Flugabwehrgeschütz bei einer Übung am Flughafen Songshan, Taiwan
Reuters/Taiwan Military News Agency
China vs. Taiwan

Blockade hätte ungeahnte Folgen

Mit kleinen Schritten und größeren Drohgebärden will China Taiwan seit geraumer Zeit weiter zusetzen. Eine Katastrophe für Taiwan wäre eine Blockade zur See und in der Luft, wie die „New York Times“ im Vorfeld des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas, der offiziell am Sonntag beginnt, bereits vor geraumer Zeit schrieb. Die Effekte wären unvorhersehbar.

Bereits eine kleine, „softe“ Absperrung des von Peking als abtrünnig gesehenen und für sich beanspruchten Inselstaates würde die Wirtschaft und damit auch die Autonomie Taiwans gefährden. Alles mit schweren Konsequenzen für die Weltwirtschaft.China missachtet in jüngster Zeit auch eine gedachte Linie in der Taiwan-Straße zwischen dem Inselstaat und China.

Die Linie wurde von den USA 1954 während des Kalten Krieges gezogen. Nicht dass Peking diese Linie je anerkannt hätte, doch bisher hielt sich die Marine der chinesischen Volksarmee an diese imaginierte Grenzziehung, wie die Nachrichtenagentur Reuters schreibt.

Menschen in Taipeh
AP/Chiang Ying-Ying
Die taiwanische Hauptstadt Taipeh

Nun werde sie von China ausradiert, heißt es weiter. Immer öfter müssten taiwanische die chinesischen Kriegsschiffe wieder über diese Linie zurückdrängen, so Reuters weiter. China wolle den Druck mit dem Ziel erhöhen, dass die Linie ganz aufgegeben wird, zitiert Reuters einen taiwanischen Beamten, der mit der Sicherheitsplanung in der Region vertraut ist und nicht namentlich genannt werden wollte. Für Taiwan sei es „unmöglich“, dieses Konzept eines Puffers aufzugeben, so der taiwanische Außenminister Joseph Wu im August.

China verbessert Möglichkeiten für Isolierung Taiwans

Alleine dieses Beispiel der imaginierten Linie zeigt, wie angespannt und auch symbolträchtig der Konflikt ist. Derzeit scheint China die Situation zwar eskalieren zu wollen, auf eine militärische Lösung des Konflikts vonseiten Pekings – sprich: eine Eroberung Taiwans durch die chinesische Volksarmee – steuert man laut Fachleuten jedoch derzeit nicht zu.

Chip-Hotspot Taiwan

Zwei Jahre lang hat die Weltwirtschaft unter einem Mangel an Computerchips gelitten. Die Lage hat sich zuletzt etwas beruhigt, doch die Versorgung bleibt schwierig. Beunruhigend ist der Flaschenhals bei der Produktion von Hochleistungschips, denn diese kommen zum Großteil aus Taiwan, auf das China Anspruch erhebt.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Peking auf die Idee einer Blockade kommen könnte, so die „New York Times“. China verfeinere derzeit seine Fähigkeiten, Taiwan von der Außenwelt abzuschneiden, um so schließlich die Kontrolle über die Insel zu erlagen, skizziert die Zeitung ein mögliches Zukunftsszenario.

Eine der meistbefahrenen Handelsrouten der Welt

Selbst eine begrenzte Blockade der Taiwan-Straße würde eine der meistbefahrenen Handelsrouten der Welt bedrohen. Ein Großteil des Schiffsverkehrs in der Straße von Taiwan wird über die beiden Häfen Kaohsiung und Taichung im Westen der Insel, also der China zugewandten Seite, abgewickelt.

Übersichtskarte von China und Taiwan
Grafik: APA/ORF.at

Eine gesamte Blockade wäre allerdings auch für China eine logistische Herausforderung. Dazu wären laut „New York Times“ Hunderte Schiffe und Flugzeuge mehr als bei den chinesischen Manövern im August sowie auch mehr U-Boote notwendig. Sie müssten versuchen, alle Häfen, aber auch die Flughäfen Taiwans zu blockieren, sowie äußerst wahrscheinliche Unterstützung und Durchbruchsversuche durch Kriegsschiffe und Flugzeuge der USA und ihrer Verbündeten abwehren.

