Seilbahngondeln der Wildspitzbahn auf dem Pitztaler Gletscher
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Energiewende

„Es wird auch in Tirol Windräder geben“

Energiepreise und Teuerung beherrschen auch den Landtagswahlkampf in Tirol – und das nicht nur in den Haushalten. Der Tourismus bangt nach einem guten Sommer und zwei Pandemiewintern um das besonders wichtige Wintergeschäft – und die dafür nötige Energie. Bei den alternativen Energieformen liegen Photovoltaik und vor allem Windkraft in Tirol noch zurück. Womöglich nicht mehr lange.

Im September beginnt auf dem Pitztaler Gletscher die Skisaison, entsprechend laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Pistenraupen und Schaufelbagger verteilen den unter Vlies konservierten Schnee, füllen Spalten und präparieren die Pisten für die ersten Skifahrer und Skifahrerinnen. Bis zur Bergstation der Wildspitzbahn auf 3.440 Metern sind die Arbeitsgeräusche zu hören, je nach Winkel und Höhenmeter vom lauten Rauschen des braunen Schmelzwassers unterbrochen.

Auf 2.841 Meter Höhe ist hier seit 2015 die laut Angaben höchstgelegene Photovoltaikanlage (PV) Europas in Betrieb: Die 3.504 Module erzeugen bis zu rund 1.450.000 kWh im Jahr, rund 400 Haushalte können mit der erzeugten Energie versorgt werden, heißt es. Aufgrund der Höhe (mehr Sonne, mehr Reflexion) ist die Ausbeute deutlich besser als im Tal. Der erzeugte Strom wird direkt zur Versorgung des Skigebiets genutzt, im Sommer gibt es Überschuss, im Winter müssen zwei Drittel des Bedarfs zugekauft werden.

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PV-Anlage auf dem Pitztaler Gletscher
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Seit 2015 besteht die PV-Anlage beim Pitztaler Gletscher
Seilbahngondel der Wildspitzbahn vor der PV-Anlage auf dem Pitztaler Gletscher
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Die PV-Anlage versorgt im Sommer die Seilbahngondeln der Wildspitzbahn zu 100 Prozent
PV-Anlage auf dem Pitztaler Gletscher
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Über 3.500 Module wurden für die PV-Anlage installiert
PV-Anlage auf dem Pitztaler Gletscher
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Im Sommer können PV-Anlagen viel Strom erzeugen, in der Höhe noch mehr
Riesiges Schneedepot auf dem Pitztaler Gletscher
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Der Schnee wird auf dem Pitztaler Gletscher wie auch anderswo in riesigen Schneedepots über den Sommer gelagert
Arbeiten mit Pistenraupen an Schneedepots auf dem Pitztaler Gletscher
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Pistenraupen verteilen den Schnee aus den Depots auf dem Gletscher
Pistenraupen auf dem Pitztaler Gletscher
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Mit Pistenraupen und anderem schwerem Gerät werden die Spalten des Pitztaler Gletschers aufgefüllt
Blick von der Bergstation der Wildspitzbahn auf dem Pitztaler Gletscher
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Blick von der Bergstation der Wildspitzbahn auf den Gletscher

Seit 2021 gehört das Pitztal zu den nun fünf Klimawandel-Anpassungsregionen (KLAR!) Tirols, die 2015 gebaute PV ist aber wohl nicht nur dem Klimawandel geschuldet: Rund 1,2 Prozent bzw. 750 GWh des jährlichen heimischen Stromverbrauchs entfallen laut Angaben der Wirtschaftskammer (WKO) auf Lifte und Beschneiungsanlagen. Rund 90 Prozent der Skilifte in Österreich setzen auf erneuerbare Energien, verweist Erik Wolf, Geschäftsführer der WKO-Bundessparte Transport und Verkehr, auf einen frisch ausgearbeiteten Infofolder zum Thema.

