Anton Mattle
APA/Roland Schlager
Erster trotz minus 9,6 Prozent

Tiroler ÖVP sucht Koalitionspartner

Mit 34,7 Prozent und einem Minus von fast zehn Prozentpunkten hat die ÖVP in Tirol ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren, landete aber trotzdem auf dem ersten Platz. Spitzenkandidat Anton Mattle dürfte nun bald nach der Parteivorstandssitzung am Montag mit den Koalitionssondierungen beginnen. Eine Zusammenarbeit mit der zweitplatzierten FPÖ schließt Mattle dezidiert aus – über mögliche andere Varianten gab er sich am Wahlabend zugeknöpft.

Das Desaster, das der ÖVP im Vorfeld teils prognostiziert wurde, blieb aus: Mit 34,7 Prozent erreichte die Partei deutlich Platz eins. Auf Platz zwei landet die FPÖ mit 18,8 Prozent vor der SPÖ mit 17,5 Prozent. Die Liste Fritz legte auf 9,9 Prozent zu und konnte damit ihr Ergebnis der letzten Wahl beinahe verdoppeln.

Die Grünen, bisherige Koalitionspartner der ÖVP, kamen bei der Wahl nur noch auf Platz fünf. Die Partei erreichte mit Spitzenkandidat Gebi Mair 9,2 Prozent und verlor gegenüber 2018 rund eineinhalb Prozentpunkte. NEOS konnte leicht zulegen und erreichte 6,29 Prozent.

Endergebnis LTW22 Tirol
Land Tirol

Mattle sieht Regierungsauftrag für ÖVP trotz Schlappe

Mattle sieht trotz der Schlappe für seine Partei den Regierungsauftrag. Man habe eine „Aufholjagd“ gestartet, und das habe letztlich geklappt, sagte Mattle vor Journalisten. Die Landespartei sei zu Wahlkampfbeginn bei 29 Prozent gestartet, meinte Mattle. Es sei gelungen, Wähler zurückzuholen, wenngleich: „Wir haben verloren, das ist uns bewusst.“

Man werde aber alles tun, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Er werde am Montag im ÖVP-Parteivorstand auch nicht die Vertrauensfrage stellen. Als stimmenstärkste Partei stelle die ÖVP weiter den „Führungsanspruch“, betonte der 59-Jährige.

Eine Zweierkoalition mit der FPÖ werde es jedenfalls nicht geben, erneuerte Mattle seine Ansage aus dem Wahlkampf. Er würde sich auch durchaus zutrauen, eine „Dreierkoalition ins Leben zu rufen“, wie er es ebenfalls schon vor der Wahl erklärt habe: „Jetzt werden wir in den Sondierungsgesprächen draufkommen, wie gut die Dinge funktionieren.“ Rechnerisch gehen sich nur ÖVP-Zweierkoalitionen, und zwar mit SPÖ oder FPÖ, aus – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Grafik zu möglichen Koalitionen in Tirol
Grafik: APA/ORF.at

Bundes-ÖVP erleichtert über Ausbleiben von „Totalabsturz“

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zeigte sich ebenfalls erleichtert, dass der „prognostizierte Totalabsturz“ ausgeblieben sei. Er verwies in der ORF-Wahlsondersendung auf den ersten Platz und den deutlichen Abstand zu den anderen Parteien. „Die Tirolerinnen und Tiroler haben mit ihrem Stimmverhalten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihr Landeshauptmann Toni Mattle heißen soll“, so Stocker.

Reaktionen der Bundespolitik

Nicht nur die ÖVP wurde von den Wählerinnen und Wählern abgestraft, sondern auch die Grünen, ihr Koalitionspartner auf Landes- und Bundesebene. Die SPÖ hingegen, die in allen Bundesumfragen führt, hatte sich von Tirol um einiges mehr erwartet.

