Jugendliche lachen beim gemeinsamen Lesen am Smartphone
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Tinder wird zehn

Wisch und weg

Die Dating-App Tinder hat durch ihre „Swipe“-Methode die Welt der Beziehungssuchenden maßgeblich beeinflusst und brachte dabei die besten und schlimmsten Seiten der online datenden Menschheit hervor. Nach zehn Jahren ist die App für Liebessuchende zu einem vermeintlichen Spiel für Singles oder ganze Gruppen geworden. Jedoch hegt die junge Generation, glaubt man Experten, auch Vorbehalte.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Dating-Welt grundlegend verändert. Mitunter wichtigster Grund dafür ist die weltweite Verbreitung einer App, die die Partnersuche fast schon zum vermeintlich spielerischen Erlebnis machen sollte. Durch einfaches Wischen (engl.: „swipe“) nach links oder rechts kann man binnen weniger Sekunden entscheiden, ob man die Person im angezeigten Profil kennenlernen möchte oder nicht. Wischen beide Personen die gegenseitigen Profile nach rechts, ergibt sich ein „Match“ und das Daten kann beginnen. So zumindest die Theorie.

Während Onlinedating Anfang der 2000er Jahre eher als Verzweiflungsakt von Langzeitsingles abgetan wurde, ermöglichte Tinder eine schnelle und gezielte Chance, aus einer großen Auswahl potenzielle Sexual- und Lebenspartnerinnen und -partner auszusuchen. „Es öffnet sozusagen neue Türen zum Kennenlernen“, erklärt die Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP), Beate Wimmer-Puchinger, gegenüber ORF.at.

Mehr Regeln und mehr Möglichkeiten

Mit Tinder kann man bereits vorab den Pool an möglichen Partnerinnen und Partner aussortieren, ohne seitenlange Onlineprofile und vielleicht sogar analoge Kontaktanzeigen zu durchforsten oder, für viele Liebessuchende noch schlimmer, die Personen zuerst physisch kennenlernen zu müssen.

Neben krampfenden Daumen bringt die App bei Userinnen und Usern vor allem eine sehr reglementierte Form des Kennenlernens, aber auch eine Erweiterung der Möglichkeiten in der Partnersuche, wie Kornelia Hahn und Martin Stempfhuber von der Abteilung für Soziologie an der Universität Salzburg im Gespräch mit ORF.at erläutern. Sie sehen im vergrößerten Suchradius und der Möglichkeit, selbst über die Präsentation der eigenen Person bestimmen zu können, Vorteile, die Singles vor dem digitalen Zeitalter verwehrt blieben.

Jugend „matcht“ mit Vorbehalten

Binnen kurzer Zeit katapultierte sich Tinder an die Spitze des Onlinedating-Marktes, wo es bis heute unangefochten ist. Durch die käuflichen Zusatzfunktionen und die Schaltung von Werbung generierte die App alleine vergangenes Jahr 1,65 Milliarden US-Dollar Umsatz. In den letzten Jahren scheint jedoch der Erfolg zu schwinden. So sanken die Nutzungszahlen 2021 um fünf Prozent auf 70,7 Millionen, wie die „Financial Times“ berichtete. Die Gründe für den Rückgang sind dabei vielschichtig.

Jugendliche am Smartphone im Park
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Pandemiebedingte Selbstzweifel und soziale Ängste machen es für Jugendliche schwieriger, spontan zu daten

So hat die Pandemie gerade bei der jüngeren Generation Z zu einem Umdenken in Bezug auf Liebesbeziehungen und Dating geführt. „Aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass viele Jugendliche vermehrt unter sozialen Ängsten, Selbstzweifeln und depressiven Stimmungen leiden“, so Wimmer-Puchinger. Das wirke sich auch darauf aus, sich auf fremde Personen körperlich und emotional einzulassen.

Gemeinsam statt einsam?

Für Hahn und Stempfhuber ist die „Swipe“-Partnersuche auch nur vermeintlich spielerisch. „Die größte Leistung erbringen dabei die Nutzerinnen und Nutzer selbst“, so die beiden Soziologen. Die passive Nutzung wird allerdings ebenso immer beliebter. So rief etwa die US-Komödiantin Lane Moore die Stand-up-Comedy-Show „Tinder Live“ ins Leben, in der das Publikum via Leinwand live mitentscheiden kann, ob eine Profil nach links oder rechts gewischt werden soll.

Auch in zahlreichen Filmen, Serien und Fernsehshows ist „Tindern“, wie die Verwendung der Datingapp alltagssprachlich genannt wird, zum teils handlungsbestimmenden Thema geworden. Das zeigt auch die jüngst gestartete Komödie „Match me if you can“ von Nina Hartmann, die die Tücken der verfälschten Selbstdarstellung in Datingprofilen aufzeigt.

Klassisches Dating bleibt „Luxusvariante“

Wegen ebensolcher und vieler anderer negativer Erfahrungen von Nutzerinnen und Nutzern hat Tinder sein Image als Suchmaschine für Langzeitbeziehungen teilweise eingebüßt. Neben Ghosting, also dem abrupten Kontaktabbruch nach dem ersten Kennenlernen, kam es über die Dating-App auch bereits zu ernsthaften Kriminalfällen wie Stalking, Geiselnahmen und Mord. Einen besonders brisanten Geldbetrugsfall behandelt auch die dieses Jahr veröffentlichte Dokumentation „Der Tinder-Schwindler“ des Streaminganbieters Netflix.

Die Dating-Apps Hinge und Bumble
beide: AP/Star Max
Neue Dating-Apps wie Bumble und Hinge machen Tinder auf dem Onlinedating-Markt Konkurrenz

Das führt dazu, dass die Generation Z eher auf anders gelagerte bzw. seriösere Dating-Apps umsteigt, wie auch die steigenden Nutzungszahlen der neuen Dating-Apps Hinge und Bumble laut einer Studie der britischen Forschungsagentur YouthSight bestätigen. Der klassische Weg des echten Kennenlernen etwa unter Freunden, am Arbeitsplatz, in den nun wieder geöffneten Bars und Diskotheken wird laut Wimmer-Puchinger aber nach wie vor die „sehnsuchtsvolle Luxusvariante“ bleiben.