Gespannte Stimmung bei Betreibern

Die Energiefrage beschäftigt die Seilbahnbetreiber und die Branche natürlich besonders, Gesprächspartnerinnen und -partner waren aber schwierig zu finden. Zu unsicher sei die Lage, die Stimmung angespannt, man fürchte Energieknappheit, behördliche Auflagen und angeordnete Einschnitte. Man wolle in der Debatte auch kein Öl ins Feuer gießen, hieß es – nicht zuletzt nach der Aufregung im Frühjahr 2020, als Bilder von vollen Liften mitten im Lockdown für sehr viel Aufregung sorgten.

Im Juli erst sorgte ein Sager des Tiroler ÖVP-Abgeordneten Franz Hörl, Hotelier und Sprecher der heimischen Seilbahnen, für Aufregung: Er forderte, dass im Fall von Energierationierungen Seilbahnen mit genug Strom versorgt werden – notfalls zulasten von Städten und Haushalten. Mitte August klang das schon anders, mittlerweile denken die Seilbahnen offen über echte Einsparungen bei der Leistung nach bzw. kündigten bereits erste Schritte an – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Es sei eine „extrem schwierige Situation“, so Wolf von der WKO weiter. Dabei sei der Wintersport für den Tourismus und die Wirtschaft nicht nur in Tirol sehr wichtig. Im Winter 2018/19 gab es laut WKO 45,8 Mio Nächtigungen mit Seilbahnnutzungen im Zuge von Winterurlauben, mit einer Nettowertschöpfung von fünf Mrd. Euro bei 11,2 Mrd. Bruttoumsatz. 125.900 Arbeitsplätze (Zahlen 2018/19) würden durch die Seilbahnwirtschaft geschaffen, davon 108.800 außerhalb der Branche.

Pitztaler Gletscher vor Saisonstart

Seilbahnen für Energiedebatte gerüstet

Für die Energiedebatte hat sich die Branche gerüstet: Wolf zitiert Zahlen der Branche, wonach ein Skigast pro Tag durchschnittlich 18 kWh verbraucht, inklusive Pistenpräperierung, Beschneiung, Gastro, Infrastruktur usw. Die Seilbahnen selbst brauchen kaum Gas, allerdings angrenzende und zuliefernde Branchen wie Gastro oder Handel. Zum Vergleich: Die E-Control geht von einem Verbrauch eines durchschnittlichen Haushalts von 3.500 kWh aus.

Ein großes Problem ist allerdings die Anreise mit dem eigenen Auto. Selbst verweist die Branche auf ihrem Infoblatt darauf, dass eine Autofahrt von Wien nach Salzburg über die Westautbahn (A1) so viel Energie wie ein Siebentagesskipass verbraucht. Hier suche man derzeit Lösungen wie etwa Skibusse bzw. öffentliche Angebote, so Wolf.

Natürlich versuche die Branche, auch im eigenen Sinne, zu sparen, verweist er auf eine gesteigerte Effizienz der rund 2.648 Lifte und Bahnen um 20 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Aber manches sei nicht so einfach kompensierbar, nur mit Naturschnee sei etwa eine Saison in vielen Skigebieten nicht mehr möglich. Man müsse früh mit der Beschneiung beginnen, auch wenn das „niemanden freue“.

Weniger Angebot trotz höherer Preise?

Erste leichte Preisanpassungen gibt es laut Barbara Winkler, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung in Tirol, bereits, aber man müsse da ganz behutsam vorgehen. Man könne die tatsächlich steigenden Kosten nicht einfach „eins zu eins“ umlegen. Wenn der Preisanstieg zu hoch sei, verliere man ganze Gästegruppen.

Es sei auch schwierig zu erklären, dass etwa ein Outdoorpool vielleicht nicht mehr geheizt wird, die Hotelkosten für den Gast aber womöglich dennoch steigen. Bei alldem dürfe man zudem nicht vergessen, dass es in manchen Regionen in Tirol ohne Tourismus quasi keine Wirtschaft und damit auch keine Arbeitsplätze gebe – dazu zählten das Zillertal, das Tuxertal, das Ötztal und eben auch das Pitztal.