„Die FPÖ ist wieder da“

Tirols FPÖ-Obmann und Spitzenkandidat Markus Abwerzger hat sich mit dem vorläufigen Wahlergebnis der Freiheitlichen „sehr zufrieden“ gezeigt. „Die FPÖ ist wieder da“, sagte Abwerzger. Anfang des Jahres sei man in Umfragen noch bei rund 13 Prozent gelegen, erinnerte er. Der FPÖ-Spitzenkandidat sah noch Chancen, die 19 Prozent zu überspringen und vielleicht das beste Ergebnis in der Geschichte der Tiroler FPÖ einzufahren. Dieses lag im Jahr 1999 bei 19,6 Prozent.

Abwerzger bekundete trotz der Absage Mattles zudem das Bestreben, weiter im Koalitionsspiel zu bleiben: „Wir strecken die Hand aus und sind gesprächsbereit mit allen.“

FPÖ-Chef Herbert Kickl sah das „sensationelle Plus“ als „eindeutigen Auftrag“. „Mit diesem großartigen Erfolg ist die freiheitliche Trendwende eingeleitet, und diese wird sich in den kommenden Wahlen mit Sicherheit fortsetzen.“ Der FPÖ-Abgeordnete Christian Hafenecker forderte ÖVP und Grüne auf, auch auf Bundesebene abzutreten. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz zeigte sich „sehr zufrieden“, vor allem der zweite Platz erfreue ihn: „Das haben wir in Tirol bisher noch nie geschafft.“

SPÖ knapp hinter FPÖ

Der Wunsch von SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer, „ganz klar einen Zweier“ vor dem roten Ergebnis zu haben, erfüllte sich ebenfalls nicht, genauso wenig wie die Hoffnung, im Laufe des Abends noch Platz zwei zu erreichen und damit die FPÖ zu überholen. Erste Gratulationen richtete Dornauer an die ÖVP. Die Schwarzen hätten nun den „demokratisch legitimierten Auftrag zur Regierungsbildung“, sagte Dornauer. Daher werde er am Abend nicht zum Hörer greifen und sich bei der ÖVP wegen einer möglichen Regierungszusammenarbeit melden.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch führte die Verluste von ÖVP und Grünen auf „Arroganz und Hochmut“ zurück. Es zeige sich, dass in Tirol kein Stein auf dem anderen bleiben werde. „Schwarz-Grün ist abgewählt“, so Deutsch. Während Schwarz-Grün ein Totalversagen eingefahren habe, sei das rote Ergebnis ein „schöner Erfolg im Wissen, dass Tirol für die SPÖ ein schwieriges Terrain“ sei.

Wählerstromanalyse

Die ÖVP hat knapp zehn Prozentpunkte und damit ein knappes Viertel ihrer Wählerinnen und Wähler von 2018 verloren. Aber wohin sind die Stimmen gewandert?

Liste Fritz überholt die Grünen

Zugewinne verbuchte auch die Liste Fritz, die nach zwei durchwachsenen Wahlen vor den Grünen Platz vier eroberte. Sie sei „überwältigt“ und „dankbar“, so Spitzenkandidatin Andrea Haselwanter-Schneider. Es sei ein „großartiges Ergebnis“.

Die Grünen, bisher in der Koalition mit der ÖVP, rutschen in die Einstelligkeit zurück. Grünen-Spitzenkandidat Gebi Mair erklärte, er wolle das Ergebnis seiner Partei „nicht schönreden“. Klar sei, Schwarz-Grün sei Geschichte, und man sei bei Koalitionsgesprächen auch nicht erster Ansprechpartner. Würden aber Sondierungen anderer Parteien keine Ergebnisse bringen, stünde man für Gespräche zur Verfügung.

Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler übte sich in Optimismus und erklärte die Verluste mit den schwierigen Zeiten. „Wir leben in schwierigen Zeiten und ganz Europa in einer Zeitenwende. Viele Menschen haben aufgrund der Teuerung, dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen möglichen Energieengpässen große Sorgen“, so Kogler. „Als Juniorpartner im Land bei einer überraschend losgetretenen Landtagswahl war das sicherlich kein leichter Wahlkampf – die Tiroler Grünen haben Durchhaltevermögen bewiesen“, ergänzte Bundesgeschäftsführerin Angela Stoytchev.

