Albertina-Schau

Basquiat jenseits aller Labels

Schon zu Lebzeiten etablierte sich Jean-Michel Basquiat (1960–1988) als erster schwarzer Künstler im internationalen Kunstfeld, seit einigen Jahren erzielen seine Werke auf dem Auktionsmarkt bis zu dreistellige Millionenbeträge. Die Albertina zeigt nun einen imposanten Querschnitt durch sein Werk. Dass Basquiat am Siedepunkt eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins stand, erklärt der Musiker, Künstler und Galerist Skero gegenüber ORF.at beim Museumsbesuch.

Eine schwarze Figur auf hellem Karton, die mit Ölstift ausgeführte Fläche nur von ausgesparten Augen durchbrochen: Basquiats „Self-Portrait“ (1983) ist als Scherenschnitt oder Maske zu verstehen, ein porträtiertes Individuum sucht man vergebens. In der seit Freitag in der Albertina zu sehenden Schau, hängt das Bild in der Mitte der sechs Säle und rund 50 Bilder umfassenden Retrospektive.

Das ist ein schlauer Kniff von Kuratorin Antonia Hoerschelmann und Kurator Dieter Buchhart: Die Besucherinnen und Besucher arbeiten sich anhand des Weges bis zum Selbstporträt durch Bedeutungsschichten des Werks, die durchaus Labels sind. Basquiat, der „politische Künstler“, der etwa mit dem expressionistischen „La Hara“ (puertoricanisch-spanischer Slangausdruck für „Polizist“) Alltagsrassismus und Polizeigewalt anprangerte, Basquiat der Entdecker afrikanischer Traditionslinien, der mit seinen schwarzen, gekrönten Kriegerfiguren ein kraftvolles und starkes Ideal entwarf.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Gemälde von Basquiat „Untitled, 1981“ und „La Hara, 1981“
Courtesy of Arora Collection © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Basquiats „Untitled“, 1981, und „La Hara“, 1981
Zwei Gemälde von Basquiat
Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
„Untitled“, 1982, und „Self-Portrait“, 1983
Schwarz-weißes Gemälde von Basquiat „Untitled“
Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
„Untitled“, 1982
Jean-Michel Basquiat Gemälde „Light Blue Movers, 1987“
Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
„Light Blue Movers“, 1987

„Suche nach neuer schwarzer Identität“

Weitere Interpretationsschichten, wie die Möglichkeit, den in der Bronx Aufwachsenden mit einer väterlichen Herkunftsline aus Haiti und mütterlicherseits aus Puerto Rico als Ausdruck des New Yorker Melting Pots der 1970er und 1980er zu begreifen, eröffnet die Schau ebenso, wie Basquiat als Künstler mit Lebensthemen aber drastisch kurzer Lebenszeit zu sehen: Etliche Werke zeigen Skizzen menschlicher Anatomie, Sujets, die ihn seit einem Autounfall in Kindheitstagen und der nachhaltigen Faszination für den Anatomieatlas „Gray’s Anatomy“ begleiteten.

Ausstellungshinweis

„Basquiat. Die Retrospektive“ ist noch bis zum 8. Jänner 2023 in der Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Schließlich wird Basquiat als technischer Innovator gezeigt: Etwa bei dem großformatigen Siebdruck „Tuxedo“ bei dem Notiz- und Skizzenblätter zu einer menschlichen Figur arrangiert sind, die eine Krone trägt. Als „Suche nach einer neuen schwarzen Identität“ deutet der Musiker, Künstler und Galerist Skero das Bild beim Museumsbesuch mit ORF.at. Er habe in einer Zeit und an einem Ort gearbeitet, als in allen möglichen Kunstformen, etwa auch im Hip-Hop, Entwürfe eines neuen schwarzen Selbstbildes und -bewusstseins auftauchten.

Neben der technischen Innovation sei das Bild aber nicht eindeutig interpretierbar, so Skero. Die vielen Versatzstücke mit Zitaten und Hinweisen auf Geschichte und Politik darauf könnten natürlich tiefsinnig kalkuliert sein. Anderseits experimentierte Basquiat auch seit früher Jugend mit Drogen und starb 27-Jährig an seiner Heroinsucht. Skero erinnert daran, dass die Skizzen und Referenzen genauso gut Rauschprodukte sein könnten, die er dann gleich wieder malerisch umsetzte – Arbeit an der Oberfläche statt am tiefen Sinn.

Pop artists Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat stehen Rücken an Rücken vor ihren Gemälden in der Tony Shafrazi Gallery in Manhattan im Jahr 1985
Picturedesk.com/AP/Richard Drew
Jean-Michel Basquiat mit Freund und Förderer Andy Warhol

Die Marke Basquiat

Basquiat hat jedenfalls schon früh beschlossen, ein anerkannter Künstler zu werden. Dass der Autodidakt selbst Strategien entwickelte, um sich im Kunstfeld sichtbar zu machen, zeigt die Ausstellung. Zusammen mit seinem Freund Al Diaz fiel er unter dem Pseudonym „SAMO“ (als Abkürzung für „same old shit“) Ende der 1970er Jahre als Graffiti-Künstler auf. Auch wenn bei Arbeiten wie dem Großformat „6 Months“, bei dem mit aufkaschierten Blättern und Übermalungen durchaus der malerische Untergrund – Wand, nicht Leinwand – der Graffitiszene nachgeahmt wird, hat sich Basquiat konsequent gegen jede Vereinnahmung gewehrt: „Labels bedeuten nichts. Meine Arbeit hat nichts mit Graffiti zu tun. Sie ist Malerei, und das war sie schon immer“, wird der Künstler im Ausstellungskatalog zitiert.

Der österreichische Hip-Hop-Musiker und Street-Art-Künstler Skero
APA/Georg Hochmuth

Skero ist Musiker (Texta, Müßiggang), bildender Künstler und Galerist. Mit seiner „Boutique Romana“ ist er noch bis Sonntag auf der Parallel Vienna vertreten.

Labels und Symbole waren fixer Bestandteil seines Formenrepertoires, oder wie Skero bemerkt: „Er ist sehr gut darin, den Bildraum anzufüllen und dadurch Interesse zu wecken.“ Sich selbst präsentierte Basquiat aber als Projektionsfläche: Seine Marke war sein Name und der Markeninhalt nichts außer Malerei. Genau darauf stößt das maskenhafte Selbstporträt hin: Basquiat nahm sich die erfrischende Freiheit, sich an Formen und Motiven zu bedienen – nicht umsonst wirken die Haare der schwarzen Maske wie eine Dornenkrone aus der Christusikonografie – allerdings ohne sich in eine Tradition zu stellen. Er eignete an und verweigerte sich gegen Einordnung.

Andauernder Nachruhm

Nicht zuletzt durch die Freundschaft und die Zusammenarbeit mit Andy Warhol erfuhr er mit 20 Jahren einen Popularitätsschub, der ihn zum High-Society-Phänomen machte, das Madonna datete und mit 21 Jahren bei der Documenta teilnahm. Sein Nachruhm – und sein Marktwert – steigert sich bis heute: 2017 wurde ein unbetiteltes Werk für 110 Millionen Dollar (rd. 110 Mio. Euro) versteigert, und erst im Mai wechselte ein ebenfalls titelloses Gemälde bei einer New Yorker Auktion um 85 Millionen Dollar (rd. 85 Mio. Euro) den Besitzer. Die Albertina-Schau, unbescheiden, aber nicht ganz unzutreffend als „Retrospektive“ bezeichnet, eröffnet einen schlau konzipierten Durchgang durch die Faszinationsgeschichte Basquiat.