Steirischer Herbst

Ein Computerspiel erklärt die Welt

Hito Steyerl gilt als eine der weltweit wichtigsten Künstlerinnen. Im Kunsthaus Graz ist im Rahmen des Steirischen Herbstes eine Videoinstallation von ihr zu sehen, in die ein Computerspiel integriert ist. Von NFTs über Kryptowährungen und künstliche Intelligenz bis zum Metaverse nimmt Steyerl darin die Hypes dieser Tage auseinander.

Dass Steyerl ihre Arbeiten wegen der Antisemitismusvorwürfe von der aktuellen documenta in Kassel abzog, war ein harter Schlag für die ohnehin schon gebeutelte Kunstausstellung. Eine umso größere Freude ist es für den steirischen Herbst, dass ihre Videokunstinstallation „Animal Spirits“ nun stattdessen in Graz zu sehen ist. Immerhin wurde die deutsche Filmerin, Autorin, Medienkünstlerin und Theoretikerin mit ihrem feministischen und postkolonialismuskritischen Werk vom einflussreichen Magazin „ArtReview“ 2017 als erste Frau und erste ausübende Künstlerin an die Spitze des Rankings der wichtigsten Personen im Kunstbetrieb gestellt.

Ausgestellt ist „Animal Spirits“ im Grazer Kunsthaus, das mit dem steirischen Herbst kooperiert. Es geht darin um Wölfe, zumindest vordergründig. Man sieht einen Schauspieler als John Maynard Keynes, der seine Theorie der „Animal Spirits“ erklärt. Demnach werden die Märkte mehr von Gefühlen wie Neid und Furcht geleitet als von rationalen Erwägungen. Keynes gerät – im Video – außer Rand und Band. Er legt sich einen Wolfspelz um und tanzt sich in Rage und Ekstase.

Animation zeigt Männer in Wolfspelz
Hito Steyerl
John Maynard Keynes in Rage und Ekstase

Kryptowinter und NFT-Crash

Angesprochen auf das derzeitige Wirtschaftssystem erinnert Steyerl im Gespräch mit ORF.at an das Prinzip des „Survival of the Fittest“ des britischen Sozialphilosophen Herbert Spencer, das vor allem durch Charles Darwins Evolutionstheorie bekannt wurde: Das am besten angepasste Individuum überlebt. Im Fall des Web3 mit Kryptowährungen und NFTs, also einmaligen Echtheitszertifikaten für digitale Güter, gelte das genauso.

Momentan sind die Kryptowährungen auf Sinkflug – Steyerl spricht vom „Kryptowinter“ – und die NFTs crashten mittlerweile nach dem enormen Hype des Vorjahres auf dem Kunstmarkt: „Da ging es eigentlich nur darum, bei einem Boom dabei zu sein. Das funktioniert dann so wie eine Art Pyramidenspiel. Da muss man schnell einsteigen, damit man schnell auch wieder aussteigen kann, bevor das Ganze zusammenbricht.“ Die Fittesten haben es drauf, die anderen haben das Nachsehen. Und – „Animal Spirit“ – der Markt wird von Gefühlen geleitet.

Zukunft ist ungewiss

In ihrer Videoinstallation (siehe Video oben) werden Tiere in einer 3D-Shooter-Umgebung aufeinander gehetzt und buchstäblich ins Feuer geschickt. Für jedes getötete Tier gibt es ein NFT. NFTs, deren Wert in Kryptowährungen angegeben werden kann, dazu niedergeschossene Lebewesen in einer metaverseartigen Umgebung, künstliche Intelligenz, die Höhlenmalereien zum Leben erweckt: Da kommen alle Buzzwords rund um Web3, Metaverse und KI in einer großen, dystopischen Game-Umgebung zusammen.

Künstlerin Hito Steyerl
Picturedesk.com/dpa/Rolf Vennenbernd
Hito Steyerl 2022 in Düsseldorf

Wie segenbringend die neuen Technologien sind, lässt sich nicht sagen, wie Steyerl mit dem lapidaren Hinweis erklärt, dass man, sollte es keine Elektrizität mehr geben, auch keine Computer betreiben könne. Und wenn das Internet durch bestimmte Regierungen in Hinkunft stärker reguliert werden solle, dann sei auch ungewiss, ob man jederzeit auf seinen Besitz zugreifen könne, wenn man in Krypto investiert habe.

„Neue zentrale Monopole“

Grundsätzlich jedenfalls sei sie nie eine besondere „Technooptimistin“ gewesen, so Steyerl. Aber man müsse sich mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen. Mit dem frühen Web 2.0, mit YouTube und ersten sozialen Medien seien viele Hoffnungen einhergegangen, man werde nun Medienmonopole aushebeln. Und dann seien neue, sehr zentralisierte Medienmonopole entstanden.

Ähnlich wie nach dem Crash der Dot.com-Economy würden sich auch Kryptowährungen und NFTs langsam wieder konsolidieren: „Technologisch wäre das ein Standard, der sich durchaus durchsetzen könnte und dann eben zu neuen zentralen Monopolen führen würde.“ Auch von künstlicher Intelligenz gehe kein Demokratieversprechen aus, und schon gar nicht von Microsofts proklamierter Metaverse-Revolution: „Facebook hatte jetzt seit 2005 Zeit, irgendwelche Chancen zu nutzen, es hat eigentlich nur Probleme erzeugt. Ich weiß nicht, was sich da bei einem Metaverse-Ansatz ändern sollte.“

Disneyfizierte Natur

In einem zweiten zentralen Handlungsstrang sieht man real gefilmte Schäfer, die sich gegen einen disneyfizierten Begriff von Natur aussprechen. Den Wolf könne nur toll finden, wer noch nie gesehen habe, wie er ein Schaf oder eine Ziege ausweide. So schließt sich der Kreis zum Wolfskostüm des Keynes-Darstellers. Die Natur ist nicht Disney und die digitale Welt kein heilbringendes Metaverse. Es bleibt da wie dort beim Survival of the Fittest.