Wahlplakate in Tirol
APA/Barbara Gindl
Tirol wählt

Wellen schlagen bis nach Wien

Rund 535.000 Tirolerinnen und Tiroler sind am Sonntag aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Für das Bundesland könnte eine Zeitenwende bevorstehen, ebenso für die Tiroler ÖVP nach 77 Jahren als Landeshauptmannpartei. Die Folgen der Wahl dürften aber bis nach Wien ausstrahlen, meinen Fachleute.

Die ersten der insgesamt 789 Wahllokale öffnen schon um 6.00 Uhr, die letzten schließen um 17.00 Uhr, kurz danach wird es die erste Hochrechnung geben. Für die 36 Sitze im Landtag bewirbt sich neben den bisher dort vertretenen Parteien ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne, Liste Fritz und NEOS auch MFG. Die KPÖ tritt zudem in zwei Bezirken an, die Liste Mach mit in einem Bezirk.

Die Augen sind vor allem auf die ÖVP Tirol gerichtet, deren Situation laut dem aus Tirol stammenden Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) „schon einmal besser“ war, prognostizieren die Umfragen der Volkspartei doch einen deutlichen Absturz. Lag sie bei der Landtagswahl 2018 noch bei über 44 Prozent, könnte nun theoretisch sogar der Landeshauptmannsessel wackeln.

Kein Rückenwind, sondern Belastung

Spitzenkandidat Anton Mattle (ÖVP) kann nicht wie sein Vorgänger Günther Platter auf Rückenwind von einem starken ÖVP-Kanzler in Wien bauen, denn dieser kämpft derzeit selbst an vielen Fronten. Mattle wechselte im Wahlkampf zwischen bundes- und landespolitischen Anliegen, von der TIWAG-Sonderdividende bis zu den Russland-Sanktionen und seiner Kehrtwende mit dem plötzlichen Bekenntnis zu einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung – alles wurde zur Chefsache, obwohl Mattle gar nicht Landeshauptmann ist.

Höhepunkt war wohl die Diskussion über den Klimabonus für Asylwerber, die schließlich im Rücktritt von ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner gipfelte. Zudem machte das Thema Förderungen der Tiroler Jungbauern im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss in Wien keinen schlanken Fuß mitten im Wahlkampf.

Wahlwerbung der ÖVP auf Heuballen für Toni Mattle anlässlich der Landtagswahl Tirol 2022
ORF.at/Christian Öser
Die Tiroler ÖVP warf die Wahlkampfmaschine an. Mobilisiert wurde an allen Ecken und Enden.

Zauberwort „Erwartungsspiel“

Fällt Mattles Landespartei wie von der ÖVP befürchtet unter 30 Prozent, könnte es für ihn eng werden als Landesparteichef. Er selbst gab kürzlich als Ziel „34 Prozent oder mehr“ aus – um das zu erreichen, wurde an allen Ecken und Enden mobilisiert.

Die Wahl im ORF

Der ORF berichtet umfassend über die Wahl. Tirol.ORF.at wird den Tag mit einem Liveticker begleiten. In ORF2 berichten mehrere Ausgaben der ZIB Spezial ab 15.30 Uhr über die Entwicklungen und Ergebnisse.

„Ob nun die Daten der Wahlforschung stimmen oder nicht“, so der Politologe Peter Filzmaier zu ORF.at, die Symbolik werde auf den Bund umgelegt. Sowohl in Wien als auch in Innsbruck regiert schließlich eine schwarz-grüne Koalition. Die Frage sei, ob es für die ÖVP nur zu einem schlechten Wahlergebnis oder zu einem totalen Machtverlust komme, so Filzmaier. Letzteres sei unwahrscheinlich, aber in Tirol sei schon die Möglichkeit beachtenswert.

„Das Zauberwort lautet Erwartungsspiel“, so Filzmaier. Unter Platter sei die Lage bei Problemen immer schöngeredet worden. „Mattle setzt die Erwartungen niedrig an, was klüger ist. Dann kann man selbst noch bei 30 Prozent gut dastehen“, selbst wenn man den größten Verlust für die Tiroler ÖVP einfahren würde.

Vernunft und Realpolitik

Für die Bundes-ÖVP wäre das noch kein Schaden, so Filzmaier. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sitze fest im Sattel, solange sich keine Eigendynamik in der Partei entfalte. Die strategische Vernunft verbiete eine neue Obmanndebatte, denn ein Wechsel bringe der ÖVP derzeit nichts, außer dass ein neuer Chef oder eine neue Chefin dann gleich bei der nächsten Landtagswahl in Niederösterreich kommendes Jahr beschädigt werde. Doch gerade bei der ÖVP mit ihren früheren zahllosen Obmanndebatten könne man nicht immer mit strategischer Vernunft rechnen, so Filzmaier.

