Silvio Berlusconi (Forza Italia), Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) und Matteo Salvini (Lega)
Reuters/Remo Casilli
Italien wählt

Leises Bangen in Europa vor Giorgia Meloni

Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens, FdI) hat gute Chancen, nach der Parlamentswahl am Sonntag die erste Premierministerin des Landes zu werden und eine Mitte-rechts-Koalition anzuführen. Für die Stabilität der Europäischen Union verheißt der bevorstehende Rechtsruck nichts Gutes, steht Meloni doch Seite an Seite mit den brüsselskeptischen Regierungen von Polen und Ungarn.

Geht die Wahl so aus, wie es die letzten Umfragen verheißen, wird die FdI die stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus und im Senat, den beiden Parlamentskammern des Landes. Die Institute sehen die Postfaschisten bei Werten um 24 Prozent, vor der Demokratischen Partei, der stärksten Kraft im Mitte-links-Lager, die bei 22 Prozent liegt. Zusammen mit den verbündeten Rechtsparteien Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und Forza Italia des langjährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi – die beide deutlich hinter der FdI liegen – hat Meloni gute Chancen auf eine Regierungsmehrheit.

Das politische Erbe, auf dem die FdI 2012 gegründet wurde, ist das der in den 1990er Jahren aufgelösten postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI). Bei den Wahlen 2018 hatte die FdI nur knapp über vier Prozent der Stimmen geholt. Seither aber lief die Partei vor allem dank Meloni der Lega den Rang als stärkste rechte Kraft ab.

Wahlkampfslogan in Anlehnung an Trump

Die 45-Jährige aus dem römischen Arbeiterviertel Garbatella wettert gegen illegale „Masseneinwanderung“, hohe Steuern und die Brüsseler Technokratie. Sie will Italien „risollevare“, also wieder aufrichten, wie es auf ihren Wahlplakaten steht – ähnlich wie es US-Präsident Donald Trump mit „Make America Great Again“ propagiert hatte. Im ersten Satz des gemeinsamen Wahlprogramms kündigt Mitte-Rechts eine Außenpolitik an, „in deren Mittelpunkt das nationale Interesse steht und die Verteidigung der Heimat“. Meloni will, dass EU-Recht wieder unter nationale Gesetze rückt.

Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia)
APA/AFP/Piero Cruciatti
„Giorgia, eine Frau, eine Mutter, eine Italienerin, eine Christin“: So stellte sich Meloni einst in einer Rede vor

Gegenseitige Spaltungsvorwürfe

Unter Meloni wuchs die Nähe der Fratelli zu anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa, etwa der polnischen PiS sowie Ungarns FIDESZ. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat sie wiederholt verteidigt und als „Gentleman“ bezeichnet. Entsprechend sprach sich Meloni – ebenso wie die polnische Regierung – zu Wochenbeginn gegen die geplante Kürzung milliardenschwerer EU-Mittel für Ungarn wegen Korruption und schwerwiegender Grundrechtsverstöße aus. Die Kommission treibe „Orban in die Arme (des russischen Präsidenten Wladimir; Anm.) Putin“ und spalte die 27 Mitgliedsstaaten.

„Weltjournal“: Italien – rechte Wende in Europa

Das „Weltjournal“ berichtet über Italiens mögliche rechte Wende.

Genau das wirft Brüssel wiederum Meloni vor. Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi warnte vor „großen Problemen für die Europäische Union“ im Falle ihres Sieges. Die Folge wäre eine „Abkehr von unserer starken Tradition der europäischen Kooperation“, sagte er im Gespräch mit der APA. „Dass Meloni die Gefahr eines in Europa marginalisierten Italien nicht sieht, ist besorgniserregend“, ließ er in einem Interview mit der Zeitung „La Repubblica“ wissen.

Prodi warnt vor „Sanktionen“ wie gegen Österreich

Etwaige EU-Strafmaßnahmen gegen eine Regierung Meloni sieht er aber äußerst skeptisch – und bemüht dabei das Beispiel Österreich im Jahr 2000. Als die FPÖ unter Jörg Haider damals Koalitionspartner der ÖVP wurde, war Prodi Präsident der Kommission. „(Der ehemalige französische Präsident Jacques; Anm.) Chirac rief mich an, und nach ihm andere Staats- und Regierungschefs, und bat mich, für die Institution, der ich vorstand, zu intervenieren. Ich war strikt dagegen. Man sanktioniert kein Wahlergebnis, man sanktioniert ein Verhalten.“

