ORF-„Sommergespräche 2022“ mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

Nehammer verteidigt „Strompreisbremse“

Zum Abschluss der ORF-„Sommergespräche“ hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP und die Situation der Partei, Maßnahmen gegen Energiekrise und Teuerung sowie für den Klimaschutz in Österreich Stellung genommen. Die angekündigte „Strompreisbremse“ sieht er als eine Maßnahme, für die Haushalte Erleichterung zu schaffen. Zudem werde über eine Abfederung beim Gaspreis nachgedacht.

Inflation bedeute Wohlstandsverlust, „aber die Frage ist viel wichtiger, was tun wir dagegen, wie entlasten wir“, positionierte sich Nehammer indirekt gegen die Aussagen des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne), der die Bevölkerung aufgrund der Energiekrise und Teuerung auf Wohlstandsverluste einstimmte. Nehammer: „Es sind schwere Zeiten. Aber es ist schaffbar, auch wenn es hart und schwierig ist. Und wir brauchen kreative Lösungen.“ Eine davon sei die „Strompreisbremse“.

Im Gespräch mit dem Moderationsduo Julia Schmuck und Tobias Pötzelsberger verteidigte Nehammer das kolportierte Modell zur „Strompreisbremse“, das bereits am Mittwoch im Ministerrat beschlossen werden soll. Diese soll zunächst für ein Jahr gelten, jeder Haushalt soll für 80 Prozent des durchschnittlichen Vorjahresverbrauchs eines österreichischen Haushalts einen geringeren Strompreis zahlen – unabhängig von der Anzahl der Personen in dem Haushalt. Die Grenze soll bei 2.900 kWh liegen. Für alles darüber muss der aktuelle Marktpreis bezahlt werden.

Nehammer zur Kritik an der Strompreisbremse

Die Kritik, dass diese Regelung nicht sozial ausgewogen sei, lässt Nehammer nicht gelten. Es sei erste Priorität gewesen, schnell und unkompliziert die Menschen zu entlasten. Man habe abwägen müssen. Für Mehrpersonenhaushalte werde es ein zusätzliches Antragsmodell geben. In weiterer Folge werde es auch für Unternehmen, Industrie und Landwirtschaft Lösungen geben sowie für alle anderen Energiekunden – betreffend etwa Pellets, Öl und Gas. Es sei wichtig, als Staat zu helfen. Er forderte aber erneut einen Gaspreisdeckel für die europäischen Staaten. Das könne man auf nationalstaatlicher Ebene nicht lösen.

Noch kein Modell für Übergewinnsteuer

Mit Blick auf den Winter beruhigte Nehammer. Die Speicher seien gut gefüllt: „Wir sind vorbereitet.“ Zu einer Übergewinnsteuer für Energiekonzerne, die in den vergangenen Monaten auch von Nehammer selbst ins Spiel gebracht wurde, sage er nicht sofort Nein: „Aber sie muss schlau gemacht werden. Es darf keine Denkverbote geben.“

Nehammer zur Übergewinnsteuer

Man müsse dabei vor allem die Unterschiede der Energieproduzenten von Ost- bis Westösterreich im Blick haben und dürfe Investitionen in erneuerbare Energie nicht gefährden. „Wir haben bisher noch kein Modell gefunden, das wir unmittelbar angehen können.“

„Sanktionen müssen evaluiert werden“

In puncto Klimaschutz in Österreich lässt Nehammer etwa Kritik, dass Österreich auf den untersten Plätzen bei der Einsparung von Treibhausgasen rangiert, nicht gelten und ging auch nicht näher darauf ein. Nehammer: „Der Vergleich macht mich sicher.“ Der Anteil erneuerbarer Energie in Österreich sei in Europa herzeigbar, das gelte es auszubauen und die Abhängigkeit von fossiler Energie zu reduzieren.

Wann sollen Sanktionen gegen Russland beendet werden?