Szenario auch mit Attacke auf US-Basen

China hat auch eine ganze Reihe an Luftwaffenstützpunkten gegenüber von Taiwan. Sie wären für die Kontrolle des Luftraums bei einer Blockade zuständig. Auch zahlreiche Marinebasen befinden sich dort entlang der Küste. Das chinesische Militär könnte auch versuchen, feindliche Kampfjets mit Boden-Luft-Raketen etwa von diesen Basen abzuschießen.

Ein Szenario in der „New York Times“ geht noch weiter: China könnte versuchen, wichtige US-Militärbasen in Japan und Guam – eine nicht in das Staatsgebiet der USA inkorporierte Insel – außer Gefecht zu setzen. Das würde allerdings einen militärischen Konflikt mit den USA auslösen und könnte in einem Dritten Weltkrieg münden, so das Szenario.

Militärfahrzeuge bei einer Übung in Pingtung, Taiwan
Reuters/Ann Wang
Militärfahrzeuge bei einem Manöver der taiwanischen Armee Anfang September

Pekings Züchtigungsinstrument

Chinas Militärstrategen, so die „New York Times“ weiter, sehen eine Blockade als Strategie, die flexibel eingesetzt werden kann. Eine mögliche Blockade kann man verstärken oder aber auch zurückfahren, je nachdem, wie sie politisch besser für die Ziele Pekings einsetzbar ist.

China könnte aber auch eine zeitlich oder räumlich begrenzte Blockade fahren. Etwa indem es einfach Schiffe stoppt und durchsucht, ohne die Häfen Taiwans abzuschirmen oder gar anzugreifen. Laut der Zeitung würde das schon für eine „Schlinge um den Hals Taiwans“ reichen.

Vieles muss importiert werden

Hintergrund ist die sehr hohe Abhängigkeit des Inselstaates von Importen von Sprit und Nahrungsmitteln. So könnte auch eine zeitlich begrenzte Abschirmung des Landes die Insel politisch und ökonomisch erschüttern – und damit China ermöglichen, seine Forderungen durch diesen Druck durchzusetzen.

„Peking könnte mit einer Blockade beginnen und diese beenden, wenn ‚Taiwan seine Lektion gelernt hat‘“, so der Taiwan-Experte Phillip C. Saunders von der National Defense University des US-Verteidigungsministeriums in der „New York Times“.

Hafen Kaohsiung, Taiwan
Reuters/Ann Wang
Ein Blick auf den Hafen von Kaohsiung

Was gegen eine Invasion spricht

Die chinesische Volksbefreiungsarmee trainiere allerdings für eine Blockade, die „gewalttätig und auch mit vielen internationalen Kosten“ verbunden wäre, so Saunders weiter. In diesem Szenario wäre die Blockade nur das Vorspiel und die Unterstützung für eine umfassende Invasion Taiwans, so Saunders. Also ein Angriffskrieg ähnlich dem Russlands gegen die Ukraine.

Doch das würde auch die internationalen Kosten für China in ungeahnte Höhen hochschrauben. „Dieser Schritt könnte einen potenziell langwierigen und verheerenden Konflikt sowie eine geharnischte internationale Gegenreaktion gegen China auslösen. China würde dadurch großen wirtschaftlichen Schaden nehmen und auch in politische Isolation zumindest vonseiten des Westens geraten“, so Saunders.

Zu Bedenken sei auch, heißt es von Expertenseite, dass die Verflechtung Chinas mit der Weltwirtschaft enger als die Russlands ist. Mögliche Sanktionen gegen China könnten so auch global das Wirtschaftswachstum gehörig einbrechen lassen.

Chinesische Militärhubschrauber nahe der Insel Pingtan
APA/AFP/Hector Retamal
Chinesische Hubschrauber bei dem großen chinesischen Manöver vor Taiwan im August

Aufrüsten für den Informations- und Cyberkrieg

Sollte China versuchen, Taiwan tatsächlich einzunehmen, würde es auch auf einen Informationskrieg setzen. So würden dann Propaganda und Desinformation eingesetzt werden, und auch im Cyberspace würde ein Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgefochten werden. Damit würde man sich erhoffen, die Unterstützung in China zu verstärken und Angst und Zwietracht in Taiwan und im Rest der Welt zu säen, so die „New York Times“.

