Das ungarische Parlament
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Korruptionsvorwürfe

EU will Ungarn 7,5 Mrd. Euro kürzen

Wegen Korruption und anderer Verstöße gegen den Rechtsstaat in Ungarn hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, dem Land Zahlungen in Höhe von rund 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zu kürzen. Das teilte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Sonntag in Brüssel mit. Es ist das erste Mal, dass die Behörde wegen rechtsstaatlicher Verstöße die Kürzung von EU-Mitteln vorschlägt.

Das Geld aus dem EU-Haushalt sei in Ungarn nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt, sagte der österreichische Kommissar. Zugleich würdigte Hahn jene 17 Zusagen, die die ungarische Regierung zuletzt gemacht hatte, um die bestehenden Unzulänglichkeiten zu beseitigen. „Ungarn hat sich tatsächlich bewegt“, so Hahn.

Um dem Land tatsächlich Geld aus dem EU-Haushalt zu kürzen, müssten dem Vorschlag nun mindestens 15 Länder mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen. Eingeleitet hatte die Behörde von Ursula von der Leyen das Verfahren nach dem EU-Rechtsstaatsmechanismus bereits im April.

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn
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„Ungarn hat sich tatsächlich bewegt“, sagt EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn

Polen und Ungarn gegen neuen Mechanismus

Dieser ist seit Anfang 2021 in Kraft und soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben. Entscheidend dabei ist, dass durch die Defizite ein Missbrauch von EU-Geldern droht. Weil Polen und Ungarn sich besonders im Fokus des Instruments sehen, hatten beide vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen geklagt. Dieser wies die Klagen im Februar jedoch ab. Beide Staaten bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget.

Ungarn hatte gegenüber der EU-Kommission zuletzt etwas Kompromissbereitschaft gezeigt und Gesetzesänderungen präsentiert, räumte die Bedenken der Behörde aber nicht aus. Deshalb leitete sie nun den nächsten Schritt in dem Rechtsstaatsverfahren ein. Zudem blockiert die Behörde derzeit mehrere Milliarden Euro an Coronavirus-Hilfen für Ungarn. Es ist das einzige Land, das sich bisher nicht mit der EU-Kommission auf einen Plan für die Verwendung des Geldes einigen konnte.

Ungarn: Streit mit EU beigelegt

„Die Regierung hat die Wünsche der Europäischen Kommission entweder akzeptiert oder, soweit wir sie nicht akzeptieren konnten, einen Kompromiss geschlossen, der beide Seiten zufriedenstellt“, sagte der Stabschef von Ministerpräsident Viktor Orban, Gergely Gulyas, am Samstag. Die Regierung habe „diese Zugeständnisse heute erörtert und gebilligt“.

Die ungarische Regierung beschloss zuletzt etwa die Schaffung einer unabhängigen Antikorruptionsbehörde, die seit Langem seitens der EU-Kommission gefordert wurde. Auch der Umgang mit EU-Mitteln soll transparenter gemacht und strenger überwacht werden. Der Anteil öffentlicher Ausschreibungen mit nur einem Bieter soll reduziert und die Zusammenarbeit mit der EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF gestärkt werden. Die Gesetze sollten vom Parlament im Eilverfahren beschlossen werden und im November in Kraft treten.

Ungarischer Ministerpräsident Viktor Orbán
AP/Darko Vojinovic
Brüssel mit schweren Vorwürfen gegen Regierung unter Viktor Orban

Hahn will Rat um verlängerte Frist bitten

Diese Maßnahmen seien ein Paradigmenwechsel, sagte Hahn. Zugleich verwies er darauf, dass es sich bisher nur um Versprechen handle und wichtige Details noch festgelegt werden müssten. Ungarn will die EU-Kommission bis 19. November über die Umsetzung der Maßnahmen informieren. Die ersten Gesetze will Budapest bereits in dieser Woche ins Parlament einbringen.

