Frisches Gras und Blumen am Rande einer ausgetrockneten Erde
Getty Images/Moment RF/Jasmin Merdan
Club of Rome

Bericht zeigt Wege zu lebenswerter Zukunft

Vor 50 Jahren hat der Thinktank Club of Rome mit seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ die Welt aufgerüttelt. Er gilt heute als einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Die Botschaft der Forschergruppe war damals die gleiche wie heute: Wenn sich die globale Wirtschaftsweise nicht ändert, bricht nicht nur die Ökonomie, sondern auch die Umwelt zusammen. Nun gibt es einen neuen Bericht, der Wege in eine lebenswerte Zukunft zeigt.

In dem Bericht „Earth for All“, der am Dienstag in deutscher Fassung erscheint, geht es um nichts weniger als die wichtigsten Maßnahmen, mit denen eine lebenswerte Zukunft der Menschheit noch möglich wäre. Er ist „sowohl ein Gegenmittel zur Verzweiflung als auch ein Fahrplan für eine bessere Zukunft“, wie es auf der Website heißt.

Eine Gruppe von führenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt habe zwei Jahre lang mittels „modernster Computermodelle politische Maßnahmen“ erforscht. Maßnahmen, „mit denen innerhalb der planetarischen Grenzen innerhalb einer einzigen Generation Wohlstand für alle erreicht werden kann“. Die Hauptautoren und -autorinnen des Berichts kommen aus vielen verschiedenen Bereichen, von Entwicklungsökonomie über Klimaforschung bis hin Umweltpsychologie.

Photovoltaikanlage auf einem Dach
ORF.at/Viviane Koth
Übergang zu sauberer Energie: eine der „fünf Kehrtwenden“ im Kampf für eine lebenswerte Zukunft

„Fünf außerordentlichen Kehrtwenden“ gefordert

Es sind hoch gesteckte Ziele, die die Expertinnen und Experten für unverzichtbar halten – unmöglich zu erreichen aber sind sie nicht, wie die Forschergruppe an anschaulichen Beispielen und konkreten Lösungen für schnellen Wandel verdeutlicht.

„Dies ist ein Buch über unsere Zukunft – die kollektive Zukunft der Menschheit in diesem Jahrhundert, um genau zu sein“, erläutern die mehr als 30 Autorinnen und Autoren. Diese hänge vor allem von „fünf außerordentlichen Kehrtwenden“ ab, die in den kommenden Jahrzehnten vollzogen werden müssten: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung (Empowerment) der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.

„Zu wenig zu spät“ vs. „Riesensprung“

Für den Bericht nutzten die Forscherinnen und Forscher eine Computersimulation, das „Earth4All“-Modell. Unter einer Vielzahl möglicher Szenarien wurden für den Bericht zwei ausgewählt, genannt „Too Little Too Late“ (Zu wenig zu spät) und „Giant Leap“ (Riesensprung).

„Too Little Too Late“ zeige, was passieren könnte, wenn das derzeit dominierende Wirtschaftssystem mehr oder weniger so weitergeht wie in den letzten 50 Jahren. „Demgegenüber fragt ‚Giant Leap‘, was passieren würde, wenn das Wirtschaftssystem durch mutige, außerordentliche Bemühungen zum Aufbau einer resilienteren Zivilisation umgestaltet würde.“

Stärkere Ungleichheit, stärkere Erhitzung

Werde der derzeitige politische und ökonomische Kurs beibehalten, steuere die Menschheit auf eine weiter wachsende Ungleichheit zu, warnen die Expertinnen und Experten. Soziale Spannungen seien eine Folge. Zudem untergrabe Ungleichheit generell Vertrauen und erschwere es demokratischen Gesellschaften, langfristige kollektive Entscheidungen zu treffen, die allen zugutekommen und entsprechend von allen akzeptiert werden können.

Die globale Durchschnittstemperatur werde in diesem Fall um weit über zwei Grad steigen, weit über die im Pariser Klimaabkommen ausgehandelte und von der Wissenschaft als rote Linie gesetzte Grenze, die keinesfalls überschritten werden darf. Weite Teile des Erdsystems drohten, klimatische und ökologische Kipppunkte zu überschreiten – mit unabwendbaren Folgen über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende.

Gleichheit und Gerechtigkeit als Königsweg

Immer wieder betonen die Expertinnen und Experten, dass sie mehr Gleichheit und Gerechtigkeit als Königsweg für eine lebenswerte Zukunft ansehen. „Wir wissen, dass die reichste Milliarde Menschen 72 Prozent der globalen Ressourcen verbraucht, während es bei den ärmsten 1,2 Milliarden nur ein Prozent sind“, heißt es im Bericht.