Das macht nicht nur die Klimakrise, sondern auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine notwendig, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Trotz Stimmen auch in der ÖVP, etwa von Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer und Spitzenkandidat Anton Mattle in Tirol, die Sanktionen zu überprüfen, bekennt sich Nehammer zu den Sanktionen. „Was ist die Alternative?“, fragt er. „Aber Sanktionen müssen natürlich evaluiert werden.“

Nehammer sieht bei ÖVP kein Korruptionsproblem

Thematisiert wurde auch die Lage der ÖVP angesichts von Ermittlungen zur Inseratenaffäre rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Wirtschaftsbund-Affäre um Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner. Zahlreiche ÖVP-Politiker werden als Beschuldigte geführt, darunter Kurz und Ex-Finanzminister Gernot Blümel. Die Partei selbst hat ebenfalls Beschuldigtenstatus. Auf die Frage, ob sich Nehammer bei der Bevölkerung entschuldigen wolle, bestätigte der Kanzler, dass Ereignisse der vergangenen Monate von Ermittlungen über häufige Ministerwechsel kein guter Eindruck seien.

Nehammer (ÖVP) zu Chataffären

Eine Entschuldigung gab es aber nicht. Er habe mehrfach gesagt, was es zu sagen gelte. Es gebe einige Verdachtsfälle und Ermittlungen, „aber die Volkspartei an sich hat kein Korruptionsproblem“, stellte der Kanzler fest. Gebe es ein Fehlverhalten einzelner Personen, gehörten diese bestraft, so Nehammer. Schuldig sei man erst, wenn das ein Gericht urteilt. Die entscheidende Instanz sei das Strafrecht. „Wer legt fest, was Moral ist?“, fragte Nehammer. Er betonte aber, dass die ÖVP trotz aller Krisen immer Regierungsfähigkeit bewahrt habe.

„Wir sind lernbereit“

Die stark föderale Struktur und Organisation der Partei genüge nicht mehr dem berechtigten Anspruch der Öffentlichkeit auf Transparenz. Er habe daher eine Durchleuchtung der ÖVP-Struktur in Auftrag gegeben, „um sie den Transparenzanforderungen der heutigen Zeit anzupassen“. Nehammer: „Wir sind lernbereit. Auch ich.“

Die Zweifel des Rechnungshofes an den korrekten Abrechnungen zum Wahlkampf für die EU-Wahl und Nationalratswahl 2019, die nun von externen Prüfern untersucht werden, erklärte Nehammer mit der unterschiedlichen Art der Wahlkämpfe. Der EU-Wahlkampf sei als Vorzugsstimmenwahlkampf geführt worden und damit teurer gewesen, da alle Investitionen der Kandidaten der Bundespartei zugeordnet wurden. Daher sei das bei der Nationalratswahl nicht so erfolgt. Bei der Überprüfung gebe es nun volle Kooperation. Eine politische Verantwortung, wenn Wirtschaftsprüfer zu einem anderen Befund kommen, sehe er für sich nicht. Nehammer war zu dieser Zeit ÖVP-Generalsekretär.

Kein Rücktritt, wenn Wahlkampfkostenbericht nicht stimmt

Auch für den Fall, dass die prognostizierten Verluste für die ÖVP bei den Landtagswahlen – zunächst Ende September in Tirol und im kommenden Jahr in Niederösterreich – eintreffen, schließt Nehammer einen Rücktritt für sich aus.

„Bei Stehsätzen geblieben“

In der Analyse des „Sommergesprächs“ in der ZIB2 zeigte sich die stellvertretende Chefredakteurin des „Standard“, Petra Stuiber, verwundert, dass die ÖVP offenbar nicht wisse, was Ethik und Moral sei. Nehammer hätte in die Offensive gehen können und kommunizieren, dass man die Botschaft verstanden habe und daran arbeite. Der Politologe Peter Filzmaier widerspricht Nehammers Einschätzung in Bezug auf die Korruptionsvorwürfe. Die Partei habe ein Korruptionsproblem.

Analyse des „Sommergesprächs“ mit Karl Nehammer

Die explodierenden Energiepreise und die höchste Inflation seit Jahren, sowie der Krieg in der Ukraine waren unter anderem großes Thema im ORF-„Sommergespräch“ mit Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP. Politologe Peter Filzmaier und Journalistin Petra Stuiber vom „Standard“ analysieren.

Nachvollziehbar war für den Politologen Nehammers Strategie des Mutmachens bei der Energiekrise und Teuerung, denn es bestehe die Gefahr, dass aus Ärger Wut und radikalisierte Wut werde. Filzmaier: „Die Frage ist aber, ob das erfolgversprechend ist. Leistungsbilanzen gehen sich nicht aus. Zukunftsversprechen musste er vermeiden, die würden ihn einholen. Daher ist es bei den Stehsätzen geblieben.“