Wenn Ungarn alle Zusagen umsetzt, dürfte die EU-Kommission empfehlen, die Mittel doch nicht zu kürzen. Hahn sagte am Sonntag bereits, dass die Umsetzung der ungarischen Zusagen eine Weile brauche. Deshalb werde man den Rat darum bitten, die Frist für eine Entscheidung von einem Monat auf die maximal vorgesehenen drei Monate auszuweiten.

Ungarns Chefverhandler Tibor Navracsics sagte am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Budapest, dass es zu der angedrohten Mittelkürzung nicht kommen werde. „Wir sind nicht deshalb Verpflichtungen eingegangen, um die Europäische Kommission zu benebeln.“ Der ungarischen Regierung komme es nicht in den Sinn, die von ihr eingegangenen Verpflichtungen nicht zu erfüllen.

Analyse: Kürzung der Fördermittel für Ungarn

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter und ORF-Korrespondent Ernst Kelegs analysieren den Plan der EU-Kommission, 7,5 Milliarden Euro Fördermittel für Ungarn wegen Korruptionsverdachts zu streichen.

Von der Leyen: „Rechtsstaatlichkeit schützen“

Die EU-Kommission bemängelt schon lange weit verbreitete Korruption in dem seit zwölf Jahren von Orban regierten Land. In einem Bericht vom Juli ist die Rede von „einem Umfeld, in dem die Risiken von Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen werden“.

In einem anderen Dokument der Behörde werden vor allem Defizite in der öffentlichen Auftragsvergabe kritisiert. Es gebe „schwerwiegende systembedingte Unregelmäßigkeiten, Mängel und Schwachstellen in den öffentlichen Vergabeverfahren“. Es folgt eine lange Liste weiterer Mängel.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union gesagt, entschieden gegen Korruption vorgehen zu wollen. „Es ist die Pflicht und die vornehmste Aufgabe meiner Kommission, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen“, so von der Leyen. Unter anderem soll eine unabhängige Behörde eingerichtet werden, die die Verwendung von EU-Mitteln überwacht.

Analyse: Kürzung der Fördermittel für Ungarn

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter analysiert den Plan der EU-Kommission, 7,5 Milliarden Euro Fördermittel für Ungarn wegen Korruptionsverdachts zu streichen.

Gemischte Reaktionen aus Österreich

Ungarische Antikorruptionsaktivisten warnen unterdessen davor, dass die Orban-Regierung Brüssel hinters Licht führen könnte. Auch aus dem Europaparlament kommen mahnende Stimmen. Unterschiedlich fielen am Sonntag die Reaktionen aus Österreich zu dem Vorschlag der EU-Kommission aus.

„Der Rechtsstaatsmechanismus wirkt! Gut, dass die Kommission jetzt konsequent vorgeht“, sagte der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP). Er „erwarte, dass sich die Mitgliedsstaaten ebenfalls entschlossen hinter unsere Werte und Recht stellen. Ungarn hat weiter die Chance, die Bedenken mit Reformen auszuräumen“, so Karas. NEOS begrüßt den Vorstoß der EU-Kommission. „Das ist ein sehr wichtiges Zeichen der Kommission“, twitterte Europaabgeordnete Claudia Gamon. „Wir müssen als EU geeint und entschlossen für Rechtsstaat und Demokratie aufstehen.“

Als „haltlos und empörend“ bezeichnete unterdessen die freiheitliche EU-Sprecherin, Nationalratsabgeordnete Petra Steger, den Vorstoß der EU-Kommission. „Diese Vorgehensweise gegenüber Ungarn ist hanebüchen und ein Affront gegen ein zahlendes Mitgliedsland der Europäischen Union, die man selbst eigentlich nur mehr als ‚Saustall‘ bezeichnen kann“, reagierte Steger. „Eine solche EU-Politik wird nur weiter dafür sorgen, dass so manches Mitgliedsland überlegen wird, auch ohne Leyen, Hahn und Co. auszukommen.“

Polen will Kürzung verhindern

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte am Sonntag vor Journalisten, sein Land werde sich „mit aller Kraft jedem Vorhaben der europäischen Institutionen widersetzen, auf absolut unzulässige Weise einem Mitgliedsland Mittel vorzuenthalten, im vorliegenden Fall Ungarn“.