Im Pitztal dominiert Tourismus

Die Pitztaler Bergbahnen gelten als wichtigster Arbeitgeber in dem schroffen Tal, sie betrieben bis Mitte Juli das Projekt, die Skigebiete des Pitztaler Gletschers mit dem des Ötztals zu verbinden – bis eine Volksabstimmung in St. Leonhard das Projekt Gletscherehe stoppte. Ein Bürgerdialog soll die Hintergründe der äußerst knappen Absage erforschen – mehr dazu in tirol.ORF.at. Er könne selbst nicht sagen, ob die Ablehnung auf ein gesteigertes Klima- und Umweltbewusstsein zurückzuführen sei, so Elmar Haid, Bürgermeister der Gemeinde, gegenüber ORF.at.

Blick auf den Gletscher Mittelbergferner, den Linken Fernerkogel und dahinter das Ötztal
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Geplanter Ort der Gletscherehe: Der 3.278 Meter hohe Linke Fernerkogel trennt Pitz- und Ötztal

Haid argumentiert, dass ein Ausbau der Skipisten im Zuge des Zusammenschluss der Gletscher die Zukunft des Skigebietes nachhaltig sichern würde. „Wir leben vom Tourismus“, zu 65 Prozent vom Wintertourismus, obwohl der Sommer stark aufgeholt habe. Haid warnt auch vor einem Dominoeffekt, falls Hotels pleite gingen. Die Unberührtheit des Tals sei ein Zugpferd, man müsse das Potenzial ausschöpfen. Der Bürgermeister verweist zudem auf einen Bescheid aus dem Jahr 1978, darin stehe, dass der Pitztaler Gletscher alleine ohne den Ötztaler Gletscher als Skigebiet nicht überleben könne. „Das ist alles nicht neu.“

Debatte über Gletscherehe spaltete Gemeinde

Die Situation scheint nicht nur politisch sehr verfahren zu sein. Die Gemeinde sei jedenfalls tief gespalten, erzählt ein älterer Mann, der seine Enkel im Kinderwagen spazierenfährt. Als Befürworter des Zusammenschluss könne er nicht verstehen, warum trotz einstimmiger Gemeinderatsbeschlüsse die Entscheidung auf die Bevölkerung abgeschoben wurde. Jetzt sei guter Rat teuer, wie solle es denn nun weitergehen, frage er sich. Viele andere Möglichkeiten als Tourismus gebe es im Tal nicht, für die Jugend sei das nicht gut.

Ein etablierter Hotelier im Tal erzählt hingegen, dass er mittlerweile gegen den Zusammenschluss sei – schließlich zeige sich, dass alleine Wachstum nichts bringe. Man müsse sich nun damit auseinandersetzen, was bereits im Tal vorhanden sei. Er selbst sehe das als Chance und auch Möglichkeit, nachhaltig zu agieren. Ohne Zweifel seien aber der Tourismus und besonders das Skifahren im Pitztal sehr wichtig, immerhin sei der Winter sehr lang. Naturgemäß gibt es, angesichts des Abstimmungsergebnisses, auch viele Hoteliers, die den Zusammenschluss positiv sehen.

Betreiber pocht auf Nachhaltigkeit

Dass in Zeiten von Klimawandel und Gletscherschmelze ein Ausbau eines Skigebiets auf Gletschern womöglich nicht mehr zeitgemäß ist, will Franz Wackernell, Geschäftsführer der Pitztaler Bergbahnen, wichtigster Arbeitgeber im Tal, gegenüber ORF.at nicht so gelten lassen. Investitionen müssten immer wirtschaftlich sinnvoll und auch ökologisch nachhaltig sein. Der Betreiber investiere stark in Nachhaltigkeit bzw. suche immer nach gangbaren alternativen Lösungen, etwa bei Antrieben für Pistenraupen.

