Baustelle einer Wohnhausanlage nahe einem Feld
ORF.at/Lukas Krummholz
Flächenwidmung

Kompetenzfrage lässt Wogen hochgehen

In einem Interview hat Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) kritisiert, dass die Flächenwidmung bei den Gemeinden liegt. Das brachte dem Minister erzürnte Antworten vonseiten der Kommunen ein. Durchaus Verbesserungspotenzial bei der Flächenwidmung sieht Raumordnungsexperte Arthur Kanonier von der TU Wien. Vieles ließe sich aber durch eine bessere Ausnützung der bestehenden Rechtslage lösen, sagt er im Gespräch mit ORF.at.

Es war nur ein kleiner Exkurs in einem langen Interview mit Sozialminister Rauch. Angesprochen auf die Teuerung und Maßnahmen dagegen, kam Sozialminister Rauch gegenüber dem „Standard“ auf den Immobilienmarkt zu sprechen – und den Bau von Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Der habe außerhalb von Wien „nicht wirklich stattgefunden“, sagte Rauch – und fügte hinzu: „Ich halte es für einen Irrtum der Geschichte, dass die Gemeinden über die Flächenwidmung entscheiden – diese Kompetenz müssen wir allmählich überdenken.“

Die Bürgermeister seien „zu nahe dran an den lokalen Interessenlagen, um sich gegen kommerzielle Ansprüche wehren zu können“, schloss der Minister seinen Gedankengang. Waren das spontan hingesagte Gedanken Rauchs – oder ein wohlüberlegter Vorstoß des Ministers? Eine Steilvorlage war es jedenfalls für den Gemeindebund. Nachdem das Interview Mittwochabend online gegangen war, kam bereits Donnerstagfrüh die geharnischte Antwort der Interessensvertretung der heimischen Kommunen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch
APA/Roland Schlager
Mit einer Portion Polemik kritisierte Rauch in einem Interview die Kompetenz der Länder bei der Flächenwidmung

Scharfer Gegenwind aus Gemeinden

Den Gemeinen die Entscheidung zu nehmen, „wo und ob etwas gebaut werden soll“ sei ein „glatter Angriff auf die Gemeindeautonomie“. „Das werden wir niemals akzeptieren“, so Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl (ÖVP) und Vizepräsident Rupert Dworak (SPÖ). Rauch habe ohne Anlass eine Debatte losgetreten, die er nicht gewinnen werde, meinte Dworak. Es werde in der Debatte immer wieder vergessen, „dass es in allen Bundesländern Raumordnungsgesetze gibt, die einen klaren Rahmen vorgeben. Bei jeder Flächenwidmung entscheidet das Land mit“, so Riedl.

Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl
APA/Roland Schlager
Nicht ganz frei von Polemik fiel auch die Antwort von Gemeindebund-Präsident Riedl aus

In dieselbe Kerbe schlug am Donnerstag auch FPÖ-Wirtschaftssprecher Erwin Angerer, zugleich auch Bürgermeister der Kärntner Gemeinde Mühldorf. „Als ehemaliger Landesrat sollte Rauch wissen, dass bei Raumordnungsfragen immer die einzelnen Bundesländer die Kontrolle und letztendliche Entscheidungsgewalt haben“, so Angerer. Auch SPÖ-Kommunalsprecher Andreas Kollross, Bürgermeister in Trumau (NÖ), attestierte dem Sozialminister, „nicht viel Ahnung von Kommunalpolitik“ zu haben.

„Wohlwollend“ fiel hingegen die Reaktion von NEOS aus. Schließlich hatte vor einem Jahr Parteichefin Beate Meinl-Reisinger mit Aussagen im ORF-Sommergespräch eine ähnliche Debatte losgetreten. Sie hatte sich damals für ein Bundesrahmengesetz ausgesprochen, mit dem die Flächenwidmung von den Gemeinden in Richtung der Länder verschoben werden sollte. Das sei eine langjährige Forderung von NEOS, hieß es am Donnerstag von Michael Bernhard, dessen Klima- und Umweltsprecher: „Nur so werden wir der Bodenversiegelung, dem mit Abstand größten Umweltproblem, das wir in Österreich selbst lösen können, nachhaltig entgegenwirken können.“

Spielraum der Länder bei bestehenden Möglichkeiten

Dass Österreich im Hinblick auf die Raumplanung vor Herausforderungen steht, sieht auch TU-Professor Kanonier. Allein schon deshalb, weil der „Nutzungsdruck“ in den kommenden Jahren weiter zunehmen werde. Fragen wie Grünlandschutz, Ernährungssicherheit, Schutz vor Naturereignissen oder auch klimarelevante Konzepte berührten ganz direkt die Flächenwidmung. Das Gleiche gelte auch für die von Rauch angesprochene Herausforderung des erschwinglichen Wohnraums, sagt der Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Raumplanung im Gespräch mit ORF.at.

Das seien Problemstellungen, die über die Ebene der Gemeinden hinausgehen. Weshalb man die Entscheidungen auch nicht allein den Kommunen überlassen solle, sagt Kanonier. Von „Schnellschüssen“ und Forderungen, den Gemeinden einfach die Flächenwidmungen wegzunehmen, hält der TU-Professor aber wenig. Grundsätzlich könne man die Kompetenz ruhig bei den Kommunen belassen, sagt er. Sehr wohl sei es aber Aufgabe der Länder, über die bestehenden Möglichkeiten stärker einzugreifen.

Zauberwort „überörtliche Raumplanung“

Wenn es etwa um den sozialen Wohnbau gehe, dann sei es tatsächlich ein Problem, wenn sich Gemeinden verweigerten. Laut Kanonier lässt sich dem aber mit einer verstärkten „überörtlichen Raumplanung“ begegnen. Eine solche können die Länder auf Ebene der Raumordnungsgesetze vornehmen. Denkbar sei etwa, dass das Land über die Raumordnung Widmungsquoten für gemeinnützige Bauprojekte vorgebe. Oder gewisse Räume verpflichtend für derartige Projekte ausweise.

Bisher ist das freilich noch in keinem Bundesland passiert. Solche Fragestellungen seien „in der überörtlichen Raumplanung noch nicht wirklich angekommen“. Man habe das den Gemeinden überlassen, sagt der TU-Professor. Dabei könne eine restriktivere Raumplanung der Länder durchaus im Sinne der Gemeinden sein. „Viele Gemeinden wären froh, wenn sie Vorgaben haben“ – umso mehr, wenn es um „überkommunale Aufgabenstellungen“ gehe, so Kanonier.

Dazu kommt: Je bestimmter die Länder ihre überörtliche Raumplanung ausgestalten, desto besser könnten sie auch ihrer Rolle als Aufsichtsorgan für die Gemeinden nachkommen. Man könnte vielleicht auch sagen: Bei dem Match liegt der Ball diesmal weder beim Bund noch bei den Gemeinden, sondern – wie so oft in Österreich – bei den Ländern.