Die neue britische Premierministerin Liz Truss
AP/Alberto Pezzali
Großbritannien

Truss wird neue Premierministerin

Nun ist es fix: Die bisherige Außenministerin Liz Truss wird Chefin der britischen Torys und damit auch Premierministerin Großbritanniens. Das teilte die Partei am Montag in London mit. In einem parteiinternen Votum erhielt Truss 57,4 Prozent der Stimmen, ihr Rivale Rishi Sunak kam auf 42,6 Prozent. Die 47-Jährige galt im Vorfeld bereits als klare Favoritin im Rennen um die Nachfolge von Premier Boris Johnson.

In ihrer ersten Rede direkt nach der Wahl zur Vorsitzenden der Konservativen Partei nannte Truss den Amtsinhaber einen Freund. Johnson habe den Brexit erledigt, die Labour-Partei abgewehrt, für die schnelle Einführung des CoV-Impfstoffs gesorgt und sich gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin gestellt, sagte Truss in London.

Sie zeigte sich überzeugt, dass die Ziele ihrer Partei von der Mehrheit der Briten unterstützt würden. Die Torys würden nach ihren Worten die für 2024 geplante Parlamentswahl gewinnen. „Wir werden liefern, wir werden liefern, wir werden liefern“, sagte Truss. Umfragen sehen derzeit allerdings die oppositionelle Labour-Partei deutlich in Führung.

Offizieller Wechsel am Dienstag

Der offizielle Wechsel an der Spitze der britischen Regierung findet bereits am Dienstag statt. Johnson wird sich ein letztes Mal als Premier an die Bevölkerung wenden und danach sein Amt abgeben. Sowohl er als auch Truss reisen danach nach Schottland und werden nacheinander von Queen Elizabeth II. empfangen, die auf ihrem Landsitz Schloss Balmoral ihren Sommerurlaub verbringt.

Dass die Audienzen dort stattfinden werden und nicht im Londoner Buckingham-Palast, ist äußerst ungewöhnlich und hat mit den Mobilitätsproblemen der mittlerweile 96 Jahre alten Monarchin zu tun. Fest steht jedenfalls, dass Truss die dritte Frau an der britischen Regierungsspitze nach Margaret Thatcher und Theresa May ist.

175.000 Torys durften wählen

Die gut 175.000 Parteimitglieder konnten in den vergangenen Wochen per Brief oder online abstimmen, wer die neue Regierung anführen und in Downing Street 10 einziehen wird. Der frühere Finanzminister Sunak und Truss hatten sich zuvor in mehreren Abstimmungsrunden der konservativen Abgeordneten durchgesetzt – unter diesen war allerdings Sunak noch der klare Favorit.

Die 47-jährige Truss, die dem rechten Parteiflügel zugeordnet wird, konnte allerdings im innerparteilichen Wahlkampf vor allem mit dem Vorhaben überzeugen, trotz enorm hoher Inflation sofort die Steuern zu senken. Außerdem sammelte sie bei der Parteibasis – die deutlich älter, männlicher und wohlhabender ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung – Punkte mit einer konfrontativen Linie gegenüber der EU und populistischen Äußerungen zu Flüchtlingen, Linken, Umweltaktivisten und gesellschaftlichen Minderheiten. Truss galt einst als entschiedene Brexit-Gegnerin.

Sunak warf seiner Rivalin vor, mit ihren wirtschaftlichen Plänen „Märchen“ zu erzählen, und inszenierte sich als Politiker, der sich nicht scheut, in der Krise auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Er würde Steuersenkungen erst in Erwägung ziehen, wenn die Inflation wieder unter Kontrolle ist.

Liz Truss und Rishi Sunak
Reuters/Hannah Mckay
Truss und Sunak lieferten einander zuletzt mehrere Debatten

Johnson ruft Partei zu Einigkeit auf

Johnson rief seine Party auf, sich geschlossen hinter seiner designierten Nachfolgerin zu sammeln. Die bisherige Außenministerin habe den richtigen Plan, um die Energie- und Inflationskrise zu bewältigen und die Partei zu einen, twitterte Johnson am Montag. „Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Konservativen zu 100 Prozent hinter ihr stehen.“

Johnson scheidet nach zahlreichen Skandalen auf Druck seines Kabinetts aus dem Amt aus. Die „Partygate“-Affäre um verbotene Lockdown-Feiern an Johnsons Amtssitz hatten ihn ins Wanken gebracht. Mehrere weitere Skandale und sein Umgang damit brachten ihn letztlich zu Fall. Als prominente Mitglieder seines Kabinetts zurücktraten und damit einen Massenexodus aus den Reihen der Regierung auslösten, sah sich der 58-Jährige zum Rücktritt gezwungen.

