Eine Mitarbeiterin der IAEA im Gespräch vor dem AKW Saporischschja
Reuters/IAEA
AKW Saporischschja

IAEA warnt vor nuklearem Unfall

Die IAEA ist höchst alarmiert über die Verhältnisse im von Russland besetzten ukrainischen AKW Saporischschja. Wegen der Überlastung des Personals drohten menschliche Fehler, die einen Nuklearunfall auslösen könnten. Und das Gebäude, in dem sich die zentralen Warn- und Alarmsysteme für Europas größtes AKW befinden, sei beschädigt. Die Situation sei „unhaltbar“.

Die „Bombardements der Anlage und der Umgebung“ müssten „unverzüglich eingestellt werden“, um erneute Schäden zu vermeiden, heißt es im mehr als 50-seitigen IAEA-Bericht weiter.

Erforderlich seien sofortige Maßnahmen, um Schlimmeres zu verhindern, inklusive einer Sicherheitszone rund um das Kernkraftwerk, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht der UNO-Behörde, der die Erkenntnisse des Besuchs von Fachleuten in dem Atomkraftwerk vergangene Woche zusammenfasst.

Angst vor GAU im AKW Saporischschja

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ortet Schäden am und um das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine. Zudem drohen wegen der Überbelastung des Personals menschliche Fehler, die einen Nuklearfall auslösen könnten.

Die IAEA stehe bereit, um umgehend eine solche Zone einzurichten. Die Situation an dem Kraftwerk sei sehr besorgniserregend. Es seien bei der Untersuchung auch Schäden nahe der insgesamt sechs Reaktoren sowie der Lagerstätten von nuklearem Abfall festgestellt worden, heißt es weiter. Es seien zwar bereits einige Arbeiten ausgeführt worden, um die Schäden zu beheben, diese seien aber noch nicht abgeschlossen. Auch das Gebäude, in dem sich das Warnsystem befinde, sei beschädigt.

Personal unter enormem Stress

Die IAEA-Inspektoren hätten bei ihrem Besuch in dem AKW die Präsenz russischen Militärpersonals sowie Fahrzeuge und Ausrüstung der Streitkräfte festgestellt. Die von russischen Soldaten überwachten ukrainischen Techniker des Kraftwerks seien großem Stress und Druck ausgesetzt, der zu menschlichem Versagen führen könne.

Die IAEA fordert daher die Wiederherstellung einer angemessenen Arbeitsumgebung für das ukrainische Personal – inklusive Kontakt und Unterstützung durch die Familie. Viele Mitarbeiter hatten, solange das möglich war, das AKW verlassen. Die verbliebene Mannschaft muss entsprechend viele Schichten machen und ist übermüdet. Dazu kommt der Dauerdruck durch die Anwesenheit feindlicher Soldaten und die Angriffe auf dem und rund um das Gelände des AKW.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Kiew und Moskau werfen einander seit Wochen gegenseitig vor, das AKW anzugreifen und einen Super-GAU heraufzubeschwören. Derzeit ist keiner der Reaktoren ans Netz angeschlossen. Ein Reaktor produziert aber Strom zur Kühlung der Brennstäbe und der anderen Reaktoren.

Laut dem staatlichen ukrainischen Betreiber Enerhoatom war der Grund dafür, dass der letzte noch arbeitende Reaktor vom Netz genommen wurde, ein durch Angriffe ausgelöstes Feuer, das eine Stromleitung zwischen dem Kraftwerk und dem ukrainischen Stromnetz beschädigt haben soll.

Die Mission der IAEA unter Leitung ihres Vorsitzenden Rafael Grossi hatte in der vergangenen Woche das AKW Saporischschja besucht. Sechs Inspekteure verblieben danach zunächst dort. Am Montag reisten vier von ihnen ab. Die anderen beiden IAEA-Experten sollten „dauerhaft“ bleiben, so Enerhoatom.

„Russland muss sich zurückziehen“

Die Ukraine erwartet sich von der IAEA-Mission zunächst eine "genaue und unabhängige Bewertung der Lage. Das sagte Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstagabend im ZIB2-Interview. Nur eine Demilitarisierung des Kernkraftwerks könne Sicherheit vor nuklearer Strahlung bieten – und das betreffe nicht nur die Ukraine, sondern Europa und die ganze Welt. „Russland muss sich vom Kernkraftwerk zurückziehen – Punkt, aus und basta“, so Kuleba der gegenüber der ZIB2 auch den Vorwurf zurückwies, wonach die Ukraine das Kraftwerk beschossen habe.

Ukrainischer Außenminister Kuleba im Interview

Die Lage um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sorgt für große Sorgen. Und Kiew zeigt sich weiter siegessicher. Zu diesen Themen ist der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba aus Kiew im ZIB2-Interview. Hinweis der Redaktion: Das ungekürzte Interview in englischen Original ist unter dem Link zur Sendung abrufbar.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die Kriegsparteien am Dienstagabend auf, sich auf eine kampffreie Zone um das gefährdete Atomkraftwerk zu einigen. „Russische und ukrainische Streitkräfte müssen sich verpflichten, keine militärischen Aktivitäten in Richtung des Werksgeländes oder vom Werksgelände aus durchzuführen“.

Moskau fordert weitere Infos von Atomenergiebehörde

Nach der Vorstellung eines Untersuchungsberichts forderte Moskau von den internationalen Fachleuten weitere Informationen. Die IAEA sei um „zusätzliche Erläuterungen“ gebeten worden, sagte Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax am Mittwoch am Rande eines Wirtschaftsforums in der östlichen Hafenstadt Wladiwostok. Details nannte er nicht.