Trader an der New York Stock Exchange
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Angst vor Schulden

US-Zinssprung mit weltweiten Folgen

Aufgrund der Inflation treibt die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) den Leitzins im Eiltempo nach oben. Sie erhöhte ihn am Mittwoch zum dritten Mal in Folge ungewöhnlich kräftig um 0,75 Prozentpunkte, er liegt nun in der Spanne von 3,0 bis 3,25 Prozent. Fed-Chef Jerome Powell machte klar, dass weitere Erhöhungen ins Haus stehen. Befürchtet wird aber, dass eine zu aggressive Gangart die Konjunktur in der größten Volkswirtschaft der Welt abwürgen könnte. Gravierende Auswirkungen hat der Fed-Kurs dabei für viele Staaten.

Das Hauptproblem: Die hohen Zinssätze treiben den US-Dollar in die Höhe – zum Nachteil anderer Länder. Denn nicht nur Importe werden teurer, sondern auch die Bedienung von Krediten. Die straffe Geldpolitik der US-Notenbank bekommen daher vor allem einkommensschwächere Länder zu spüren, die sich während der Pandemie hoch verschuldet und ihre Kredite in US-Dollar aufgenommen haben – selbst aber keine Dollars verdienen.

Die höheren Zinsen verteuern diese Kredite. Das passiert zu einem Zeitpunkt, an dem die Inflation viele Länder speziell in Zentralasien, Lateinamerika und in Afrika südlich der Sahara ohnehin schon in Nöte bringt. Die steigenden Zinssätze verschlimmern die Lage.

US-Notenbank hebt Leitzins an

Die US-Notenbank Fed hat den Leitzins neuerlich in die Höhe geschraubt – bereits zum dritten Mal in Folge um 0,75 Prozentpunkte. Die Erhöhung wird zur Gratwanderung.

Hinzu kommt, dass bei hohen Zinsen in den USA Kapital aus Entwicklungs- und Schwellenländern abfließen kann. Denn steigen die Zinssätze in den USA, werden Anlagen dort attraktiver. Anleger, die aktuell in einkommensschwächeren Ländern investieren, könnten sich dazu entscheiden, auf den nun attraktiveren US-Markt auszuweichen. Für die betroffenen Länder hat das schwerwiegende Folgen, denn sie dürften sich noch schwerer von den katastrophalen Auswirkungen der Pandemie erholen.

Beispiele in der Geschichte

Die US-Zinspolitik kann in wirtschaftlich schwachen Ländern eine ernsthafte Wirtschaftskrise auslösen – wie auch die Geschichte zeigt. Die Folgen des Volcker-Schocks sind dabei besonders in Erinnerung geblieben. Fed-Chef Paul Volcker erhöhte in den 1980er Jahren im Kampf gegen die Inflation drastisch die Zinsen. Das Wirtschaftswachstum in den USA wurde gebremst. Das riss auch andere Volkswirtschaften mit nach unten.

Länder wie Mexiko und Chile schlitterten in eine schwere Schuldenkrise, von der sie sich jahrelang nicht erholten. In Lateinamerika sprach man gar von einem verlorenen Jahrzehnt. Auch in späteren Jahren hatten Zinsanhebungen der Fed immer wieder auch wirtschaftliche Folgen für Entwicklungs- und Schwellenländer.

Ökonominnen und Ökonomen warnen nun davor, dass sich diese Szenarien wiederholen könnten – mit verheerenden Konsequenzen für die Menschen in diesen Staaten. „Hohe Inflation, steigende Zinssätze und ein sich verlangsamendes Wachstum haben die Voraussetzungen für Finanzkrisen geschaffen, wie sie Anfang der 1980er Jahre eine Reihe von Entwicklungsländern heimgesucht haben“, schrieben Sebastian Essl und Marcello Estevao von der Weltbank bereits im Juni. Auch Exportnationen würden die Auswirkungen einer solchen Schuldenkrise und einer lahmenden US-Wirtschaft zu spüren bekommen.

