Dmitry Peskow
APA/AFP/Natalia Kolesnikova
Will nicht an die Front

Nawalny-Team führt Peskow-Sohn vor

Mit einem fingierten Telefonat ist der Sohn von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben des Teams um den inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny als Drückeberger entlarvt worden. Angesichts der am Mittwoch angekündigten Teilmobilmachung forderte ein Nawalny-Mitarbeiter Peskows Sohn, Nikolai Choles, am Telefon auf, sich bei einer Wehrdienststelle zu melden. Er werde sich nicht einfinden und die Frage auf anderer Ebene entscheiden lassen, sagte Choles dem veröffentlichten Telefonmitschnitt zufolge.

„Wenn Sie wissen, dass ich Herr Peskow bin, dann sollten Sie verstehen, dass das nicht ganz korrekt ist, dass ich mich dort einfinde. Kurz, ich werde das auf einer anderen Ebene regeln“, sagte der 32-Jährige. Auf die nochmalige Frage, ob er sich doch noch am nächsten Tag um 10.00 Uhr in der Dienststelle einfinden werde, sagte er: „Glauben Sie mir, das brauchen weder Sie noch ich.“

Nawalnys Team wies Erklärungen des Kreml-Sprechers Peskow zurück, wonach das Telefonat geschnitten worden sei. Es habe sich um ein Livetelefonat während einer Sendung gehandelt, hieß es. Peskow hatte russischen Medien zufolge erklärt, dass sich sein Sohn keineswegs dem Dienst entziehen wolle. Laut dem veröffentlichten Mitschnitt sagte Peskow junior, dass er grundsätzlich bereit sei zur Verteidigung der Heimat. Aber in die Ukraine wolle er nicht.

Der Anrufer erinnert ihn daran, dass Putin selbst die Mobilmachung für den Krieg in der Ukraine angeordnet habe: „Wenn Wladimir Wladimirowitsch (Putin) mir sagt, dass ich dorthin gehen soll, dann geh’ ich dorthin.“ Daraufhin wird er belehrt, dass Putin nicht jeden der anvisierten 300.000 Reservisten selbst anrufen könne. Peskows Sohn meint dazu, er sei nicht wie jeder.

Der inhaftierte Alexei Navalny auf einem Bildschirm
AP/Denis Kaminev
Im Juni wurde der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in die Hochsicherheitsstrafkolonie in Melechowo verlegt

Teilmobilmachung sorgt für Unruhe bei Bevölkerung

Kreml-Gegner Nawalny hatte zuvor beklagt, Präsident Wladimir Putin werfe einfache russische Bürger in den „Fleischwolf“ des Krieges, während die Elite unbeschadet bleibe. Die Ankündigung Putins hat Unruhe in der russischen Bevölkerung ausgelöst: In fast jeder Familie gibt es Reservisten. Eingezogen werden sollen vor allem Männer, deren Militärdienst noch nicht lange zurückliegt. Die Frage, bis zu welchem Alter einberufen wird, liege in der Kompetenz des Verteidigungsministeriums, sagte Peskow russischen Agenturen zufolge.

Bei den ersten größeren Kundgebungen der russischen Antikriegsbewegung seit März waren am Mittwoch in vielen Städten Menschen auf die Straße gegangen, darunter viele Frauen, die um das Leben ihrer Männer, Brüder und Söhne fürchten. Allein in der Hauptstadt Moskau waren es etwa 530 festgenommene Protestierende, in Sankt Petersburg 480, wie das Bürgerrechtsportal OVD-Info auflistete. OVD-Info zählte Festnahmen in 38 Städten. Von staatlicher Seite gab es keine Angaben zu den Protesten.

Die Polizei verletzte laut OVD-Info mehrere Festgenommene. In Moskau erlitt ein junger Mann eine Gehirnerschütterung, eine junge Frau verlor das Bewusstsein. Gegen das Gesetz seien 33 Minderjährige festgenommen worden, teilte OVD-Info mit. Auch neun Journalisten seien festgehalten worden. Einem Mann, der bei einer Antimobilisierungskundgebung in St. Petersburg verhaftet wurde, sei der Arm an zwei Stellen gebrochen und sein Telefon zertrümmert worden.

