Gesundheitsminister Johannes Rauch
APA/Helmut Fohringer
Trotz Kritik

Rauch verteidigt neues Impfschema

„Undifferenziert“ und „intransparent“: Der Epidemiologe Gerald Gartlehner hat in einem „Presse“-Interview scharfe Kritik an den neuen Impfempfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) geübt. Von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bekam das Gremium im Zuge einer Pressekonferenz am Montag Rückendeckung. Dieses wäge „sehr sorgfältig“ ab, so Rauch.

Er wolle sich nicht in „den nächsten Streit“ beziehungsweise „unterschiedliche Meinungen“ von Fachleuten einmischen, sagte der Gesundheitsminister bei der Vorstellung der neuen Coronavirus-Informationskampagne. Expertinnen und Experten hätten in den vergangenen Jahren immer wieder unterschiedliche Einschätzungen abgegeben.

„Da gibt es unterschiedliche Haltungen und Zugänge. Es gibt auch unterschiedlichste Forschungsergebnisse dazu“, so Rauch. „Ich glaube, das Nationale Impfgremium wägt sehr wohl sehr sorgfältig ab, welche Empfehlungen sie da aussprechen. Sie haben jedenfalls mein Vertrauen, was diese Empfehlungen angeht“, hielt der Gesundheitsminister fest.

Gesundheitsminister Rauch (Grüne) verteidigt Impfempfehlungen

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat das Nationale Impfgremium (NIG) im Zuge einer Pressekonferenz am Montag verteidigt.

Rauch: Bei Fragen an Hausarzt wenden

Er plädierte dafür, bei Fragen – etwa zu Impfabständen und altersabhängigen Empfehlungen – den jeweiligen Hausarzt oder die jeweilige Hausärztin zu kontaktieren. „Dort kann auch abgeschätzt werden: Was liegt vor an Vorerkrankungen? Wie ist die Risikolage insgesamt? Dann gibt es eine profunde Antwort“, so Rauch.

Konkret dreht sich die aktuelle Debatte über die aktualisierten Empfehlungen des NIG, die Rauch gemeinsam mit dem Impfexperten Herwig Kollaritsch vergangene Woche präsentiert hatte. Laut NIG wird die CoV-Auffrischungsimpfung nun allen Menschen ab zwölf Jahren bei entsprechendem Abstand zur letzten Impfung je nach Alter vier bis sechs Monate nach dem Abschluss der Grundimmunisierung (dritte Impfung) empfohlen. Bisher galt die Empfehlung nur für Menschen ab 60 Jahren.

Weiters empfiehlt das NIG, das Impfintervall von vier bzw. sechs Monaten (je nach Alter) trotz durchgemachter Infektion einzuhalten. Nach Ansicht des NIG würde eine Infektion mit den aktuell zirkulierenden Omikron-Varianten keinen verlässlichen Schutz vor Wiederinfektionen bieten.

Vorgehensweise des NIG für Gartlehner „nicht zeitgemäß“

Jene beiden Neuerungen zu Infektion und Auffrischung ab zwölf Jahren sorgten beim Epidemiologen Gartlehner für Unverständnis. „Die Vorgehensweise des Nationalen Impfgremiums ist nicht mehr zeitgemäß“, wurde Gartlehner in der „Presse“ zitiert: „Sie ist intransparent, denn wissenschaftliche Grundlagen für Empfehlungen werden nicht offengelegt.“

In puncto Schutz nach durchgemachter Infektion verwies der Experte etwa auf eine erst am Mittwoch im „New England Journal of Medicine“ erschienene Studie aus Portugal. „Dreifach geimpfte Personen, die sich im Frühjahr mit BA.1 oder BA.2 infiziert haben, waren in den 90 Tagen danach zu 75 Prozent vor Infektionen mit BA.4 und BA.5 geschützt“, so Gartlehner weiter. Infektionen mit den Omikron-Varianten BA.1 und BA.2 würden also „sehr wohl zu einem hohen Schutz vor Reinfektionen mit BA.4 und BA.5“ führen, sagte Gartlehner. Unklar sei, wie lange dieser Schutz anhalte.

