Zwei Astronauten und eine Astronautin in Anzügen stehen in einem Raumschiff
Samsara Film/Graf Film/Philipp Brozsek
„Rubikon“

Begrenzte Solidarität in der Raumstation

Mit ihrem Spielfilmdebüt „Rubikon“ ist der österreichischen Regisseurin Leni Lauritsch ein elektrifizierendes Science-Fiction-Drama im All gelungen – mit Schauwerten, die sich vor Hollywood nicht verstecken müssen und philosophischen Fragen, die sich direkt an unsere Gegenwart richten.

Angeblich ist es nur ein Routineeinsatz, der Astronautin Hannah (gespielt von Julia Franz Richter) und den Chemiker Gavin (George Blagden) zur Raumstation Rubikon bringt. Wobei, so ganz glaubt das niemand von der Rubikon-Crew. Es ist das Jahr 2056, die Menschheit hat die Erdoberfläche durch systematische Ausbeutung nachhaltig zerstört. Längst gibt es keine Nationen mehr, an ihrer Stelle haben sich Großkonzerne die Erde untertan gemacht.

Auf der Station leben zwei Handvoll Wissenschaftlerinnen und Astronauten zusammen, führen Experimente an Algen durch und beobachten die immer dunkler werdende Weltkugel unter ihnen. Als Hannah und Gavin mit ihrem Shuttle andocken, schlägt ihnen vom ersten Moment an Misstrauen entgegen, denn rasch wird deutlich, dass Hannah eine Konzernsoldatin ist. Ihre genaue Mission ist allerdings unklar: Betreibt sie Spionage? Hat sie die Macht, die Station zu schließen?

Regisseurin Leni Lauritsch spricht mit ORF.at über ihr Spielfilmdebüt.

Dann bricht der Kontakt mit der Erde ab. Offenbar ist dort unten eine weitere von Menschenhand provozierte Naturkatastrophe geschehen. Die Nervosität ist groß, schließlich fliegt ein Teil der Crew los, um eine Landung auf der Erde zu wagen. Zurück bleiben Hannah, Gavin und der visionäre Biologe Dimitri (Mark Ivanir). Bis auf Weiteres werden sie zu dritt überleben müssen, ohne zu wissen, wie es weitergeht.

Quarantäne ohne Ende

Zu dritt in einer viel zu engen Raumstation, Spazierengehen ist nur unter äußersten Sicherheitsvorkehrungen möglich, und niemand weiß, wie lange die Situation andauern soll: Wer sich beim Setting von Lauritschs Regieerstling „Rubikon“ an die diversen Lockdowns erinnert fühlt, hat nicht ganz unrecht. Von Anfang an beabsichtigt war diese Pandemieparallele allerdings nicht, die Grundidee des Films bezieht sich auf die viel größere Bedrohung der Klimakatastrophe, so Lauritsch gegenüber ORF.at.

Astronaut in einem Raumschiff schwebend, Szene aus dem Film „Rubikon“
Samsara Film/Graf Film/Philipp Bozsek
Spazieren im All: Maske allein reicht da nicht

„Ich bin riesiger Star-Trek-Fan. Ich mag es, wie da jeweils ein philosophisches Thema im Zentrum steht, und dann wird durchexerziert, was das in einer konkreten Situation bedeutet“, so Lauritsch. „Das wollte ich auch für unseren Film.“ Trotzdem ist „Rubikon“ nie schwerfällig gleichnishaft, wie das bei so vielen anderen Filmen der Fall ist, die kammerspielhaft die Zukunft der Menschheit in die Hände von ein paar Besatzungsmitgliedern eines Raumschiffs legen, wo dann das Schiff zur Metapher für existenzielle Einsamkeit wird.

Bei Lauritsch erfüllt die Raumstation mitsamt all ihrer Funktionen, ihres Grundrisses und ihrer technologischen Ausstattung ganz konkreten Zweck, wie die Regisseurin betont. „Ich kenne mich mit Visual Effects gut aus, also hab ich schon beim Schreiben gewusst, was machbar ist“, so Lauritsch, „auch innerhalb eines österreichischen Budgets“. Als Science-Fiction-Nerd sei ihr außerdem die solide Verankerung in wissenschaftlicher Recherche wichtig gewesen.

Ground Control an Rubikon

„Bei einer Star-Trek-Convention habe ich nicht nur einen Astronauten kennengelernt, sondern auch die Dame, die bei der European Space Agency (ESA) für die Ground Control zuständig ist“, so Lauritsch. Diese Ground-Controllerin lud Lauritsch und ihr Team, bestehend aus ihrer Koautorin Jessica Lind, Kostümbildnerin Monika Buttinger und Szenenbildner Johannes Mücke, nach Köln zur ESA ein.

Die Filmschaffenden durften dort durch ein Modell der Internationalen Raumstation (ISS) spazieren und sich inspirieren lassen, was besonders Mücke, einem erfahrenen Setdesigner u. a. für Roland Emmerich („Moonfall“), inspirierte. „Er war mit großem Enthusiasmus an Bord, weil er bei uns, im Gegensatz zu seinen US-Produktionen, als Hauptverantwortlicher seine Ideen verwirklichen konnte“, so Lauritsch.

Echte Menschen, echte Probleme

Die Rubikon wurde in einer alten Panzerfabrik in Wien gebaut („Das war die einzige Lagerhalle, die groß genug war“). Die digitale Version der Station und das Außen wurden von der Wiener Visual-Effects-Firma Arx Anima entwickelt. Es ist der erste österreichische Science-Fiction-Film, der mit spektakulären Sets in dieser Größenordnung arbeitet. Der Anspruch war von Beginn an international – und das hat sich bereits gelohnt: In den USA gab es schon im Juli einen limitierten Kino- und einen Video-on-Demand-Start.

Astronautin steht in einem Raumschiff und zeigt auf einen grünen Bildschirm
Samsara Film/Graf Film/Philipp Brozsek
Schleim des Lebens: Die Algen auf der „Rubikon“ haben besondere Bedeutung

Noch bemerkenswerter allerdings ist, wie souverän das Drehbuch fast allen Klischeefallen ausweicht. Hannah, Gavin und Dimitri haben alle drei ein glaubwürdiges Innenleben und folgen menschlichen Impulsen, keinen Drehbuchnotwendigkeiten. Die Spannung, unter der die drei in ihrer Isolation stehen, löst sich nicht nur in Aggression, sondern auch bei Party, Alkohol, Sex und Tanzen, die Hintergrundgeschichten der Figuren sind menschlich und komplex.

Die Fragen, die sich für die drei schließlich stellen, sind letztlich dieselben, vor denen Tag für Tag jeder Mensch steht – nämlich danach, wer den Vorrang haben soll: das Individuum oder das Wohl des Kollektivs. „Uns war die Ambivalenz des Themas Solidarität sehr wichtig, und die Frage, was wir als Mensch der Gesellschaft schulden“, so Lauritsch. Gelungen ist ihr ein Film, der mit den Erwartungen an das Science-Fiction-Genre spielt, und sie teils auf den Kopf stellt – in einem spektakulären Setting, dessen Lust am visuellen Detail echten Spaß macht.