Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) jubelt
AP/Gregorio Borgia
Nach Melonis Sieg

Heißer Herbst bis zu neuer Regierung

In Italien, dem größten Profiteur des EU-Wiederaufbauprogramms, haben die EU-Skeptiker die Wahl am Sonntag gewonnen. Die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni erhob nach ihrem Sieg den Führungsanspruch. Italien braucht so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung, doch zunächst steht erst einmal ein heißer Herbst ins Haus.

Bis zur Bildung einer neuen Regierung dürfte es nun einige Wochen dauern. Das neue Parlament wird am 13. Oktober tagen, danach bilden sich die Fraktionen. Ein entscheidender Schritt ist die Wahl der Präsidenten von Abgeordnetenkammer und Senat, was mehrere Tage beanspruchen könnte. Erst danach wird Präsident Sergio Mattarella die politischen Konsultationen für die Regierungsbildung aufnehmen.

Angesichts des Wahlergebnisses mit dem klaren Erfolg der Koalition um Meloni dürften sich diese Konsultationen nicht allzu lang hinziehen. Erwartet wird, dass Mattarella Meloni mit der Regierungsbildung beauftragt, die Feindin von Genderthemen könnte somit als erste Frau in Italien Regierungschefin werden. Die Mitte-links-Allianz aus der Fünf-Sterne-Bewegung, einer Zentrumsgruppe und den Sozialdemokraten schaffte es nicht, Melonis Durchmarsch aufzuhalten. Nach der Wahlniederlage kündigte der Chef der sozialdemokratischen Partei PD, Enrico Letta, bereits seinen Rückzug von der Parteispitze an.

Grafik zur Parlamentswahl in Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Innenministerium

Die Zeit drängt

Zwar muss erst das ganze Konsultationsprozedere absolviert werden, doch es drängt die Zeit: Italien braucht so schnell wie möglich eine Regierung. Bis Jahresende muss das Haushaltsgesetz von beiden Parlamentskammern verabschiedet werden. Italien muss außerdem eine Reihe von Dekreten verabschieden, dank denen es Zugang zu einem Teil der Finanzierungen in Höhe von 200 Milliarden Euro bekommt, die das Land von dem EU-Wiederaufbauprogramm insgesamt erhalten kann.

Durch den raschen Aufstieg der Fratelli könnte die Partei allerdings schlecht vorbereitet aufs Regieren sein, wie der Politologe Fernando D’Aniello zur APA sagte. „Genau jetzt wäre es aber notwendig, beide Kammern des Parlaments stark in die Regierungsarbeit einzubeziehen.“ Dass die neue Regierungspartei über ausreichend kompetentes politisches Personal verfügen wird, sei die erste Herausforderung Melonis, so D’Aniello.

Schlankes Parlament

Erstmals wurde mit der Wahl eine Verfassungsreform umgesetzt: Das neue Parlament hat deutlich weniger Sitze. Für die Abgeordnetenkammer standen nur noch 400 statt 630 Sitze und im Senat 200 statt 315 Sitze zur Wahl. Gewählt wurde nach einem als „Rosatellum“ bekannten System, einem komplexen Mischsystem, bei dem etwa ein Drittel der Sitze nach Mehrheitswahlrecht und der Rest nach Verhältniswahlrecht vergeben werden.

Meloni verfolgte im Wahlkampf eine betont pragmatische Linie in EU-Fragen. Sie wandte sich sogar per Video in drei Sprachen an die Menschen in Europa, versicherte Stabilität und betonte, man habe „den Faschismus schon seit Jahrzehnten der Geschichte übergeben“. Nach ihrem Wahlsieg vom Sonntag sagte sie vor ihren jubelnden Anhängerinnen und Anhängern, sie wolle das Land einen, „das Verbindende fördern und nicht das Trennende“.

