Aufziehen einer Corona-Impfinjektion
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Omikron-Impfstoffe

Orientierung im Booster-Dschungel

In Österreich stehen mittlerweile mehrere an die Omikron-Variante angepasste CoV-Impfstoffe zur Verfügung. Zugleich hat das Nationale Impfgremium (NIG) seine Anwendungsempfehlungen präzisiert. ORF.at fragte bei Virologin und NIG-Mitglied Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien nach, wie sich Impfwillige orientieren können.

Am Dienstag wurden 751.680 Dosen des an die Varianten BA.4/BA.5 angepassten Impfstoffs von Biontech und Pfizer nach Österreich geliefert. Je nach Bundesland werden sie seit diesem Wochenende beziehungsweise ab kommender Woche verabreicht – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Mit dem neuen Vakzin wächst die Zahl der verfügbaren Impfstoffe. Da wären die mRNA-Vakzine von Biontech und Pfizer sowie Moderna; die kaum noch verabreichten Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson; die proteinbasierten von Novavax und Valneva. Hinzu kommen die an die bivalenten, an die Omikron-Variante BA.1 angepassten Mittel von Biontech und Pfizer sowie Moderna und nun das besagte BA.4/BA.5-Präparat von Biontech und Pfizer.

Individuelle Unterschiede

Welcher Impfstoff für welche Personen der beste ist, sei individuell sehr unterschiedlich, sagte Virologin Redlberger-Fritz. Zunächst muss unterschieden werden, um die wie vielte Impfung es sich handelt. Für ein vollständig abgeschlossenes Impfschema braucht es drei Dosen.

Für die dritte Impfung stehen in Österreich neben den mRNA-Impfstoffen auch die Präparate von Novavax und Valneva zur Verfügung, erinnerte Redlberger-Fritz. Letzterer derzeit noch „Off-Label“, sprich außerhalb der Zulassung. Lässt man sich beispielsweise zuerst mit einem mRNA-Impfstoff und anschließend mit einem proteinbasierten Vakzin impfen, spricht man von einem heterologen Impfschema. Studiendaten dazu zeigen eine teils sehr gute Immunantwort, heißt es in den Empfehlungen des NIG. Die Fachleute raten Interessierten, sich genau aufklären zu lassen, da die Kombination verschiedener Vakzine ebenfalls eine „Off-Label“-Anwendung darstellt.

Einfach oder mehrfach

Für den vierten Stich, den eigentlichen Booster, sind seit Kurzem die ersten bivalenten Impfstoffe von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen. Sie enthalten den genetischen Bauplan bestimmter Omikron-Varianten (BA.1 sowie BA.4/BA.5) und jenen des Virusurtyps. Hinter der Entwicklung dieser Vakzine steht die Hoffnung, neben schweren Verläufen auch symptomatische Infektionen besser verhindern zu können.

Die Omikron-Varianten sind hochinfektiös und können die Antikörperimmunantwort der Schleimhäute im Nasen-Rachen-Raum umgehen. In der Folge kam es im Frühjahr zu den krankheitsbedingten Ausfällen Tausender Beschäftigter, was die kritische Infrastruktur wie Gesundheitseinrichtungen an die Belastungsgrenze brachte.

„Der Schutz vor der schweren Infektion wird durch jede Impfung induziert“, unabhängig ob der Impfstoff monovalent oder bivalent sei, betonte Redlberger-Fritz. Die angepassten Impfstoffe brächten „zusätzlich einen wahrscheinlich besseren Impfschutz vor der symptomatischen Infektion“, sagte die Virologin.

Durchimpfungsrate als möglicher Puffer

Mit Hilfe einer hohen Durchimpfungsrate könne eine Art Puffer geschaffen und den Höhepunkt einer Welle abgeflacht werden, sagte Redlberger-Fritz. Wenn viele Menschen sich während einer „Aktivitätsphase“ des Virus impfen ließen, „dann hat man Teile der Population aus der Rechnung herausgenommen. Damit puffert man die gesamte Welle ab“, so die Medizinerin.

Virologin Monika Redlberger-Fritz
APA/Helmut Fohringer
Redlberger-Fritz: „Der Schutz vor der schweren Infektion wird durch jede Impfung induziert“

Hintergrund: Nach dem „Antigenkontakt“ mit dem Erreger – mittels Impfstoff oder nach durchgemachter Infektion – öffnet sich laut Redlberger-Fritz bei vielen Menschen ein Zeitfenster von acht bis zwölf Wochen, in denen sie vor einer symptomatischen CoV-Erkrankung geschützt sind.

Der Effekt zeige sich auch bei den bisher verfügbaren Impfstoffen, so Redlberger-Fritz, bei den bivalenten Präparaten könnte er stärker ausfallen. Daten dazu sind allerdings noch ausständig. Die Präparate von Biontech und Pfizer sowie Moderna, die gegen BA.1 und den Virusurtyp entwickelt wurden, zeigten zumindest in Studien eine gute Antikörperantwort und auch einen gewissen Schutz gegen die momentan in Österreich dominante Variante BA.4/BA.5. Welchen Einfluss sie auf einen möglichen Anstieg der Neuinfektionen nehmen können, wird sich weisen.