Analyse des Tiroler Wahlergebnisses

Politikexperte Peter Filzmaier analysiert das Ergebnis und mögliche bundespolitischen Konsequenzen.

NEOS musste um Einzug zittern

Dominik Oberhofer von NEOS zeigte sich in einer ersten Reaktion enttäuscht, er hätte sich mehr erwartet. Das Ergebnis sei für die SPÖ kein „großer Regierungsauftrag“, wollte sich Oberhofer als Koalitionspartner weiter nicht aus dem Spiel nehmen. Die schwachen Zugewinne führte Oberhofer auf die Umfragen zurück. Er habe den Eindruck, dass Umfragen „auch für Stimmungsmache hergenommen werden“.

NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich offen für eine Dreierkoalition in Tirol. Der Ball liege jedoch bei der ÖVP. Spitzenkandidat Dominik Oberhofer werde auch mit ÖVP-Chef Anton Mattle Gespräche führen, war Meinl-Reisinger überzeugt. Das Tiroler Ergebnis bezeichnete sie indes als „klares Plus“. Allerdings sei sie gespannt, was das Tirol-Ergebnis auf Bundesebene für die Regierungsparteien bedeute. „Gestärkt gehen ÖVP und Grüne da heute nicht heraus“, so Meinl-Reisinger.

Fachleute sehen Schwarz-Rot kommen

Meinungsforscher und Politikberater erachten die Rückkehr einer Koalition aus ÖVP und SPÖ als am wahrscheinlichsten. Als „nahezu aufgelegt“ bezeichnete Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM) diese Variante gegenüber der APA.

Das letzte Mal regierten die beiden „Großparteien“ Tirol gemeinsam bis 2013 unter der Führung von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Dessen überhasteter Rückzug dürfte seinen Teil zum historisch schlechtesten Ergebnis der Tiroler ÖVP beigetragen haben. „Wie man das so vergeigen kann, ist beinahe einmalig“, fand Bachmayer klare Worte zum Abgang des Ex-Landeshauptmanns.

Dreierkoalition unwahrscheinlich

Eine Dreierkoalition sehen sowohl Bachmayer als auch der Politikberater Thomas Hofer und der Meinungsforscher Peter Hajek als nicht wünschenswert für die ÖVP. Dafür, dass die ÖVP ihre Koalition mit den Grünen und einer weiteren Partei weiterführen könnte, sieht Bachmayer keine Gründe. Am ehesten würde sich ein „Neustart“ aber wohl noch mit der Liste Fritz verkaufen lassen. „Zwei Partner bei Laune zu halten ist aber immer schwierig“, sagte Hofer.

Eine Koalition mit der FPÖ hatte Mattle im Vorfeld ausgeschlossen. Der Parteichef sitze nach der „erträglichen Niederlage“ wieder fest im Sattel und werde wohl auch parteiintern nicht dazu gedrängt werden können, es mit den Freiheitlichen zu versuchen, sagte Bachmayer. So bleibt eigentlich nur die SPÖ. Diese hat ihr Wahlziel von mindestens 20 Prozent klar verfehlt und werde der ÖVP „den roten Teppich ausrollen“, ist sich Bachmayer sicher.

SPÖ-Landeschef Dornauer sagte allerdings Sonntagabend, er werde „nicht um jeden Preis“ in eine Regierung eintreten. Für das „in vielen Ländern erprobte Modell“ spreche auch, dass Mattle die Koalitionsgespräche so wohl am schnellsten beenden könnte, glaubt Bachmayer. Das käme auch der SPÖ entgegen, die für Hofer anlässlich des Wahlergebnisses keinen Grund zum Feiern habe und mit einer Regierungsbeteiligung Gespräche über ihr schlechtes Abschneiden schnell beenden könnte.