Gemälde von Maria Lassnig
„Mit einem Tiger schlafen, 1975“ Öl auf Leinwand
Sammlung Oesterreichische Nationalbank/Maria Lassnig Stiftung/Bildrecht, Wien 2022
Mumok-Sammlungsschau

Alles, nur kein Streichelzoo

Schlangenfrauen, Plüschspinnen und Pferdeköpfe: Das Wiener Museum moderner Kunst (mumok) feiert sein 60-jähriges Bestehen mit der Sammlungsschau „Das Tier in Dir“. Die Ausstellung reiht keine Tiermotive aneinander, sondern überzeugt mit einem zeitgemäß kritischen Ansatz.

Wenn das Wiener mumok ein Maskottchen hätte, was würde das wohl sein? Vielleicht die riesige blaue Plüschspinne von Pino Pascali? Oder die Ameise, die durch die Computeranimation von Peter Kogler läuft? Die beiden Kreaturen krabbeln dem Publikum am Beginn der Jubiläumsschau „Das Tier in Dir“ entgegen, mit dem das Museum sein 60-jähriges Bestehen feiert. Am 21. September 1962 öffnete das Museum für moderne Kunst im Schweizergarten seine Pforten. Damals umfasste die Sammlung 90 Werke, heute sind es über 10.000 Arbeiten.

„Tiere ziehen immer“, weiß der Journalismus, und auch der Ausstellungsbetrieb kann fix auf Andrang zählen, wenn er gezeichnete Hasen, gemalte Pferde oder gar einen Hai in Formaldehyd präsentiert. Eine solch harmlose Schau hatten die Kuratorinnen Manuela Ammer und Ulrike Müller aber nie im Sinn, als sie die breite Fauna in der Kollektion sichteten. „Was für ein Zoo ist das mumok?“, lautete die Leitfrage, mit der sie auch die Institution selbst hinterfragten. Schließlich zähmt das Museum das Gefährliche der Kunst und macht Wildes wie hinter Gitterstäben konsumierbar.

Ausstellungsansicht „Das Tier in Dir – Kreaturen in (und außerhalb) der mumok Sammlung“ zeigt blaue riesige flauschige Spinne
MUMOK/Stephan Wyckoff
Die Spinnenskulptur von Pino Pascali trägt ein blaues Plüschfell und lässt eher an ein Spielmöbel als an ein Monster denken

Kampfarena statt Streichelzoo

Schon das Plakatsujet zeigt, dass die Schau eher bissig als streichelweich sein will. Die Mäuler weit aufgerissen gehen im Gemälde „Begegnung“ zwei hundeähnliche Geschöpfe aufeinander los. Ihre wuchtigen Körper strahlen rot und beide hängen an Leinen, aber ihre „Frauchen“ oder „Herrl“ stehen außerhalb des Gemäldes. Der deutsche Künstler Herman Prigann (1942–2008) ist heute so gut wie vergessen.

Ausstellungshinweis

„Das Tier in Dir“ ist bis 26.2.2023 im mumok im Wiener MuseumsQuartier jeweils Dienstag bis Sonntag, 10.00 bis 18.00 Uhr, zu sehen.

Er ist nur eine von vielen unbekannten Positionen, mit deren Arbeiten diese Ausstellung überrascht. Bei vielen der „seltenen Arten“ handelt es sich auch um Leihgaben, etwa bei der lebensgroßen Skulptur „Snake Lady“ der 1942 geborenen US-Künstlerin Jann Haworth. Die Reptilienaugen fixieren unheimlich die Besucher, aber ihr Medusenkostüm wirkt eher kurios, als dass es erstarren lässt.

Fleischeslust und Tabu

Vegetarismus, Veganismus, Artenschutz, Tierrechte und Tierethik: Noch nie gab es so viel Kritik an der Ausbeutung der Natur wie heute. Die Schau „Das Tier in Dir“ spiegelt die heißen Themen unserer Zeit, ohne den Zeigefinger zu erheben. So etwa in dem Ausstellungskapitel „Fleischfresser“, wo Schwarz-Weiß-Fotos von Pariser Schlachthöfen hängen. Die blutigen Lämmer und Pferdeköpfe stammen von der einstigen Wiener Gesellschaftsporträtistin Dora Kallmus alias „Madame d’Ora“, die sich während des Zweiten Weltkrieges aufgrund ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis verstecken musste.