Mäuse und Menschen

Bei der Zulassung des BA.4/BA.5-Vakzins von Biontech und Pfizer stützte der zuständige EMA-Ausschuss seine positive Stellungnahme auf klinische Studien mit dem BA.1/Urtyp-Vakzin. In den Untersuchungen zeigte sich bei den teilnehmenden Personen eine stärkere Reaktion gegen BA.1 und das Ursprungsvirus. Die Nebenwirkungen fielen nicht stärker aus als beim originalen Impfstoff.

Der Impfstoff BA.4/BA.5 unterscheidet sich in seiner Zusammensetzung nur minimal von der BA.1-Version. In puncto Wirksamkeit wurde der BA.4/BA.5-Impfstoff an Mäusen erprobt. Klinische Studien mit Menschen sind in Arbeit, die Daten werden laufend bei der EMA eingemeldet.

Auf Grundlage der verfügbaren Daten werde erwartet, dass der Original/BA.4-5-Impfstoff „eine stärkere Immunreaktion (‚superior‘) gegen die Subvarianten BA.4 und BA.5 als Comirnaty (Produktname des Biontech-Präparats, Anm.) auslöst“, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das für die Arzneimittelzulassung in Deutschland zuständig ist. „Es wird erwartet, dass das Sicherheitsprofil des Impfstoffs mit dem von Comirnaty Original/Omicron BA.1 und von Comirnaty selbst vergleichbar ist. Zur Sicherheit und Wirksamkeit von Comirnaty sind große Datenmengen verfügbar“, so das PEI weiter.

Heikles Terrain

Mit ihrer Vorgehensweise begibt sich die EMA auf heikles Terrain. Einerseits geht es darum, Schritt zu halten mit der rasanten Entwicklung von SARS-CoV-2. Der erstmals 2019 in China nachgewiesene Virusurtyp ist mittlerweile vollständig verschwunden; auch die Omikron-Variante BA.1 kursiert faktisch nicht mehr. Fachleute haben bereits eine Reihe neuer Subvarianten im Blick, die dem vorherrschenden BA.5 den Rang ablaufen könnten.

„Wir müssen es den Leuten ermöglichen, sich vor einem Virus zu schützen, das wir nicht vollständig kontrollieren können“, sagte der deutsche Impfstoffforscher Leif Erik Sander dem Magazin „Science“. Andererseits kann die Autorisierung von nicht in klinischen Studien mit Menschen erprobten Impfstoffupdates die generelle Akzeptanz für die Impfung verringern.

Die Blaupause für die die schnellere Zulassung könnte das bei Grippeimpfstoffen angewandte Mock-up-Verfahren liefern. Dabei werden „alle Phasen der Zulassung durchgegangen, nicht für einzelne Impfstoffe, sondern das gesamte Verfahren“, erklärte Redlberger-Fritz, die das Nationale Influenza-Referenzlabor leitet. „Damit hat man das Verfahren patentiert und zugelassen und kann jährlich den jeweiligen Impfstoffen anpassen.“ Zur Bestätigung der Sicherheit werden die Vakzine an kleinen Kohorten von 100 Personen getestet, ehe sie in Produktion gehen.

Verwirrung über Empfehlungen

Für einige Verwirrung sorgten die NIG-Anwendungsempfehlungen für unter 60-Jährige, die keiner Risikogruppe angehören. Ende August wurde auf einer Pressekonferenz betont, dass dreifach Geimpfte sich den vierten Stich unabhängig von einer durchgemachten Omikron-Infektion holen sollten.

Am Wochenende wurden die Angaben präzisiert. „Dreimal geimpfte Personen, die zusätzlich eine nachgewiesene Omikron-Infektion (BA.1, BA.2 oder BA.4, BA.5) durchgemacht haben, zeigen nach dieser Infektion eine gute Boosterantwort und (Kreuz-)Immunität gegen BA.4/BA.5“, heißt es nun. Vor allem bei Personen unter 60 Jahren „wird in solchen Fällen durch eine vierte Impfung innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten keine weitere Verbesserung des Immunschutzes erreicht, und damit kann die vierte Impfung entsprechend verschoben werden“.

„Das wurde nicht wirklich gut von uns kommuniziert“, räumte NIG-Mitglied Redlberger-Fritz ein. Der Booster-Effekt sei nur bei einer deutlich spürbaren Infektion gegeben, bei asymptomatischen Fällen „wurde das Immunsystem aufgrund der Milde der Erkrankung nicht geboostert“, sagte die Virologin.

Individuelle Entscheidung

Bei Entscheidung für den vierten Stich komme es auch stark auf das individuelle Verhalten an. „Bei Menschen in Gesundheitsberufen, die potenziell viel Kontakt mit Infizierten haben, würde eine weitere Impfung nach sechs Monaten Sinn machen“, so Redlberger-Fritz. Ähnliches gelte für Lehrkräfte und Beschäftigte in Kindergärten. In der Gruppe der Fünf- bis 14-Jährigen zeigt sich seit Schulbeginn einer deutlicher Anstieg der Fallzahlen.