Heinz Faßmann und Christof Gattringer
ORF.at/Lukas Krummholz
Teuerung

„Löschwasser für die Zukunft aufheben“

Der Herbst ist auch die Jahreszeit der Budgetverhandlungen. Es wird zwar jedes Jahr um finanzielle Mittel gerungen, doch heuer befeuert die hohe Inflation die Forderungen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Wissenschaftsfonds FWF, Heinz Faßmann und Christof Gattringer, stimmen in das „Konzert der Stimmen“ ein – immerhin geht es auch um ihren Budgettopf.

ORF.at: Herr Faßmann, Herr Gattringer, wir sitzen hier, um über Geld zu reden. Wir wirkt sich die anhaltend hohe Inflation auf die Forschungslandschaft aus?

Heinz Faßmann: Die Akademie verfügt über ein Jahresbudget von rund 145 Millionen Euro, welches von der öffentlichen Hand finanziert wird. Von den 145 Millionen Euro sind circa 100 Millionen für Personal- und Sachkosten reserviert, weitere 25 Millionen für Miet-, Energie- und Standortkosten. Mit den restlichen 20 Millionen Euro werden Programme und Stipendien finanziert. In allen Ausgabepositionen schlägt die Inflation durch.

Derzeit wird das gesamte außeruniversitäre Forschungsbudget für die Jahre 2024 bis 2026 (FTI-Paket, Anm.) festgelegt. Wenn man jetzt nicht auf die Inflation Rücksicht nimmt, dann sind erhebliche Rückschritte zu erwarten.

Christof Gattringer: In den vergangenen Jahren wurde viel Geld für die Forschung in die Hand genommen. Dementsprechend wurden mehr Personen eingestellt und die Infrastruktur ausgebaut. Doch dann kommt plötzlich die hohe Inflation und alles, was wir an Wachstum dringend benötigen, ist mit einem Schlag weg.

ORF.at: Die zehn Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen haben von 2021 bis 2023 insgesamt 3,8 Milliarden Euro (FTI-Paket, Anm.) erhalten. Wie hoch soll denn Ihrer Meinung nach das nächste Budget sein?

Faßmann: Ein bloßer Inflationsausgleich wird nicht reichen. Mit weniger müssten wir sogar anfangen abzubauen. Das würde unter anderem bedeuten, dass Verträge nicht mehr verlängert werden, was in erster Linie junge Menschen betreffen würde.

Heinz Faßmann und Christof Gattringer
ORF.at/Lukas Krummholz
Für Faßmann ist klar, dass es einen deutlichen Zuwachs beim Forschungsbudget geben muss

Gattringer: Ich will kurz einhaken. Der FWF hat etwa 4.500 Personen, die durch unsere Förderungen bezahlt werden. Und von diesen 4.500 Personen sind etwa 70 Prozent 35 Jahre oder jünger. Wenn die Förderungen nicht ordentlich mitwachsen, dann sehe ich unseren wissenschaftlichen Nachwuchs extrem gefährdet.

ORF.at: Haben Sie auch eine konkrete Budgetsumme oder -steigerung im Kopf?

Gattringer: Also es muss deutlich mehr sein als ein Inflationsausgleich. Ansonsten werden wir die avisierten Ziele der FTI-Strategie 2030 nicht so umsetzen können, wie das eigentlich gedacht war.

Akademie

Die ÖAW ist die größte grundlagenorientierte, außeruniversitäre Forschungsinstitution in Österreich. Sie wird großteils durch die öffentliche Hand finanziert. Heute betreibt die Akademie 25 Institute, etwa in den Bereichen Archäologie, Demografie oder Quantenphysik.

Faßmann: Ich bin einer Meinung mit Kollegen Gattringer. Eine reine Anpassung an die kumulative Inflation ist mit Sicherheit zu wenig. Das bedeutet Status quo, und in der Forschung heißt Status quo eigentlich Rückschritt.

ORF.at: Für gewöhnlich sparen Politiker bei Budgets nicht mit Superlativen. Als der FTI-Pakt 2021–2023 beschlossen wurde, waren Sie noch Minister. Sind die 3,8 Milliarden Euro aus heutiger Sicht zu gering ausgefallen?

Faßmann: Wir haben das Budget, das ja heute noch gilt, damals um 27 Prozent gesteigert. Wir sind aber damals von einer Inflation von durchschnittlich zwei Prozent ausgegangen. Dass sie heute bei fast neun Prozent liegt, konnte keiner ahnen, zeigt aber, wohin wir wollen.

ORF.at: Die Frage ist, wie auch bei der Universitätsfinanzierung, ob eine Dreijahresvereinbarung in einer Zeit mit multiplen Krisen das richtige Instrument ist.

