Nachfolge von Premierminister Boris Johnson in England wird am Montag entschieden. Laut Umfragen ist die bisherige Außenministerin Liz Truss klare Favoritin.

Truss ruderte nach Gegenwind zurück

Nach scharfer Kritik aus den eigenen Reihen musste Truss auch Sparpläne für den öffentlichen Dienst zurücknehmen. Eine Sprecherin ihrer Wahlkampagne beklagte Anfang August eine „vorsätzliche Falschdarstellung“, kündigte aber an, Gehälter und Arbeitsbedingungen würden so bleiben wie bisher. Zuvor hatte die Außenministerin angekündigt, die Gehälter von Beschäftigten außerhalb der wohlhabenderen Gebiete Londons und Südenglands zu senken, damit sie die regionalen Lebensverhältnisse besser widerspiegeln.

Außerdem wollte sie die Zahl der Urlaubstage von 27 auf 25 reduzieren und Freistellungen für Gewerkschaftsarbeit sowie Stellen für Diskriminierungsbeauftragte streichen. Insgesamt sollten elf Milliarden Pfund (13,1 Mrd. Euro) eingespart werden. Die Gewerkschaften kündigten harten Widerstand an. Als auch prominente Mitglieder ihrer Partei widersprachen, ruderte Truss zurück.

Der britische Premiers Boris Johnson
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Johnson wird die Downing Street verlassen

Selenskyj: „Mein Freund Boris“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich unterdessen in einem emotionalen Gastbeitrag von Johnson verabschiedet. „Bei jedem Treffen und jeder Unterhaltung hat Boris eine sehr gute Frage gestellt: Was noch? Was braucht ihr noch?“, schrieb Selenskyj in einem Beitrag in der britischen Zeitung „Mail on Sunday“. Eine direkte und verlässliche Unterstützung wie diese sei nicht selbstverständlich.

Bei seinen beiden Besuchen in Kiew sei Johnson mit ihm durch die Straßen gelaufen und habe auch normale Ukrainerinnen und Ukrainer kennengelernt, schrieb Selenskyj. „Wir haben sogar scherzhaft angefangen, ihn ‚Boris Johnsoniuk‘ zu nennen, was wie ein ukrainischer Nachname klingt, wenn man die letzte Silbe betont – inspiriert von seinem Instagram-Account @borisjohnsonuk.“

Er wisse, dass Johnson wegen „interner Herausforderungen“ keine leichte Zeit gehabt habe. Er hoffe jedoch, dass dessen „Vermächtnis im Kampf gegen die russische Barbarei“ bewahrt werde. Die Ukraine werde die Unterstützung ihres engen Verbündeten Großbritanniens weiterhin brauchen. Beide Länder sollten noch enger zusammenwachsen. „Als echte Freunde. So wie ich und mein Freund Boris.“