Aktenstapel
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Klartext per Gesetz

Neuseeland will einfache Behördensprache

Gegen Fachjargon, für eine einfachere Sprache – was sich gerade bei unliebsamen Behördengängen wohl viele Menschen wünschen würden, soll in Neuseeland nun Wirklichkeit werden. Ein neues Gesetz soll die Regierung zu klarer und präziser Kommunikation verpflichten. Kritik kommt von der Opposition: Sie befürchtet überbordende Bürokratie.

„Wenn auch in Unkenntnis dessen, was nunmehr gesprochen wurde, so konnte sich Zwetschkenbaum doch leicht vorstellen, dass er der Gegenstand des Gesprächs geblieben war. Später auftretende Umstände sprachen dafür, dass Spennandl in dem Wortgemetzel obsiegt hatte.“ In Albert Drachs 1939 geschriebenem „großen Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ sieht sich der Protagonist nicht nur mit einer Behördenodyssee, vom Gerichtsarzt zur Psychiatrie, konfrontiert – sondern auch mit deren unverständlicher Sprache.

Doch egal ob altösterreichischer Kanzleistil in der k. & k. Zeit oder neuseeländischer Regierungssprech im Jahr 2022 – die Kernaussage ist die gleiche: Der Empfänger macht die Botschaft. Und dafür braucht er kein „Wortgemetzel“, sondern Begriffsklarheit. „Jetzt versucht die neuseeländische Regierung, eine dicke rote Linie unter dem Fachjargon zu ziehen, indem sie ein neues Gesetz erlässt, das Bürokraten zur Verwendung einer einfachen, verständlichen Sprache in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verpflichtet“, ist im britischen „Guardian“ über das Gesetzesvorhaben zu lesen.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern
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Geht das Gesetz durch, muss auch Regierungschefin Jacinda Ardern „klar und prägnant“ kommunizieren

Klare Sprache als Frage der sozialen Gerechtigkeit

Der nicht unumstrittene Gesetzesentwurf sei bereits im vergangenen Monat nach einer lebhaften Parlamentsdebatte in zweiter Lesung verabschiedet worden, müsse nun aber noch eine Schlussabstimmung durchlaufen, bevor es zum finalen Gesetz komme, heißt es dort weiter.

Der Gesetzesentwurf für eine einfache Sprache sieht vor, dass die Kommunikation der Regierung mit der Öffentlichkeit „klar, prägnant, übersichtlich und zielgruppengerecht“ sein soll. Nicht zuletzt deshalb, weil klare Sprache eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sowie ein demokratisches Recht sei, so das Argument.

Recht auf Verstehen als Ziel

Konkret bedeutet das: „Die Menschen, die in Neuseeland leben, haben ein Recht darauf zu verstehen, was die Regierung von ihnen verlangt, welche Rechte sie haben und was ihnen von der Regierung zusteht“, wurde die sozialdemokratische Abgeordnete Rachel Boyack zitiert. Sie habe den Gesetzesentwurf vorgelegt.

Und weiter: „Wenn Regierungen auf eine Art und Weise kommunizieren, die die Menschen nicht verstehen, kann das dazu führen, dass die Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen, das Vertrauen in die Regierung verlieren und nicht in der Lage sind, voll an der Gesellschaft teilzunehmen.“ Am stärksten betroffen seien dabei Menschen, deren Muttersprache eine andere als Englisch ist, die keine Universität besucht haben, mit einer Behinderung leben oder bereits in einem fortgeschrittenen Alter sind.

Unterzeichnung eines Vertrags
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So zu kommunizieren, dass es alle verstehen, ist das Ziel des neuen Gesetzes

„Gesetz statt Poesie“

Auch ihre Kollegin im neuseeländischen Parlament, Sarah Pallett, befürwortete das Regierungsvorhaben: Blumige Sprache gehöre in die Poesie und Literatur, nicht aber in die Gesetzgebung.

Der „Guardian“ führte einige Beispielsätze an, die verdeutlichen sollen, was das neue Gesetz sprachlich bedeuten könnte. Ihnen allen gemein ist: Aktiv statt Passiv, Verben statt Substantivierungen, einfache und kurze statt verschachtelte und komplizierte Sätze sowie klare Begriffe statt Fachwörter.

Kritik an Bürokratie und Kosten

Der Gesetzesentwurf wird laut „Guardian“ aber nicht von allen unterstützt. Kritiker meinen, einige Teile des Gesetzes für eine klare Sprache seien – paradoxerweise – selbst nicht klar genug definiert.

Zudem befürchte die neuseeländische Opposition, dass der Gesetzesentwurf zu mehr Bürokratie und Kosten führen werde. Schließlich bedürfe es Beamter und Beamtinnen, die die neuen Regeln überprüfen. Der rechtsliberale Abgeordnete Chris Bishop etwa sprach von dem „dümmsten Gesetz, das in dieser Legislaturperiode dem Parlament vorgelegt wurde“.

Ende der Verwirrung?

Die Befürworterinnen und Befürworter sehen das freilich anders: Es würden sogar Kosten gespart, da durch die verbesserte Verständlichkeit in Zukunft beispielsweise Steuervorschriften besser eingehalten werden. Außerdem brauchte es weniger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Callcentern, die sich mit einer „verwirrten Öffentlichkeit“ auseinandersetzen müssten.

Die neuseeländische Linguistin Andreea Calude zeigte sich jedoch skeptisch: Sprache sei kein objektives Abbild der Realität. „Wir alle verwenden Sprache, um zu versuchen, die Szenen, die wir beschreiben, so zu gestalten, wie es uns passt.“ Klartext lasse möglicherweise etwas weniger Spielraum – aber einfachere Sätze seien kein automatischer Weg zu einer einfacheren Wirklichkeit.