Präsidentin der europäischen Kommission Ursula von der Leyen
AP/Jean-Francois Badias
Rede zur Lage der EU

Von der Leyen skizziert Energienotfallplan

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union im Europaparlament den europäischen Notfallplan gegen die Energiekrise präsentiert. Zur Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher sollen übermäßige Gewinne von Energiefirmen in der EU künftig abgeschöpft und umverteilt werden. Sie kündigte einen Gesetzesvorschlag an, der sowohl Produzenten von erneuerbarem Strom als auch Gas- und Ölkonzerne treffen würde.

„Unser Vorschlag wird mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedsstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern“, sagte von der Leyen. Der Gesetzesvorschlag sieht von der Leyen zufolge vor, dass übermäßige Gewinne vieler Stromproduzenten an Verbraucherinnen und Verbraucher verteilt werden, um sie bei den hohen Kosten zu entlasten. Der Strompreis wird derzeit vom hohen Gaspreis getrieben, auch Produzenten von billigerem Strom – etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft und Kohle – können diesen zu den hohen Preisen verkaufen.

Die Einnahmen von Unternehmen, die für die Stromproduktion anderen Quellen als Gas verwenden, sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig ab einem Preis von 180 Euro je Megawattstunde eingezogen und an belastete Verbraucher umverteilt werden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf präsentierten EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans und die EU-Energiekommissarin Kadri Simson.

Rede zur Lage der Union

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch ihre jährliche Rede zur Lage der Europäischen Union gehalten. Sie kündigte dabei unter anderen eine Reform des Strommarktes an und sicherte die langfristige Unterstützung der Ukraine zu.

Kommission will Krisenabgabe von Gas- und Ölkonzernen

Auch Gas- und Ölkonzerne sollten von der Leyen zufolge über eine Krisenabgabe ihren Beitrag leisten. Laut dem Entwurf sollen sie auf Profite des laufenden Jahres, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre lagen, eine Solidaritätsabgabe von 33 Prozent zahlen.

Von der Leyen kündigte zudem Maßnahmen an, um den Stromverbrauch der EU-Länder insgesamt zu senken. Laut dem Gesetzesentwurf, den Timmermans und Simson präsentierten, soll der Stromverbrauch zu Spitzenzeiten verpflichtend um mindestens fünf Prozent gesenkt werden. Insgesamt sollten die EU-Länder ihren Stromverbrauch freiwillig um zehn Prozent senken. Dafür sollen die EU-Länder Anreize schaffen.

Energieministertreffen Ende September

Die EU-Energieministerinnen und -minister hatten die Kommission am Freitag auch dazu aufgefordert, Vorschläge für einen Preisdeckel für Gas sowie für Liquiditätshilfen für Energieversorger vorzulegen. Von der Leyen kündigte an, dass man Maßnahmen entwickeln werde, die die Besonderheiten der Beziehungen zu Lieferanten berücksichtigten.

Zu dem zweiten Punkt sagte sie, dass der Rahmen für staatliche Beihilfen im Oktober geändert werde, um Garantien zu ermöglichen. Auch an einer langfristigen Reform des Strommarktes werde gearbeitet. Die Ministerinnen und Minister treffen sich am 30. September erneut in Brüssel, um dann über die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission zu entscheiden.

Raffaela Schaidreiter (ORF) über die EU-Rede

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter fasst die Rede zur Lage der Union der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen.

Gewessler begrüßt Pläne

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte die angekündigten Pläne: „Für die Probleme am europäischen Markt braucht es europäische und gemeinsame Lösungen“, sagte sie in einer Aussendung. Gewessler zeigt sich daher froh, dass nun konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, die sie auch mitbeschließen wolle.

Der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments (EP), Othmar Karas (ÖVP), und EP-Vizepräsidentin Evelyn Regner (SPÖ) vermissten hingegen Antworten auf die soziale Frage. NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon begrüßte die Pläne, zeigte sich aber vom Fehlen eines Preisdeckels auf russisches Gas enttäuscht. „Die Liberalisierung des Strommarktes war ein schwerer Fehler“, sagte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner indes. Die Arbeiterkammer (AK) befindet die Pläne für „kaum wirksam“. „Es gibt keinen Eingriff auf der Strombörse, eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis erfolgt nicht“, hieß es.

Der hohe Großhandelspreis für Strom bleibe unverändert. „Damit sinken die Strompreise weder für Haushalte noch für Unternehmen – die Inflation wird ebenfalls nicht gedämpft.“ Die Gewinnabschöpfung sei nur „ein schwacher Versuch“. Greenpeace sieht den Entwurf für eine Solidaritätsabgabe als einen „ersten Schritt“, drängt aber auf eine höhere Besteuerung.