Grafik zur Landtagswahl in Tirol 2018
Grafik: APA/ORF.at

Für die Grünen im Bund rechnet Filzmaier nicht mit großen Folgen durch die Landtagswahl. Die Grünen in Tirol mit ihrem Spitzenkandidaten Gebi Mair hingegen stehen vorerst vor dem Ende ihrer Regierungsbeteiligung. Eine Zweiermehrheit von Schwarz und Grün dürfte sich nicht ausgehen, traten doch auch die Grünen zuletzt in den Umfragen auf der Stelle.

Blick nach St. Pölten

Ähnlich sieht es die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ORF.at. Direkte Auswirkungen auf die Bundespolitik werde es wohl selbst bei einem Landeshauptmannwechsel nicht geben, sehr wohl aber auf die Parteien, allen voran die ÖVP. „Sie wird stark betonen, dass es sich um eine reine Landeswahl handelt, die nichts mit der Bundes-ÖVP zu tun hat“, so Stainer-Hämmerle.

Die Unzufriedenheit in der Partei werde aber wohl eine Rolle spielen, etwa in Niederösterreich, wo im nächsten Jahr gewählt wird. Dort muss Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) schon jetzt mit großen Verlusten rechnen. „Nach der Tiroler Wahl könnte Mikl-Leitner Kritik an der Bundespartei üben, sie könnte sagen, in der ÖVP passiert zu wenig, und eine Obmanndebatte beginnen. Das Problem dabei wäre aber personell – wer sollte dann von Nehammer übernehmen?“, so die Politologin. Auch wenn die ÖVP kommunikativ vorgebaut habe im Fall großer Verluste, könnte es also in der ÖVP zu brodeln beginnen.

Vorentscheidung gegen FPÖ-Beteiligung

Der Tiroler SPÖ mit Georg Dornauer an der Spitze geht es ähnlich, sie kam in den Umfragen kaum vom Fleck. Alles andere als der zweite Platz wäre aber eine Enttäuschung für die SPÖ. Dornauer ging mit dem Ziel in den Wahlkampf, mit der ÖVP eine Zweierkoalition zu bilden, eine Mehrparteienkoalition lehnt er ab. Rein rechnerisch könnte zwar auch die FPÖ mit Spitzenkandidat Markus Abwerzger mit der Volkspartei koalieren, doch schloss Mattle Schwarz-Blau für Tirol von vornherein aus.

In Tirol werden Karten neu gemischt

Am Sonntag wird in Tirol gewählt. Am Dienstagabend diskutierten in ORF2 die Spitzenkandidaten. In der ZIB2 analysiert Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.

Abwerzger dürfte am Sonntag große Gewinne einfahren, die FPÖ liegt in den Umfragen zwischen 16 und 19 Prozent und könnte so der SPÖ theoretisch den zweiten Rang ablaufen. Da mit der FPÖ aber keine der relevanten Parteien koalieren will, drängte Abwerzger darauf, nach der Wahl zusätzliche „Arbeitsübereinkommen“ mit Oppositionsparteien zu schmieden. Sollte sich eine Koalition aus zwei Parteien nicht ausgehen, könnten sich drei Parteien auf einige Punkte einigen – der Rest passiere dann im „koalitionsfreien Raum“.

Stark dazugewinnen dürfte auch die Liste Fritz unter ihrer Spitzenkandidatin Andrea Haselwanter-Schneider. Sie kann mit bis zu 14 Prozent rechnen, prognostizieren die Umfragen. Die Liste Fritz strebt im Gegensatz zu NEOS und Grünen keine Viererkoalition an.

Wahlplakate der Grünen, FPÖ, NEOS und Liste Fritz anlässlich der Landtagswahl Tirol 2022
ORF.at/Christian Öser
Die Parteien abseits der ÖVP hoffen großteils auf eine Mehrparteienkoalition

Tatsächlich brachte Mattle seine Absage an die FPÖ in Turbulenzen, nicht alle in der ÖVP teilten seine Ansicht. Sollte sich eine Landesregierung mit der SPÖ nicht ausgehen, muss er so eine Mehrparteienkoalition erwägen, die ebenfalls in der Partei wenige Anhänger hätte.