Faßmann: Sie schafft für die Forschungseinrichtungen eine gewisse Planungssicherheit, für drei Jahre besteht ein Kürzungsverbot. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man in zukünftige Leistungsvereinbarungen eine Öffnungsklausel einbaut. Das heißt, wenn jetzt beispielsweise die Inflation in den kommenden Jahren einen bestimmten Wert übersteigt, muss man nachverhandeln.

Heinz Faßmann und Christof Gattringer
ORF.at/Lukas Krummholz
Für eine Öffnungsklausel im Dreijahresvertrag spricht sich auch FWF-Chef Gattringer aus

ORF.at: Herr Gattringer, befürworten Sie auch weiterhin die Dreijahresvereinbarung?

Gattringer: Absolut. Wir haben beim FWF im Rahmen der Exzellenzinitiative auch große Flagship-Projekte gestartet, die langfristig abgesichert werden müssen. Aber eine Öffnungsklausel wäre begrüßenswert. Dann könnte man im Notfall Geld nachschießen, dass die großen Projekte nicht plötzlich stillstehen.

ORF.at: Sie sind nicht die Einzigen, die wegen der Teuerung bei der Regierung anklopfen. Haben Sie die Befürchtung, dass die Forschung wegen der vielen finanziellen Hilfen unter die Räder kommt?

Faßmann: Das ist eine berechtigte Befürchtung. Die Politik löscht derzeit viele Brände und versucht durch entsprechende finanzielle Ressourcen einen sozialpolitischen Frieden zu wahren. Das ist wichtig. Allerdings sollte man sich auch ein bisschen Löschwasser für die Zukunft aufheben. Gegenwartskonzentration ist richtig, Zukunftsvergessenheit gefährlich.

Wissenschaftsfonds FWF

Der Wissenschaftsfonds FWF ist die zentrale Einrichtung in Österreich zur Förderung der Grundlagenforschung. Neben einzelnen Forschungsprojekten fördert der FWF auch größere Spezialforschungsbereiche und hoch qualifizierte Forscher bzw. Forscherinnen.

Gattringer: In diesem Konzert der Stimmen, die alle jetzt berechtigt nach Mitteln rufen, muss auch auf die Forschung und Wissenschaft gehört werden. Als Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und -förderer möchten wir Bewusstsein schaffen, dass Österreich wohl nicht mit Rohstoffen wird punkten können, wohl aber mit Wissen und einer gut ausgebildeten Gesellschaft. Dafür braucht es die nötige Finanzierung.

Faßmann: Wir haben Verständnis dafür, dass gerade den Geringverdienenden nun geholfen werden muss, um über die Runden zu kommen. Wir haben Verständnis dafür, dass die Unternehmen finanziell unterstützt werden. Die Wissenschaft und die Forschung dürfen dabei jedoch nicht vergessen werden.

ORF.at: Wurde in den vergangenen Jahren auf diesen Bereich vergessen? Sie sagten selbst, dass die Investitionen gestiegen sind.

Gattringer: Das stimmt. Es geht uns um die Langfristigkeit der Finanzierung. Ein budgetärer Zickzackkurs ist kontraproduktiv.

Faßmann: Ein Beispiel vielleicht: Wenn man im Bereich der Quantenphysik an der Spitze sein möchte, muss man sein berufliches Leben danach ausrichten. Eine Zeitlang forschen und dann wieder nicht, geht nicht.

ORF.at: Denkt und handelt die Politik also nicht nachhaltig genug?

Faßmann: Es ist kein Geheimnis, dass die Politik auch Tagesgeschäft ist und auf Entwicklungen reagieren muss. Die Politik weiß aber auch, dass langfristige Planungen notwendig sind. Der Budgetrahmen ist zum Beispiel etwas, das für die Zukunft Rahmenbedingungen festlegt. Der Gesetzgeber hat auch im Forschungsfinanzierungsgesetz bewusst von einer längerfristigen, wachstumsorientierten Finanzierung gesprochen.

Heinz Fassmann
ORF.at/Lukas Krummholz
Als Regierungsmitglied hatte Faßmann wesentlichen Anteil am heutigen Forschungsfinanzierungsgesetz

ORF.at: Kritiker bemängelten vor und nach dem Beschluss des Forschungsfinanzierungsgesetzes vor zwei Jahren, dass es nicht konkret genug sei. Eine gesetzlich fixierte Budgeterhöhung wäre demzufolge besser gewesen.

Faßmann: Die deutliche Mehrheit im Parlament hat sich für die langfristige, wachstumsorientierte Planungs- und Finanzierungssicherheit ausgesprochen. Wir wollen daran erinnern, damit diese Absichtserklärung nicht in Vergessenheit gerät.

ORF.at: Herr Gattringer, sind Projekte der Grundlagenforschung angesichts der hohen Energiekosten langfristig abgesichert?