Grafik zu britischen Premiers seit 1951
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Foto: AFP

Johnson-Comeback noch nicht ausgeschlossen

Ein mögliches Comeback gilt jedoch nicht als ausgeschlossen. Johnson selbst machte mit den Worten „Hasta la vista, baby“ im Londoner Unterhaus bereits Andeutungen. Noch immer hat der Politiker, der zunächst einfacher Abgeordneter bleiben wird, eine starke Unterstützerbasis in der Partei.

Berichten zufolge sollen einige davon bereits ein Misstrauensvotum gegen seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger vorbereiten, um Johnson möglichst schnell zurück ins Amt zu holen. Entscheidend wird dafür sein, ob eine parlamentarische Untersuchung zur „Partygate“-Affäre zu dem Schluss kommt, dass Johnson wissentlich das Parlament in die Irre geführt hat. Das könnte gegebenenfalls zum Verlust seines Mandates führen.

Führende britische Oppositionspolitiker kritisierten Truss nach ihrer Kür: Man habe von ihr weitaus mehr über eine Kürzung der Unternehmenssteuer als über Erleichterungen für Privathaushalte gehört, sagte Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei. Von Truss sei mehr von den Krisen und dem Chaos zu erwarten, das bereits Johnson gebracht habe, schrieb der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey, auf Twitter. Es sei Zeit, eine Neuwahl auszurufen. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon gratulierte Truss hingegen und hoffte auf ein gutes Arbeitsverhältnis.

Energiekrise als große Herausforderung für Truss

Als größte innenpolitische Herausforderung für die designierte Regierungschefin gelten die hohen Energiepreise. „Ich werde in der Energiekrise liefern, indem ich die Energierechnungen der Menschen angehe, aber mich auch der langfristigen Probleme mit der Energieversorgung annehme“, sagte Truss diesbezüglich auch am Montag.

Der staatliche Energiepreisdeckel in Großbritannien war kürzlich erheblich angehoben worden. Von Oktober an beträgt er für einen durchschnittlichen Haushalt 3.549 Pfund (rund 4.100 Euro) im Jahr. Prognosen zufolge soll er weiter steigen. Befürchtet wird, dass Millionen Haushalte im Vereinigten Königreich im Winter in Schwierigkeiten geraten werden, ihre Strom- und Gasrechnung zu zahlen.

Fraglich ist jedenfalls, ob Truss es schaffen wird, die Konservative Partei nach einem harten Wahlkampf zu einen. In der Außenpolitik wird befürchtet, dass Truss den Streit mit der EU über Brexit-Regeln für Nordirland weiter eskaliert.

Brüssel hofft auf Neubeginn

Die EU-Kommission hofft aber auf einen „Neubeginn“. „Alles, was unsere Beziehungen zum Vereinigten Königreich voranbringt, ist sehr willkommen“, sagte Kommissionssprecher Eric Mamer am Montag in Brüssel. Die EU erwarte von London weiterhin eine „vollständige Umsetzung“ der Brexit-Verträge und des Nordirland-Protokolls, so Mamer.

Der Kommissionssprecher äußerte sich vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Für Skepsis sorgen in Brüssel britische Berichte, wonach sich Truss auf das Erbe der früheren Premierministerin Thatcher beruft. Unter anderem in Finanzfragen legte sich Thatcher wiederholt mit den anderen EU-Staaten an. Ende 1979 forderte sie nach einem EU-Gipfel für die Briten „einen sehr großen Teil unseres Geldes zurück“ – berühmt wurde die verkürzte Wiedergabe „I want my money back“.

Wie Johnson erwägt Truss der Presse zufolge zudem, das Nordirland-Protokoll einseitig aufzukündigen. Es ist einer der strittigsten Punkte in den Beziehungen zur EU. In dem Protokoll erklärte sich London zwar zu Warenkontrollen zwischen Großbritannien und der britischen Provinz bereit, ging aber wiederholt dagegen vor.