Experte befürwortet deutsches Vorgehen

Auch die Empfehlung einer Auffrischung für alle ab zwölf Jahren könne er nicht nachvollziehen: „Zwölfjährige werden gleich behandelt wie 85-Jährige, obwohl das Risiko für schwere Verläufe nicht vergleichbar ist." Der Fokus auf Risikogruppe gehe verloren. Er befürchtet, dass sich ob der Meinungsverschiedenheiten unter Fachleuten künftig weniger Menschen auffrischen lassen könnten.

Das Vorgehen der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland hält er für zielführender. Diese hält an ihrer Empfehlung einer Auffrischungsimpfung für über 60-Jährige fest. Außerdem empfiehlt sie Genesenen, mindestens sechs Monate zu warten, bis sie ihr Impfschema fortsetzen.

Kollaritsch hält an Empfehlungen fest, FPÖ kritisiert

Der Impfexperte und NIG-Vertreter Kollaritsch zeigte sich von der Kritik unbeeindruckt. Er erwarte, dass sich durch die Aufhebung der Altersgrenze mehr Menschen auffrischen lassen werden. Bei der portugiesischen Studie ortete er noch einige offene Fragen, etwa zur Dauer der Immunität nach durchgemachter Infektion mit BA.1 und BA.2. „Machen wir uns nichts vor, wir fischen im Trüben", sagte er der „Presse“. Er sieht weiterhin keinen Grund ,nach einer Infektion mit dem Impfen zu warten.

„Die Empfehlungen des NIG zu vierter Corona-Impfung sind evidenzbefreit und intransparent“, hieß es indes in einer Aussendung von FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. „Wenn schon Professor Gartlehner diese Empfehlungen seines Kollegen Kollaritsch und des grünen Ministers Rauch als ‚undifferenziert und intransparent‘ bezeichnet, muss da schon etwas sehr im Argen liegen“, so Kaniak.

Ministerium setzt auf Informationskampagne

Anlass der Pressekonferenz des Gesundheitsministers war die Präsentation der neuen Informationskampagne. Aktuell hätten nämlich erst 4,5 Prozent der Bevölkerung eine Auffrischungsimpfung erhalten. Wie Rauch ausführte, setze man neben dem klassischen Ansatz auf eine Beratung nahe bei den Menschen, wofür man sich u. a. die Unterstützung von Ärzte- und Apothekerkammer gesichert hat.

3,5 Millionen Euro sind vorerst für „#GemeinsamGeimpft“ budgetiert. Wie wichtig eine vierte Impfung sei, unterstrich Rauch durch den Umstand, dass diese das Risiko zu sterben um vier Fünftel und jenes für einen Krankenhausaufenthalt auf die Hälfte reduziert. Zielgruppe der Kampagne sind einerseits die Älteren, andererseits die Jungen, bei denen die Impfrate generell gering sei.

Johannes Steinhart, Präsident der Ärztekammer, betonte ebenso die Wichtigkeit der Impfung, um Todesfälle zu vermeiden. Dennoch bestehe ein großer Aufklärungsbedarf. „Man muss sehr sorgfältig agieren, denn es gibt auch Neben- und Wechselwirkungen – und das soll man nicht verschweigen.“

Eine Mio. Beratungsgespräche bis Weihnachten?

Der Gesundheitsminister geht davon aus, dass bis Weihnachten rund eine Million Beratungsgespräche durchgeführt werden. Das einerseits bei den Ärzten und in den Apotheken mit ihren mehr als 400.000 Kunden pro Tag, andererseits mit dem Angebot, an allen 6.000 Schulen Infoabende durch Mediziner abzuhalten.

Eingebunden werden auch Betriebe, und 4,5 Millionen Erinnerungsschreiben sollen Ende November an alle Österreicher und Österreicherinnen gehen, deren letzte Impfung länger als sechs Monate zurückliegt. Schließlich werden auch noch die Städte und Gemeinde eigene Informationskampagnen durchführen, bei denen sie durch den Bund unterstützt werden.

Risikopatientinnen und -patienten würden zudem prophylaktisch über Covid-19-Therapeutika aufgeklärt. Denn diese sollten bei einer Infektion möglichst rasch verabreicht werden. In den vergangenen zwei Monaten wurde deren Einsatz laut Ärztekammer bereits deutlich gesteigert. Was die Variantenimpfstoffe betrifft, von denen die neuesten gegen BA.4 und BA.5 bereits in den USA zugelassen sind, wies Rauch den Vorwurf der Langsamkeit in Europa zurück: „Ich bin für Geschwindigkeit und Sorgfalt.“