Gattringer: Es gibt natürlich Labors, die einen sehr hohen Energiebedarf haben und unmittelbar von der Energiekrise betroffen sind. Aber ich glaube, was den Sektor noch mehr trifft, ist die mit den angestiegenen Energiepreisen einhergehende Inflation. Wir verfolgen auch die Lohnverhandlungen mit Interesse, weil wir die Gehälter entsprechend anheben müssen.

ORF.at: Muss der FWF im kommenden Jahr, in dem noch der FTI-Pakt von 2021 bis 2023, also das alte Budget gilt, sparen?

Gattringer: Steigende Löhne werden unser Budget im nächsten Jahr um acht bis neun Prozent stärker belasten. Dieses Geld fehlt dann an anderen Stellen, etwa bei Förderungen. Und so ist die Antwort auf Ihre Frage eindeutig Ja.

FTI-Pakt

Im FTI-Pakt wird die Finanzierung der außeruniversitären Forschung in Österreich geregelt. Der Pakt wird auf drei Jahre beschlossen. Die aktuelle Vereinbarung läuft von 2021 bis 2023, die nächste von 2024 bis 2026. Das Budget wird von den Ministerien für Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft zusammengestellt.

ORF.at: Projekte der Grundlagenforschung, die der FWF bereits gefördert hat, würden dann stehen bleiben?

Gattringer: Laufende Projekt unterliegen einem rechtsgültigen Vertrag. Die sehe ich nicht gefährdet. Aber wir werden im kommenden Jahr weniger Anträge bewilligen können. In der Regel bedeutet das weniger Forschungsmittel für die jüngere Gruppe der Forschenden.

ORF.at: Wir sprachen über eine budgetäre Zustimmung vonseiten der Politik. Wie wichtig ist Ihnen eine gesellschaftliche Zustimmung?

Faßmann: Sie sprechen die Wissenschaftsskepsis an. Wir alle tun derzeit viel, um in Zukunft noch mehr Verständnis für unsere Forschung zu bekommen. Der Rückhalt der Bevölkerung ist uns ein Anliegen, er ist auch notwendig. Ich glaube aber, trotz einiger Skeptiker, dass die Wissenschaft diesen Rückhalt auch hat.

Gattringer: Wissenschaft ist immer ein Prozess organisierter Kritik. Wissenschaft ist nicht endgültig. Durch Ergebnisse lernen wir täglich dazu. Das müssen wir wohl auch stärker kommunizieren, um die Skepsis abzubauen.

ORF.at: Liegt nicht ein Problem darin, dass der Forschung bzw. der Wissenschaft auch oft attestiert wird, in einem Elfenbeinturm zu leben?

Faßmann: Jeder Forscher bzw. jede Forscherin ist an der eigenen Forschung interessiert. Das darf man den Menschen, die in dem System beruflich tätig sind, auch nicht zum Vorwurf machen. Sie wollen forschen. Aber natürlich muss die Institution dafür sorgen, dass die Forschungsergebnisse hinausgetragen werden. Da können wir sicherlich mehr machen, gar keine Frage.

Gattringer: Wir haben das Budget für die Wissenschaftskommunikation verdoppelt. Aber es gibt immer Luft nach oben.

Heinz Fassmann und Christof Gattringer
ORF.at/Lukas Krummholz
In der Kommunikation nach außen bestehe Luft nach oben, sind sich Faßmann und Gattringer einig

Faßmann: Es gibt immer Luft nach oben, aber wir tun auch jetzt schon viel. Wir engagieren uns an der Kinderuni. Die Akademie geht mit Forschern und Forscherinnen in das Klassenzimmer. Das kommt sehr gut bei den Kindern an. Da müssen wir auch hin, um die teilweise vorhandene Wissenschaftsskepsis zu verringern.

ORF.at: Ich komme noch kurz auf die Budgetsituation zurück. Herr Gattringer, ist es von Vorteil, wenn Sie als Ansprechpartner auf einen früheren Regierungspolitiker zurückgreifen können, der die Mechanismen der Politik miterlebt hat?

Gattringer: Es schadet wahrscheinlich nicht. Wichtig ist aber vielmehr, dass Kollege Faßmann und ich einen gemeinsamen Ansatz teilen: Wir sprechen über ein System, in dem alle Player gut zusammenarbeiten müssen. Dieses gemeinsame Verständnis hilft uns, den Forschungsbereich gut aufzusetzen.

ORF.at: Herr Faßmann, Sie sind nun wieder in der Forschung bzw. Wissenschaft. Sehnen Sie sich wieder zurück in die Politik?

Faßmann: Ich war gerne in der Politik, und jetzt bin ich gerne Präsident der Akademie. Als Politiker muss man hoffen, dass entscheidende Knotenpunkte im System, wie der FWF beispielsweise, die Dinge so umsetzt, wie man sich das vorgestellt hat. Jetzt bin ich selbst ein Knotenpunkt und kann die Dinge so umsetzen, dass sie für das System passen.