Ein Russischer Truppentranporter in Kharkiw
APA/AFP/Juan Barreto
Ostukraine

Russische Truppen weichen Gegenoffensive

Mit ihrer Gegenoffensive haben die ukrainischen Streitkräfte die russischen Besatzer im Gebiet Charkiw unter Druck gesetzt. Nun ziehen die Russen dort aus strategisch wichtigen Orten ab. Für Russland ist es der schwerste militärische Rückschlag, seit ukrainische Truppen im März die Einnahme der Hauptstadt Kiew abgewehrt hatten.

Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte am Samstag den Rückzug seiner Kräfte aus der Stadt Isjum in der ostukrainischen Region Charkiw. Auch aus Balaklija zwischen Isjum und der Regionalhauptstadt Charkiw würden russische Kräfte abgezogen, zitierte die Nachrichtenagentur Tass einen Ministeriumssprecher.

Nach Bekanntgabe des Truppenrückzugs riefen die russischen Besatzer in Charkiw alle Bewohnerinnen und Bewohner der bisher unter ihrer Kontrolle stehenden Orte zur Flucht auf. „Ich empfehle nochmals allen Bewohnern der Region Charkiw, das Gebiet zum Schutz ihres Lebens und ihrer Gesundheit zu verlassen“, sagte der Chef der von Russland eingesetzten Militärverwaltung, Witali Gantschew, laut der Agentur Tass. „Jetzt in seinem Haus zu bleiben, ist gefährlich.“

Viele Militärexperten gehen davon aus, dass die Russen mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn angesichts des ukrainischen Vorstoßes im Charkiwer Gebiet so stark unter Druck gerieten, dass sie sich zur Flucht entschieden.

Umkämpfter Knotenpunkt Kupjansk

Der Chef der prorussischen Separatisten in der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, sprach von einer „schwierigen Lage“. Die Situation in der Stadt Lyman sei „ziemlich schwierig, ebenso wie in einer Reihe anderer Orte im Norden der ‚Volksrepublik‘“, sagte Puschilin in einem auf dem Onlinedienst Telegram veröffentlichten Video.

Die Ukraine hatte bereits erklärt, sie habe große Gebiete in dieser Region zurückerobert und sei bis in die strategisch wichtige Stadt Kupjansk vorgedrungen. In Kupjansk veröffentlichte der Regionalrat am Samstag auf Facebook Fotos, die ukrainische Soldaten vor dem Rathaus zeigten. Kupjansk ist so bedeutsam, weil dort die Eisenbahnlinien in der Ostukraine mit der Bahnstrecke nach Russland zusammentreffen. Durch die Rückeroberung Kupjansks läuft das russische Militär Gefahr, dass Tausende seiner Soldaten an der Front eingekesselt werden.

Moskau spricht von Umgruppierung

Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete den Rückzug als Schritt zur Erfüllung seiner militärischen Ziele. „Um die erklärten Ziele der militärischen Spezialoperation zur Befreiung des Donbas zu erreichen, wurde entschieden, die russischen Truppen umzugruppieren, die in den Bezirken Balaklija und Isjum stationiert sind“, erklärte das Ministerium laut Tass. Die betreffenden Kräfte sollten stattdessen zur Verstärkung des Militäreinsatzes in Richtung Donezk eingesetzt werden. Stadt und Region Donezk befinden sich südöstlich von Charkiw.

Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben ein riesiges Gebiet im Osten zurückerobert – in ihrem schnellsten Vormarsch seit der Abwehr des russischen Angriffs auf die Hauptstadt in Kiew im März. In dem Gebiet beobachtete ein Reuters-Reporter, wie die ukrainische Polizei in Städten patrouillierte. An Stellungen, die von russischen Soldaten auf ihrer Flucht aufgegeben wurden, lagen zuhauf Munitionskisten.

Ukraine meldet Erfolge an der Front

Die ukrainische Armee vermeldet weitere Gebietsgewinne an der Front. In der Region Charkiw im Nordosten scheint die russische Armee von der Gegenoffensive der Ukraine überrascht worden zu sein.

Selenskyj: „Besatzer haben in der Ukraine keinen Platz“

Der von Moskau bekanntgegebene Truppenrückzug aus dem Gebiet Charkiw ist in Kiew mit Genugtuung aufgenommen worden. „Besatzer haben in der Ukraine keinen Platz und werden keinen haben“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Sonntag. Für weitere erfolgreiche Gegenoffensiven ist Kiew eigenen Angaben zufolge aber auf weitere Waffenlieferungen aus dem Westen angewiesen.

Selenskyjs Angaben zufolge haben die Ukrainer in den vergangenen zehn Tagen rund 2.000 Quadratkilometer an bisher von Russland besetztem Gebiet zurückerobert. Der ukrainische Staatschef dankte allen Soldaten, die an Rückeroberungen im Charkiwer Gebiet beteiligt waren.

GB: Ukrainische Truppen weiter auf Vormarsch

Nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes haben die ukrainischen Truppen in den vergangenen 24 Stunden erneut bedeutende Fortschritte bei ihrer Gegenoffensive in der Region Charkiw im Osten gemacht. Das russische Militär habe wahrscheinlich Einheiten von dort abgezogen, heißt es im jüngsten Geheimdienstbericht. Allerdings hielten Kämpfe rings um die Städte Kupjansk und Isjum an.

NATO: Ukraine-Krieg geht in „kritische Phase“

Nach Einschätzung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht der Krieg in der Ukraine in eine „kritische Phase“. Ukrainische Streitkräfte hätten zuletzt dank der Unterstützung aus NATO-Staaten Moskaus Offensive im Donbas stoppen und Territorium zurückerobern können, sagte Stoltenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Außenminister Anthony Blinken in Brüssel.

Stoltenberg: Krieg geht in „kritische Phase“

Nach Einschätzung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht der Krieg in der Ukraine in eine „kritische Phase“. Ukrainische Streitkräfte hätten zuletzt dank der Unterstützung aus NATO-Staaten Moskaus Offensive im Donbas stoppen und Territorium zurückzuerobern können, sagte Stoltenberg am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Außenminister Anthony Blinken in Brüssel.

Die Offensive der Ukraine im Osten kam überraschend und nur eine Woche nach Beginn des lange erwarteten ukrainischen Gegenangriffes an der Front im Süden in Cherson. Über den Einsatz in dieser Region, die gegenüber der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim liegt, wurden bisher weniger Informationen veröffentlicht. Doch auch dort hat die Ukraine nach eigenen Angaben Erfolge verbucht. So ist es demnach ihren Truppen gelungen, Tausende russische Soldaten, die sich am Westufer des Dnipro (Dnjepr) aufhalten, zu isolieren.