Das dürfte in der zerklüfteten Politlandschaft schwierig werden. Die Parteien sind fragmentiert, ebenso das Wahlvolk. Die Bevölkerung scheint stark verdrossen, ein Ausdruck dafür war auch die Wahlbeteiligung. Nur 64 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, zehn Prozentpunkte weniger als bei der letzten Parlamentswahl.

Meloni verweist Salvini in die zweite Reihe

Auch wenn Meloni mit dem Sprung von vier Prozent auf über 26 Prozent einen Erdrutschsieg verbuchte, ist auch das rechte Lager nicht geeint. Die FdI, die ein Bündnis mit der rechtspopulistischen Lega von Matteo Salvini und Silvio Berlusconis konservativer Forza Italia eingingen, sind nun der Platzhirsch rechts der Mitte. Träumte Salvini bis vor wenigen Wochen noch vom Premiersessel, ging er nun aus dem Konkurrenzkampf innerhalb des Rechtsbündnisses als klarer Verlierer hervor. Die Lega stürzte von über 17 auf neun Prozent ab.

Cornelia Vospernik (ORF) über die Italien-Wahl

ORF-Korrespondentin Cornelia Vospernik analysiert mögliche Auswirkungen des Wahlsieges der von Giorgia Meloni geführten postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia bei der italienischen Parlamentswahl.

Doch die Lega beging strategische Fehler. Sie unterstützte zunächst die Allparteienregierung von Premier Mario Draghi und ließ sich auf schwierige Kompromisse mit den Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung ein. Später war Salvini am Sturz Draghis beteiligt, und auch das kam nicht überall gut an. Gleichzeitig nutzten die Postfaschisten den zunehmenden Unmut der Italiener wegen Energiekrise, Inflation und ungewisser Wirtschaftsaussichten, um kantige Oppositionspolitik zu machen. In einstigen Lega-Hochburgen triumphierte Meloni am Sonntag deutlich. Am Montag rückte Salvini eilends aus, um zu versichern, er sei Meloni ihren Sieg „nicht neidig“. Auch einen Rücktritt schloss er aus.

Auch Berlusconis Forza stürzte ab: von rund 14 auf acht Prozent. Da half auch das im letzten Moment des Wahlkampfs geäußerte Verständnis für Russland nichts mehr.

Matteo Salvini
APA/AFP/Miguel Medina
Salvini „nicht neidig“: Der Lega-Chef wird sich nun aber mit der zweiten Reihe begnügen müssen

Herausforderung für Brüssel

Meloni übernimmt also wohl nicht nur den Palazzo Chigi, sondern auch die Führung im rechten Lager von den bisherigen Leitfiguren Salvini und Berlusconi. Ob das reibungslos verlaufen wird, wird sich zeigen. Bei Europas Rechtspopulisten überwog am Wahlsonntag der Optimismus, sie schickten begeistert Glückwünsche, vom französischen Rassemblement National über die deutsche Afd bis zur FPÖ.

Die EU wird Melonis Weg mit größtem Interesse verfolgen. Schon im Wahlkampf reichte eine Aussage von Kommissionschefin Ursula Von der Leyen für einen Eklat, sie sagte, man habe Werkzeuge, sollte sich Italien von europäischen Grundsätzen abwenden. Dass nun erstmals eine Regierung in Westeuropa von einem neofaschistisch inspirierten rechten Flügel geführt werden wird, können solche Werkzeuge aber auch nicht verhindern.

Auch wenn ein Sprecher der Europäischen Kommission die Hoffnung auf eine „konstruktive Zusammenarbeit“ mit Rom äußerte – für die EU wird ein Italien unter den FdI in manchen Fragen wohl kein leichter Partner werden. Meloni will nicht nur die Linie in Asylfragen vorgeben, sie will in Brüssel auch zumindest die Konditionen des Wiederaufbaufonds nachverhandeln. Anders als ihre rechten Bündnispartner ist sie aber in der Ukraine-Frage auf Linie der EU-Kommission.