„Die meisten natürlichen Ressourcen fließen also in den Konsum der reichsten Gesellschaften, die allerdings nur einen Bruchteil der Konsequenzen tragen – eine zutiefst ungerechte Situation.“ Ein extremes Maß an Ungleichheit sei äußerst destruktiv, „auch für die Reichen“, so die Warnung. „Es begünstigt Verhältnisse, die für alle gefährlich sind.“

Eine Frau vor ihrer Behausung umgeben von Überschwemmungen in Sohbatpur
Reuters
Die, die am wenigsten für die Klimakrise können, leiden am stärksten unter ihren Auswirkungen – wie hier in Pakistan

Im Bereich des Klimas zeigt hier etwa Pakistan gerade eindrücklich, was es bedeutet, wenn die, die am wenigsten für die Klimakrise können, deren Auswirkungen am stärksten spüren. Ein Viertel der Bevölkerung lebt hier unter der Armutsgrenze, ein Drittel des Landes steht aufgrund von Überschwemmungen derzeit unter Wasser.

Reiche müssen „Rechnung zahlen“

Viele der im Bericht präsentierten Vorschläge sind sehr konkret. Als ein Mindestziel für die Kehrtwende für mehr Gleichheit wird bei den Einkommen zum Beispiel angegeben, dass die reichsten zehn Prozent eines Landes über weniger als 40 Prozent des Nationaleinkommens verfügen sollten. „Das heißt, dass vier arme Personen gemeinsam das gleiche Jahreseinkommen haben wie eine Person aus der Gruppe der reichsten zehn Prozent.“

Als Lösung werden in dem Bereich etwa höhere Steuern für die wohlhabendsten Bürger zum Abbau dieser Ungleichheit vorgeschlagen. Ein Bürgerfonds soll zudem mehr Menschen am Reichtum der jeweiligen Länder teilhaben lassen. „Wir werden die Welt nicht retten, wenn nicht die reichsten zehn Prozent die Rechnung bezahlen“, wurde der Koautor und ehemalige Professor für Klimastrategie Jorgen Randers in einem Artikel der ARD-„Tagesschau“ zitiert.

Bewohner in einem Slum in Manila (Philippinen)
Reuters/Eloisa Lopez
„Wir werden die Welt nicht retten, wenn nicht die reichsten zehn Prozent die Rechnung bezahlen“

Bildung als ausschlaggebender Faktor

In dem Kapitel über potenzielle Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte spielt ein Faktor eine große Rolle, den die Experten ebenfalls für sehr wichtig halten: Bildung, die kritisches Denken und komplexes Systemdenken vermittle – für Mädchen gleichermaßen wie für Burschen. „Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien“, so die Gruppe. „Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden.“

In demokratischen Gesellschaften seien Fehl- und Falschinformationen zumindest bis zu einem gewissen Grad durch die Massenmedien eingedämmt worden. „Die sozialen Medien aber haben dieses Modell zertrümmert. Sie haben eine ganze Industrie der Falsch- und Desinformationen entstehen lassen, was der Polarisierung von Gesellschaften und einem Vertrauensverlust Vorschub leistet und dazu beiträgt, dass wir angesichts der kollektiven Herausforderungen unfähig sind, zusammenzuarbeiten oder uns auch nur über Grundtatsachen zu verständigen.“

Mädchen in einer Schule in Herat (Afghanistan) im November 2021
AP/Petros Giannakouris
Bildung gilt auch dem Club of Rome als entscheidender Faktor in der Bewältigung von Krisen

Wandel von Ernährung bis Energie

Neben einem Wandel des Ernährungs- und Agrarsystems bedarf es gleichermaßen einer Transformation des globalen Energiesystems. Auch hier sei geringerer Konsum entscheidend – nötig seien etwa weniger und kleinere Autos. Zu den Vorschlägen gehören Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Höhe von einer Billion Dollar pro Jahr.

Eine weitere Herausforderung sei nämlich auch die „sehr reale Gefahr“ einer gesellschaftlichen Destabilisierung im Zuge der Umgestaltung des Energiesystems. „Wenn die ärmste Mehrheit von den steigenden Energiekosten am stärksten betroffen ist, werden diese Menschen gegen die Energiepolitik protestieren“, so der Bericht.

Verhalten von Menschen kann sich „schnell ändern“

Als einer der Mythen im Bereich der Energiewende wird genannt, dass das Verhalten von Menschen sich nur schwer ändern lasse. Gerade erst habe die Coronavirus-Pandemie gezeigt, dass es sich vielmehr sehr schnell ändern könne – und mit vielen Vorteilen. Als Beispiel wird hier Homeoffice und die damit einhergehenden positiven Nebeneffekte genannt.

„Wir wissen, was Sie jetzt sagen werden“, heißt es zum Ende der Ausführungen. „Die Aufgaben sind gewaltig. Die Hindernisse sind riesig. Die Gefahren sind enorm. Die Zeit, die uns bleibt, ist kurz.“ Doch all das bedeute, dass es umso ausschlaggebender sei, nun endlich ins Handeln zu kommen.