Die Kadaverfotos von Kallmus können in Bezug auf den Holocaust gelesen werden. Aber auch ohne diese Interpretationen gehen ihre oft an der Grenze zur Abstraktion angesiedelten Bilder unter die Haut. Ganz anders der 1964 entstandene Film „Meat Joy“ der New Yorker Künstlerin Carolee Schneemann. Eine fast nackte Performancegruppe reibt zunächst ihre Körper aneinander, dann kommen tote Fische und Hühner ins Spiel.

Mit roter und schwarzer Farbe übergossen gleitet und wühlt die Crew schließlich durch Papierbahnen. Schneemann wollte einen „erotischen Ritus“ inszenieren, eine ekstatisch-kathartische Aktion, die Ekelgrenzen und kulturelle Tabus sprengt. Während Schneemanns Happening Freude vermittelt, zelebrierte der Aktionist Hermann Nitsch tote Tiere mit heiligem Ernst.

Affen im Laufstall

Der dichte Parcours mit 400 Exponaten auf drei Ausstellungsebenen hält auch durch Kurioses bei der Stange. So hängt im Abschnitt „Kinder und Tiere“ ein „Laufstall“ samt Spielzeug an der Wand. Der Künstler Daniel Spoerri entdeckte dieses altmodische Gehege für kleine Krabbler Ende der 1960er Jahre bei dem Sammlerehepaar Hahn, von dem das mumok wichtige Arbeiten besitzt.

Für die Assemblage „Der Kinderkäfig von Nathalie“ klebte Spoerri den gesamten Inhalt fest, darunter Stofftiere, einen Miniteppichklopfer und ein Bilderbuch, aber auch eine schwarze Puppe und zwei Affenköpfe. Die Assemblage zeigt einerseits, wie Kleinkinder „zivilisiert“ werden, andererseits das Gedankengut, das sie mit der Muttermilch aufnehmen. Übrigens: Das Begleitheft der Schau wurde wie ein kleines Pixie-Buch gestaltet.

Gemälde von Cagnaccio di San Pietro „Zoologia/Zoologie, 1928“
MUMOK Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
Im kühlen Stil der Neuen Sachlichkeit verhandelte Cagnaccio di San Pietro animalische Lust und Dominanz zwischen Mann und Frau

Manche Ecken der Schau widmen sich bestimmten Tieren wie Schlangen, Papageien und Raubkatzen. Ein humorvolles Video der Künstlerin Gülsün Karamustafa zeigt Frauen, die bei heimlichen Treffen ihrer Verliebtheit in Leoparden- und Tigermustern frönen. Maria Lassnigs Gemälde „Mit einem Tiger schlafen“ inszeniert hingegen Unterwerfungslust. Auf animalische Triebe, Sex und Gewalt spielt auch ein neusachliches Gemälde des Italieners Cagnaccio di San Pietro von 1928 an. Ein nacktes Liebespaar ist zu sehen, der Mann drückt die Frau nieder. Daneben liegt das titelgebende Buch „Zoologia“, als Autoren sind „Adam und Eva“ vermerkt und als Verlag „Die moderne Gesellschaft“.

Totems und „Traumgesichte“

So sehr wir uns für Tiere interessieren, sie bleiben doch stets das andere und Fremde und müssen als Identifikations- und Projektionsfläche herhalten. Die Menschheit überwältigt Tiere, raubt ihnen den Lebensraum und beutet sie aus. Insofern ist es sinnvoll, dass sich auch das Thema Kolonialisierung als unterirdischer Strom durch die Ausstellung zieht. Der Abschnitt „Der blutige Rest“ versammelt Arbeiten zu Jagd und Opfertieren. Aber auch als Schutzgeister und Totems tauchen sie auf, etwa in den frühen Buntstiftzeichnungen „Traumgesichte“ von Susanne Wenger, die 1950 nach Nigeria auswanderte und dort zu einer Yoruba-Priesterin mit eigener Kunstschule wurde.

Das terrakottafarbene Großgemälde von Dominique Knowles, das ein Pferd und einen Mann zeigt, erinnert an urzeitliche Höhlenmalereien. Seit es Kunst gibt, haben Tierdarstellungen darin ihren fixen Platz. Der von den Bahamas stammende Künstler hat die Hoffnung formuliert, dass wir das Mensch-Sein vielleicht eines Tages hinter uns lassen könnten und uns als Wesen unter anderen begreifen. Auf eine Welt ohne Menschen spielt der witzige Schaukelstuhl von Ben Jakober an: Während das Möbel wippt, kriechen Schnecken aus Bronze über seinen geblümten Stoffbezug. Eine Schnecke wäre auch kein schlechtes Wappentier für ein Museum moderner Kunst. Die Öffnung des Kanons braucht zwar ewig, aber sie kommt voran.