Wahlhelfer zählt Stimmzettel in Schweden
Reuters/Tt News Agency
Schweden

Knappes Rennen auch nach Wahlschluss

Die schwedischen Parlamentswahl am Sonntag ist zu einem wahren Wahlkrimi geworden. Hatte es zunächst nach einem Sieg des Linksbündnisses unter der sozialdemokratischen Premierministerin Magdalena Andersson ausgesehen, kippte die Mehrheit im Lauf der Nacht zugunsten des rechten Lagers. Bis zum Endergebnis dürfte es noch dauern.

In der Nacht sagte Andersson nach Auszählung von 92 Prozent der Stimmen, der Wahlausgang sei zu knapp, um einen Sieger zu bestimmen. „Die Wahllokale sind geschlossen, aber wir werden heute Abend kein endgültiges Ergebnis haben“, sagte sie. Das bestätigte auch die schwedische Wahlbehörde gegenüber der Nachrichtenagentur TT. Das Endergebnis werde bis Mittwoch dauern, wenn alle Stimmen aus dem Ausland sowie verspätete vorzeitig abgegebene Stimmen ausgezählt worden seien, hieß es.

Der Wahlabend selbst war für viele Beteiligte eine Achterbahn der Gefühle. Die ersten Prognosen hatten eine deutliche Führung der Sozialdemokraten vorhergesagt, auch das gesamte Linksbündnis von Anderssons Sozialdemokraten, der liberalen Zentrumspartei, der Linken und der Grünen lag vorne. Im Lauf des Abends kippte die Mehrheit um einen Sitz zugunsten des konservativen Lagers von Moderaten-Chef Ulf Kristersson. Er könnte nun neuer Premier werden.

In Schweden weichen Teilergebnisse und Nachwahlbefragungen mitunter deutlich vom Endergebnis ab. In dem skandinavischen Land waren rund 7,5 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen, die Wahlbeteiligung ist traditionell hoch.

Bündnis mit Schwedendemokraten

Das Rechtslager aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen hatte sich erstmals mit den rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD) zusammengeschlossen. Kristersson hatte diese Kehrtwende 2019 eingeläutet, damals nahm er bereits Gespräche mit den nationalistischen und einwanderungsfeindlichen Schwedendemokraten um Parteichef Jimmie Akesson auf. Später zogen seine Bündnispartner, Christdemokraten und Liberale, nach.

Jimmie Akesson, Vorsitzender der Demokraten
AP/TT News Agency/Tim Aro
Jimmie Akesson von den Schwedendemokraten: Auf dem Weg zu einem Rekordergebnis

Die aus der Neonazi-Bewegung Ende der 1980er Jahre hervorgegangenen Schwedendemokraten um Akesson waren 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals in den schwedischen Reichstag eingezogen, 2018 erreichten sie bereits 17,5 Prozent. Ihr Aufstieg in den vergangenen zehn Jahren fällt mit einer deutlichen Zunahme der Zahl der Einwanderinnen und Einwanderer zusammen. Schweden mit seinen zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nahm in diesem Zeitraum fast eine halbe Million Asylwerber auf. Die klare Ablehnung von Zuwanderung und gleichzeitige Verteidigung des schwedischen Wohlfahrtsstaats haben die Schwedendemokraten bei unteren Einkommensschichten und Pensionisten beliebt gemacht.

Gewalt und Migration als Themen

Wahlkampfthema Nummer eins war auch die Gewaltspirale der vergangenen Jahre. Erst im Sommer hatte es in Schweden eine Serie von Gewalttaten mit Verbindung zur organisierten (Drogen-)Kriminalität gegeben. Bisher jüngstes und spektakuläres Beispiel waren die tödlichen Schüsse in einem Einkaufszentrum in Malmö Mitte August. Immer wieder gerieten auch Unbeteiligte zufällig in die Schusslinie.

Die Opposition warf Anderssons Sozialdemokraten vor, die Situation nicht im Griff zu haben. Laut dem Schwedendemokraten Akesson sei vor allem die „große, unkontrollierte und nachlässige Migrationspolitik“ schuld an der hohen Bandenkriminalität.

NATO und Klima ausgespart

Die Bewerbung des skandinavischen EU-Lands um die NATO-Mitgliedschaft im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine spielte dagegen im Wahlkampf kaum eine Rolle. Auch Klimathemen wurden weitgehend ausgespart, wie die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg kritisierte.

Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung dürfte wie bereits nach der Wahl 2018 eine langwierige Regierungsbildung bevorstehen, da sich auch die Parteien innerhalb der Blöcke in mehreren Angelegenheiten uneins sind. Der schwedische Reichstag hat 349 Sitze. Für eine Mehrheit sind somit 175 Mandate notwendig. Um diese äußerst knappe Zahl zu erreichen, sind Andersson und ihre rein sozialdemokratische Minderheitsregierung bisher auf die Unterstützung der liberalen Zentrumspartei, der Linken und der Grünen angewiesen. Der konservativ-rechte Block unter Kristersson verfügte bisher über die restlichen 174 Sitze.

Eine lange Pattsituation wäre allerdings schwierig: Wirtschaftskrise, der NATO-Beitritt und die EU-Ratspräsidentschaft 2023 stellen die künftige Regierung vor enorme Herausforderungen.