Russland-Sanktionen werden von Dauer sein

Die Energiekrise war aber nicht das einzige Thema der Rede von der Leyens: Russland kann nach den Worten von der Leyens auf absehbare Zeit jedenfalls nicht mit einer Aufhebung der EU-Sanktionen rechnen. „Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden“, sagte sie. Moskau trage die Verantwortung dafür, dass die russische Wirtschaft den Anschluss verliere.

Von der Leyen war sich sicher, dass sich die Ukraine gegen Russland behaupten kann. Russlands Präsident Wladimir „Putin wird scheitern, die Ukraine und Europa werden sich durchsetzen“, sagte sie. Die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland seien die schärfsten Sanktionen, die die Welt je gesehen habe. „Dies ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung.“ Im Umgang mit Russland gestand von der Leyen auch Fehler ein. „Wir hätten auf die Warnrufe innerhalb der Union hören sollen“, sagte sie und verwies auf Polen und die baltischen Länder.

Von der Leyen reist nach Kiew

Zur Unterstützung der Ukraine will von der Leyen erneut in das von Russland angegriffene Land reisen. Sie werde noch am Mittwoch für Gespräche mit Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Kiew reisen, sagte sie. Man müsse darauf hinarbeiten, dass die Ukraine einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt habe und umgekehrt. Zugleich sagte sie der Ukraine eine Soforthilfe von 100 Mio. Euro zum Wiederaufbau von Schulen zu.

„Unser Binnenmarkt ist eine der größten Erfolgsgeschichten Europas. Nun ist es an der Zeit, ihn auch für unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde zu einer Erfolgsgeschichte zu machen“, sagte von der Leyen. Im Plenum des EU-Parlaments war auch Selenskyjs Ehefrau Olena Selenska anwesend. Sie wurde mit viel Applaus begrüßt. Von der Leyen bedankte sich für Selenskas Einsatz. Von der Leyen und weitere Politikerinnen trugen gelbe und blaue Kleidung, die an die Nationalflagge der Ukraine erinnern und Solidarität zeigen sollte.

Die Reise am Mittwoch wäre bereits von der Leyens dritte Reise in die Ukraine, seit Russland das Land am 24. Februar angegriffen hat. Mittlerweile haben die 27 EU-Staaten der Ukraine den Status als EU-Kandidat erteilt.

Olena Zelenska
AP/Jean-Francois Badias
Wolodymyr Selenskyjs Ehefrau Olena Selenska war im Europaparlament ebenso anwesend

EU sagt Ukraine weitere Hilfen zu

Zudem sagte sie, Europa sei seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde das auch auf lange Sicht tun. Mit Waffen, finanzieller Unterstützung und der Aufnahme von Flüchtlingen habe man dem Land geholfen. „Bisher hat das Team Europa finanzielle Hilfe von mehr als 19 Milliarden Euro bereitgestellt“, sagte von der Leyen. Dabei sei militärische Unterstützung noch nicht eingerechnet.

Die Bürgerinnen und Bürger der EU müssen aber vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges damit rechnen, dass die nahe Zukunft schwer werde. „Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht“, sagte von der Leyen, „weder für Familien, die nur schwer über die Runden kommen, noch für Unternehmen, die schwierige Zukunftsentscheidungen treffen müssen.“

Russlands Krieg sei nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine. „Dies ist ein Krieg gegen unsere Energieversorgung, ein Krieg gegen unsere Wirtschaft, ein Krieg gegen unsere Werte und ein Krieg gegen unsere Zukunft.“ Autokratie kämpfe gegen Demokratie. Sie sei fest davon überzeugt, dass man Putin mit Mut und Solidarität zum Scheitern bringen werde und Europa am Ende die Oberhand gewinne.

Mehr Flexibilität bei Schuldenabbau

Von der Leyen sprach auch die geplante Reform der EU-Schuldenregeln an, die für mehr Flexibilität beim Abbau von Schulden sorgen soll. „Im Oktober werden wir neue Vorschläge für unsere wirtschaftspolitische Steuerung vorlegen“, sagte sie. Neben mehr Flexibilität solle es auch eine größere Rechenschaftspflicht geben, wenn es um das Erreichen der vereinbarten Ziele gehe. Da viele Staaten während der CoV-Krise enorme Schulden aufnehmen mussten, wurden die Regeln ausgesetzt. Auch wegen der Folgen des Ukraine-Krieges sollen sie erst ab 2024 wieder vollständig gelten.

Die Stellungnahme ist an die Rede zur Lage der Nation angelehnt, die als eine der wichtigsten Reden des US-Präsidenten gilt. Im Anschluss an von der Leyens Rede ist eine Debatte mit den EU-Abgeordneten geplant. Für von der Leyen ist es die dritte Rede dieser Art. Sie ist seit 1. Dezember 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission.

Zu den Aufgaben der Behörde gehört es, Vorschläge für neue EU-Gesetze zu machen und die Wahrung der Europäischen Verträge zu gewährleisten. Um die Einhaltung von EU-Recht sicherzustellen, kann sie zum Beispiel Klagen gegen Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen.