Satellitenaufnahme des Militärflugplatz Saky auf der Krim
Reuters/Planet Labs Pbc
Nach einem Monat

Ukraine bekennt sich zu Angriffen auf Krim

Nach knapp einem Monat hat Kiew sich zu Angriffen auf mehrere Luftwaffenstützpunkte auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim bekannt. „Es geht um eine Serie von erfolgreichen Raketenschlägen auf die Luftwaffenbasen auf der Krim, vor allem um den Flugplatz Saky“, schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj in einem am Mittwoch bei der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform veröffentlichten Artikel. Offene Fragen bleiben dennoch.

Welche Raketen zum Einsatz kamen, teilte Saluschnyj nicht mit. Und damit bleibt ein Rätsel ungelöst: Die Ukraine verfügt eigentlich über keine Waffensysteme mit einer Reichweite, die aus dem von ihr noch kontrollierten Gebiet heraus Treffer auf der Krim erlauben würden. Die von den USA gelieferten Mehrfachraketenwerfer HIMARS haben zwar theoretisch eine solche Reichweite, allerdings wurden die entsprechenden Raketen der Ukraine nicht geliefert, wie die USA auch nach den Detonationen bekräftigten.

Spekuliert wurde über Schiffsabwehrraketen, die der Ukraine zur Verfügung stehen und die theoretisch auch Ziele an Land treffen könnten. Doch das sahen die meisten Experten als unwahrscheinliche Option an. Schließlich wurde HRIM-2 noch als Möglichkeit gesehen, ein von der Ukraine entwickeltes mobiles Boden-Boden-Raketensystem. Das Programm dafür wurde 2014 gestartet, zwischendurch wieder eingefroren – und es ist unbekannt, wie weit es gediehen ist.

Grafik zu Angriffen auf der Krim
Grafik: APA/ORF.at

Kein rasches Kriegsende erwartet

Bisher hat die Ukraine stets nur angedeutet, dass sie in die Angriffe im August involviert gewesen sein könnte. Bei dem Angriff auf den Flugplatz seien bis zu zehn russische Kampfflugzeuge zerstört worden. Ziel sei es, den Russen auch in entfernteren Gebieten zu verdeutlichen, dass es einen realen Krieg mit Verlusten und Niederlagen gebe, so Saluschnyj. Er geht nicht von einem Kriegsende im laufenden Jahr aus.

Seinen Angaben nach möchten die ukrainischen Streitkräfte 2023 diese Angriffe ausweiten, würden dafür aber neue Waffensysteme von den westlichen Partnern benötigen. Saluschnyj nannte dabei Raketen mit bis zu 300 Kilometer Reichweite für die US-amerikanischen HIMARS-Raketenwerfer. Er warnte auch, es bestehe ein „direktes Risiko“, dass Russland unter gewissen Umständen taktische Atomwaffen einsetzen werde. Auch ein erneuter russischer Angriff auf die Hauptstadt Kiew sei nicht auszuschließen, ebenso wenig wie ein Angriff von Belarus aus.

Ukrainische Vorstöße in Donezk

Dessen ungeachtet machen die ukrainischen Streitkräfte bei ihren Gegenangriffen im Osten des Landes offenbar Fortschritte. Zwar hielt sich die Regierung in Kiew weiter bedeckt, doch der gegnerische ranghohe Separatist Danijl Bessonow aus dem russisch besetzten Teil der Region Donezk äußerte sich ungewöhnlich offen. Seinen Angaben zufolge begannen ukrainische Streitkräfte am Dienstag mit einem seit Längerem vorbereiteten Angriff auf Balaklija. Die 27.000-Einwohner-Stadt liegt zwischen der umkämpften Großstadt Charkiw und dem russisch-besetzten Isjum, wo sich ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt für den russischen Nachschub befindet.

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meldete die Rückeroberung mehrerer russisch besetzter Ortschaften im umkämpften Nordosten des Landes. Die Regierung habe „gute Nachrichten aus der Region Charkiw“, in mehrere Siedlungsgebiete sei „die ukrainische Flagge zurückgekehrt“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. Er machte aber keine Angaben dazu, um welche Ortschaften es sich handeln soll.

Ungeklärte Lage bei Gegenoffensive im Süden

Die eigentliche Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte läuft deren Angaben zufolge aber im Süden des Landes bei Cherson. Doch auch hierzu lassen sich die ohnehin spärlichen Informationen und Angaben unabhängig kaum überprüfen. Die Führung in Kiew lässt keine Journalisten an die Front und veröffentlicht nur eingeschränkte Lageberichte, um auch Russland im Unklaren zu lassen und den Trumpf der Überraschung nicht aus der Hand zu geben.

Eine Militärsprecherin wurde in Medien mit den Worten zitiert, dass „bereits einige Gebiete befreit“ wurden. Nach Einschätzung westlicher Militärexperten versucht die Ukraine im Süden anscheinend, Tausende russische Soldaten am Westufer des Dnipro festzusetzen und deren Nachschublinien zu zerstören. Dabei soll es nach westlichen Einschätzungen durchaus Fortschritte geben.

London sieht russische Probleme

Das Verteidigungsministerium in London mutmaßt in seinem täglichen auf Geheimdiensterkenntnissen fußenden Tagesbericht, die russischen Angreifer planten vermutlich vor allem, den Vormarsch auf die ostukrainische Stadt Bachmut fortzusetzen. Dabei würden die Truppen aber auf Probleme stoßen.

„Die Kommandeure stehen vor dem Dilemma, ob sie operative Reserven zur Unterstützung dieser Offensive einsetzen oder sich gegen fortgesetzte ukrainische Vorstöße im Süden verteidigen sollen.“ Die ukrainischen Vorstöße erschwerten die Lage der Angreifer, hieß es weiter. „Mehrere gleichzeitige Bedrohungen, die sich über 500 Kilometer verteilen“ dürften demnach die russischen Fähigkeiten auf die Probe stellen, die Operationen zu koordinieren. Das habe Russland schon früher nicht geschafft.

Neuer Termin für Referendum

Einen neuen möglichen Termin gibt es indes für ein Referendum in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine über deren Annexion. „Es wäre richtig und symbolträchtig“, ein solches Referendum am 4. November abzuhalten, dem Tag der Nationalen Einheit in Russland, erklärte Andrej Turtschak, Generalsekretär der Putin-Partei Geeintes Russland, am Mittwoch.

Nach der Abstimmung würden „Donezk, Lugansk und viele weitere russische Städte endlich in ihren Heimathafen zurückkehren“. Die „Russische Welt“, die derzeit „formell durch Grenzen getrennt“ sei, würde so „ihre Einheit zurückerlangen“, fügte Turtschak hinzu. Auch der von Moskau eingesetzte Vizeverwaltungschef der Region Cherson, Kirill Stremoussow, schlug am Mittwoch der staatlichen Nachrichtenagentur TASS zufolge diesen Termin vor.

Zuvor galt ein Termin in der ersten September-Hälfte als Wunschdatum. Angesichts der ukrainischen Gegenoffensive im Süden setzte die russische Militäradministration ihre Pläne für eine Volksabstimmung aber aus. Stremoussow ist nicht mehr in Cherson, sondern in Russland – nach ukrainischen Angaben sind auch andere Beamte aus der umkämpften Region geflohen.