Auch IWF warnt

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, warnt seit Monaten vor einer Schuldenkrise für Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen. „Wir müssen erkennen, dass es eine tektonische Verschiebung gibt“, sagte sie etwa im Juli. Die Welt sei schockanfälliger geworden.

Aktuell führten die Auswirkungen der Lieferkettenunterbrechungen wegen der Pandemie und des „Schreckens eines erneuten Krieges in Europa“ zu einer galoppierenden Inflation. Die Zentralbanken konzentrierten sich zwar zu Recht darauf, diese mit Zinserhöhungen zu bekämpfen, betonte die IWF-Chefin. Doch mit den Zinserhöhungen der Zentralbanken verschärften sich die globalen Finanzbedingungen stärker als bisher angenommen.

Fed: Abstimmung schwierig

Auf die Frage, ob die Fed auch die Entwicklungen im Rest der Welt im Blick habe und damit auch eine mögliche globale Rezession, sagte Fed-Chef Powell: „Wir sind uns sehr bewusst, was in anderen Volkswirtschaften auf der ganzen Welt vor sich geht und was das für uns bedeutet – und umgekehrt.“ Man versuche sich natürlich abzustimmen, aber das sei bei den unterschiedlichen Zinsniveaus auch schwierig. Sein Resümee: „Wir befinden uns alle in sehr unterschiedlichen Situationen.“ Grundsätzlich wünsche er, es gäbe „einen schmerzlosen Weg“.

Auch andere Notenbanken stemmen sich gegen die gestiegene Inflation. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beispielsweise hob am Donnerstag ihren Leitzins erneut an – und zwar um 0,75 Prozentpunkte auf 0,50 Prozent. Die britische Notenbank erhöhte den Leitzins wie erwartet um 0,5 Prozentpunkte.

Eine Ausnahme bleibt die türkische Notenbank: Sie senkte ihren Leitzins trotz der sehr hohen Inflation erneut. Der Leitzins werde um 1,0 Prozentpunkte auf 12,0 Prozent reduziert. Die Inflation war im August bei 80,2 Prozent gelegen. Eigentlich wären nach ökonomischer Lehrmeinung also deutliche Zinserhöhungen angesagt. Allerdings ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Gegner hoher Zinsen. Er hat immer wieder Druck auf die Notenbank ausgeübt. Die türkische Lira gab nach der Entscheidung nach.

Euro leidet

Die Zinspolitik der Fed setzt auch den Euro stark unter Druck. Die Gemeinschaftswährung fiel im späten US-Währungshandel am Mittwoch wieder unter den US-Dollar und sogar auf den niedrigsten Stand seit Ende 2002. Im Sommer war ein Euro erstmals seit rund zwei Jahrzehnten weniger wert als einen Dollar.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat viel später als die Fed angefangen, die Zinsen zu erhöhen. Nach einer Zinsanhebung im September liegt der Leitzins im Euro-Raum nun bei 1,25 Prozent. Die nächste reguläre Sitzung des EZB-Rates ist für den 27. Oktober angesetzt, weitere Erhöhungen stehen vor der Tür.

Wie weit, sei noch unklar, so EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel zuletzt gegenüber t-online: „Wir fahren auf Sicht und bewerten die Konjunktur- und Inflationsdaten vor jeder Sitzung aufs Neue.“ Ein großer Teil der Inflation gehe auf Faktoren zurück, die man nicht direkt beeinflussen könne.

Yen unter Druck: Japan interveniert

Unter Druck stand auch der japanische Yen, weswegen sich die Notenbank des Landes zur Intervention entschloss. Mit Käufen der eigenen Währung verschaffte sie dem Yen eine Atempause. Dadurch fiel der Dollar am Donnerstag auf 142,90 Yen, nachdem er zuvor auf ein 24-Jahres-Hoch von 145,89 Yen gestiegen war. Der japanischen Regierung zufolge war das die erste Intervention der Bank von Japan (BoJ) seit Juni 1998.