Chinesische Militärplaner betrachten die Cyberkriegsführung als wichtig in jedem Konflikt und geben sich gerüstet. Fachleute gehen davon aus, dass im Falle eines tatsächlichen Konflikts China mit Cyberattacken anstreben würde, das taiwanische Kommunikationsnetz lahmzulegen. Auch würde mit Cyberattacken versucht werden, die Waffensysteme stillzulegen bzw. unbrauchbar zu machen.

China würde auch einen Versuch machen, die Unterwasserkabel, über die mehr als 90 Prozent der Daten fließen, die Taiwan mit der Welt verbinden, zu deaktivieren bzw. zu kappen, so taiwanische Militärexperten laut „New York Times“. Das Durchtrennen von Taiwans Unterseekabeln würde auch Chaos auslösen, das andere verbundene Länder in der Region wie Japan und Südkorea, beides US-Verbündete, betreffen würde.

Großer Schaden für die Weltwirtschaft erwartet

Der Schaden bei einem derartigen Konflikt für die Weltwirtschaft kann kaum geschätzt werden. Taiwan ist die Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Eine Blockade oder ein militärischer Konflikt würden die angespannten Lieferketten zusätzlich belasten.

Denn durch die Taiwan-Straße zwischen China und der Insel fährt fast die Hälfte aller Containerschiffe weltweit, wie eine Auswertung der Finanznachrichtenagentur Bloomberg für die ersten sieben Monate des Jahres ergab. Diese Schiffe haben enorm wichtige Güter an Bord: Halbleiter etwa und elektronische Geräte, aber auch Gas.

TSMC-Hauptquartier in Hsinchu, Taiwan
AP/Chiang Ying-Ying
TSMC ist der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger von Halbleiterprodukten

Weltgrößter Chipproduzent

Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammt von Unternehmen in Taiwan. Taiwan hat bei der Auftragsfertigung von Chips einen globalen Marktanteil von 60 Prozent, so der Wirtschaftsprofessor Harald Oberhofer im APA-Gespräch. Allein auf die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) entfallen mehr als 50 Prozent. Das Unternehmen ist auch der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte. Die Produktion für Hochleistungschips für Smartphones und Computer sei bei TSMC derart komplex, dass kaum andere Firmen weltweit sie beherrschen würden, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“).

Insgesamt werden rund zwei Drittel aller Chips weltweit in Taiwan hergestellt, so das spezialisierte Marktforschungsinstitut TrendForce. Ein Ausfall der Produktion in Taiwan bzw. der Lieferung etwa durch eine Blockade durch China hätte enorme Auswirkungen für die Weltwirtschaft, wo die Halbleiter in fast allen Technologiebereichen, von Mobiltelefonen und Computern bis hin zu Elektroautos, gebraucht werden.

Taipeh schraubt Verteidigungsausgaben nach oben

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Taiwan und China will Taipeh seine Verteidigungsausgaben deutlich ausweiten. „Um die nationale Sicherheit zu schützen, wird das gesamte Verteidigungsbudget für das nächste Jahr mit 586,3 Milliarden Taiwan-Dollar (19,1 Mrd. Euro, Anm.) ein Rekordniveau erreichen“, zitierte ein Kabinettsprecher Ministerpräsidenten Su Tseng-chang.

Der Verteidigungshaushalt solle um 13 Prozent auf 415,1 Mrd. Taiwan-Dollar (13,6 Mrd. Euro) steigen. Zusätzlich plant die Regierung einen Sonderhaushalt für neue Kampfflugzeuge und andere Maßnahmen zur Stärkung der Marine- und Luftstreitkräfte. Das Parlament muss das Vorhaben noch absegnen.

Die Spannungen zwischen Peking und Taipeh waren nach einem Taiwan-Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi Anfang des Monats gewachsen. Chinas Armee hatte nach dem Besuch seine bisher größten Militärmanöver in den Gewässern rund um die Insel abgehalten und dabei auch Raketen abgeschossen. Auch Taiwan hielt Übungen ab und präsentierte neue Kampfjets.