Eine Pistenraupe auf einem kleinen Haufen Schnee auf dem Pitztaler Gletscher
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Die Saison beginnt auf dem Pitztaler Gletscher bereits im September und dauert bis Mai

Man wolle auch die bestehende PV im Pitztal erweitern und im Kaunertal eine neue bauen – Windkraft habe man ebenfalls überlegt, das sei vor Ort auch aufgrund der Höhe, wo die Luft dünner ist, aber schwierig. Das Projekt Gletscherehe sei jedenfalls vorerst gestoppt, wie es weitergehe werde man sehen, über den Willen der Bevölkerung wolle man sich auf alle Fälle nicht hinwegsetzen.

Windkraft bisher in Tirol Tabuthema

Windkraft war in Tirol bis zuletzt quasi Tabuthema, inklusive markiger Ansagen aus der Politik. Nur vereinzelt gibt es kleine Windräder, als Privatinitiativen. Mittlerweile kommt Bewegung in die Debatte, auch auf politischer Ebene. Erste Projekte scheinen sich nun doch auch innerhalb der Bundeslandgrenzen zu materialisieren. „Es wird auch in Tirol Windräder geben“, nicht zuletzt vom Landesenergieversorger TIWAG, ist sich TIWAG-Vorstand Johann Herdina sicher: „Wir brauchen jede Kilowattstunde“, wenn es darum gehe, von fossilen Energieträgern wegzukommen.

Man setze auf alle Technologien, je nachdem was die beste Umweltoption ist, so Herdina. Bisher stammen über 90 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in Tirol aus Wasserkraft. Das Bundesland hat allerdings mit 43,5 Prozent österreichweit den höchsten Anteil bei Öl beim Endverbrauch, Gas kommt auf 14,5, Strom auf 22,5 Prozent.

Hochspannungsmast im Tiroler Pitztal
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Das Pitztal ist ein schroffes Tal mit sehr viel Natur

TIWAG setzt nun auch auf Photovoltaik

Beim Ausbau der Photovoltaik war die TIWAG bisher zögerlich, gibt Herdina zu, nun will man in diesem Bereich ebenfalls kräftig investieren. Heuer sollen zusätzliche 500 GWh Strom aus Wasserkraft dazukommen, bis 2030 weitere 500 GWh aus Wasserkraft und PV. Nicht alles ist immer überall sinnvoll: PV ist im Sommer stark, Windkraft im Winter – falls der Wind grundsätzlich günstig weht. Wasserkraft kann ganzjährig und kostengünstig produziert werden, aber auch hier braucht es den passenden Standort. Ein Mix ist sinnvoll, sagen Expertinnen und Experten.

Man müsse Technologien zudem zu Ende denken, argumentiert der TIWAG-Vorstand, ihm fehle bei PV eine Recyclingstrategie. Darüber ließe sich vermutlich debattieren, schließlich ist der PV-Markt noch nicht so alt. Betroffene erzählen aber auch, dass die TIWAG bei der Bereitstellung der für die Einspeisung von PV-Strom nötigen Zählpunkte durchaus zögerlich ist. Von der zuständigen TIWAG-Tochter TINETZ heißt es dazu, dass die Nachfrage sehr hoch ist, man habe auch bereits beim Personal aufgestockt.

Herdina führt an, dass Bewilligungsverfahren für neue Projekte lange dauern, er sei aber gegen eine Kürzung – es brauche in der Bevölkerung Akzeptanz und Konsens, das brauche eben Zeit. Man werde sehen, wie die geplante UVP-Novelle dabei helfe oder auch bremse. Die TIWAG selbst habe im Wipptal ein Windkraftprojekt geplant, es aber verworfen, weil man keine Genehmigung erwartet habe. Seine Hoffnung sei, so Herdina, „dass uns diese Krise zeigt, wie wertvoll Energie ist und dass auch Verzicht sinnvoll“ ist. Denn schließlich gebe es wenig Optionen: Strom sparen sei besser als komplett abzudrehen.