„Wir sind besorgt“, sagte auch die frühere EU-Kommissarin und erfahrene italienische Abgeordnete Emma Bonino. Von Unbehagen will sie auch in anderen Hauptstädten wissen. Politikwissenschaftler Andrea Ungari von der Universität Luiss in Rom sieht die Lage weniger dramatisch: „Ich glaube nicht, dass Giorgia Meloni eine Gefahr für die Stabilität der EU darstellt. Italien hat ja seinen festen Platz in Europa. Außerdem ist es etwas anderes, wenn man aus der Opposition spricht oder wenn man sich mit all den Staats- und Regierungschefs der EU an einen Tisch setzt.“

Lega-Chef Matteo Salvini auf einer Wahlveranstaltung
APA/AFP/Piero Cruciatti
Salvini musste Meloni an der Spitze der Mitte-rechts-Koalition weichen

Qualifizierte Mehrheit bei EU-Voten in Schwebe

Wie entscheidend die künftige Ausrichtung Italiens aber ist, zeigt sich gerade am Beispiel Ungarn. Für einen Beschluss der Sanktionen gegen das Land ist eine qualifizierte Mehrheit nötig: mindestens 15 EU-Staaten, die 65 Prozent der europäischen Bevölkerung vertreten. Brüsseler Diplomaten warnen, dass sich dieses Quorum – das bei vielen Beschlüssen nötig ist – nach einem Rechtsruck in Italien womöglich nicht mehr erreichen lässt. Nachdem die rechtspopulistischen Schwedendemokraten in Stockholm nach der jüngsten Parlamentswahl an die Macht kommen dürften, hätte Italien die vierte dezidiert rechte Regierung der Union.

Kalmierend äußerte sich jüngst Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei einem Besuch seines Amtskollegen Sergio Mattarella in Italien: „Europapolitisch müssen wir im Fall eines Wahlsieges von Melonis Partei nicht in Panik verfallen. (…) Fratelli d’Italia ist zwar eine Rechtspartei, sie vertritt aber nicht Positionen anderer Rechtskräfte in Europa. Die Gruppierung ist transatlantisch, sie ist gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine und es gibt keinerlei Anzeichen, dass sie aus der europäischen Solidarität ausscheiden will“, sagte Van der Bellen.

Ukraine-Frage sorgt für Risse im rechten Lager

Zwar stimmt es, dass sich Meloni eindeutig zugunsten der Ukraine positioniert hat und in den vergangenen Monaten in der Opposition Waffenlieferungen an Kiew mitgetragen hat. Doch bei diesem Thema zeigen sich in ihrem Rechtsbündnis erhebliche Risse. Salvinis Lega hat seit Jahren immer wieder ihre Sympathie für Putin ausgedrückt – einst zog der Parteichef auf dem Roten Platz und sogar im Europaparlament ein Putin-Fanshirt an. Seit Kriegsbeginn hat er mehrfach die westlichen Sanktionen gegen Moskau infrage gestellt und die EU mitverantwortlich für die explodierenden Energiekosten gemacht.

Als in den USA jüngst ein Geheimdienstbericht öffentlich wurde, wonach Russland jahrelang Parteien im Ausland bezahlte, richteten sich die Augen auch auf die Lega. Salvini dementierte, er habe „nie nach Geldern gefragt oder welche erhalten, keine Rubel, Euro, Dinare oder Dollar“. Auch Berlusconi sagte, er sei „natürlich“ nicht involviert – 2010 hatte er seinen Freund Putin noch als „Geschenk des Himmels“ bezeichnet.

Der italienische Premierminister Mario Draghi.
AP/Pool Photo/Fabio Frustaci
Die Ruhephase, die Mario Draghi Italiens Politik kurze Zeit verschafft hat, ging mit Juli zu Ende

Der im Juli gestürzte Ministerpräsident Mario Draghi reagierte nüchtern. Er gehe nicht davon aus, dass Russland Gelder an italienische Parteien bezahlt hat. Auch Italiens Geheimdienste hätten aus den USA keine Informationen bekommen, wonach Kandidaten oder Parteien des aktuellen Wahlkampfs von Russland bezahlt werden. „Wir müssen weiter Vertrauen haben und uns nicht von irgendwelchen Stimmen verängstigen lassen“, sagte Draghi. Um dann einzuschränken: „Wir haben eine gewisse Vorstellung von Europa, wir verteidigen den Rechtsstaat. Wir stehen an der Seite von Deutschland und Frankreich. Was die nächste Regierung macht, weiß ich nicht.“