Berichte: Mobilisierung von bis zu einer Million Mann

Der Kreml dementierte am Donnerstag Berichte, wonach bei der Teilmobilmachung tatsächlich die Einberufung von bis zu einer Million Reservisten möglich sei. Peskow sprach von einer Lüge, wie russische Agenturen am Donnerstag in Moskau meldeten. Das Internetportal der in Russland inzwischen eingestellten Zeitung „Nowaja Gaseta“ schrieb dagegen, Putin gebe dem Verteidigungsministerium freie Hand zur Mobilisierung von bis zu einer Million Mann.

Das stehe in Punkt sieben von Putins Erlass vom Mittwoch. Dieser Punkt fehlte in der Veröffentlichung und war als „Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die aus dem Exil agierende Zeitung berief sich in ihrem Bericht auf angebliche Quellen im russischen Präsidialamt. Peskow selbst hatte am Mittwoch gesagt, dass es in dem Absatz um die Zahl der Reservisten gehe. Es gelte jedoch, dass 300.000 Mann einberufen werden sollten, wie es Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigt habe. Schoigu hatte auch gesagt, es gebe 25 Millionen Reservisten in Russland.

Nach schweren Verlusten im Angriffskrieg gegen die Ukraine will die russische Führung mit den Einberufungen die Armee wieder ergänzen. Nicht verifizierte Videos im Internet zeigten, dass die Behörden in den sibirischen Teilrepubliken Burjatien und Sacha (Jakutien) schon am Donnerstag viele junge Männer zum Militär einzogen. Die russische Armee hat nach Experteneinschätzungen in der Ukraine auch bisher überproportional viele Angehörige nationaler Minderheiten eingesetzt.

Moskau zahlt Reservisten 50.000 Rubel im Monat

Die russische Hauptstadt Moskau will die bei der Teilmobilisierung eingezogenen Reservisten auch mit Sonderzahlungen belohnen. Jedem eingezogenen Moskauer zahle die Hauptstadt monatlich 50.000 Rubel (830 Euro) zum Sold dazu, teilte Bürgermeister Sergej Sobjanin am Donnerstag mit. Im Fall einer schweren Verwundung solle eine Million Rubel gezahlt werden, bei einer leichten Verwundung die Hälfte. Beim Tod eines Soldaten erhalte die Familie drei Millionen Rubel (knapp 50.000 Euro).

Auch das Gebiet Kursk und die Teilrepublik Udmurtien versprachen nach Angaben der Agentur Tass Geldzulagen. Allerdings haben die Regionen in Russland viel weniger Geld zur Verfügung als die reiche Hauptstadt.

Nach Demos: Geldstrafen, Arrest – und Einberufung?

Aus mehreren Polizeistationen gab es zudem Berichte, dass bei Demonstrationen gegen die Mobilmachung festgenommene junge Männer direkt zur Musterung für den Militärdienst vorgeladen worden seien. Es könnte also für die Betroffenen von der Straße direkt zum Militär und in den Krieg gehen.

Kreml-Sprecher Peskow dementierte diese Berichte nicht: „Das ist nicht gegen das Gesetz.“ Nach wie vor handle es sich nicht um einen Krieg, sondern um einen militärischen Sondereinsatz in der Ukraine, sagte Peskow. OVD-Info riet dazu, gegen diese Art der Einberufung Protest einzulegen.

Polizisten nehmen einen Demonstranten fest
AP/Alexander Zemlianichenko
Bei Protesten gegen die Mobilmachung wurden am Mittwoch mehr als 1.300 Menschen festgenommen

In der Regel werden die Festgenommenen nach einer Nacht in Polizeigewahrsam zu Geldstrafen oder Arrest verurteilt. Gegen manche werden Strafverfahren eingeleitet. In den ersten Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar waren bei Protesten 15.000 Menschen festgenommen worden. Seitdem hat die russische Führung die Strafen für Widerstand gegen den Krieg weiter verschärft.