Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
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Nach Wahl

Tiroler „Fingerzeig“ Richtung Regierung

Der in Umfragen kolportierte politische Umbruch in Tirol ist zwar ausgeblieben. Das Wahlergebnis sei aber ein „deutlicher Fingerzeig“ Richtung ÖVP-Grünen-Regierung, sagt Politikberater Thomas Hofer im ORF.at-Gespräch. Die bundespolitischen Themen Teuerung und Energiesicherheit hätten den Takt vorgegeben. Für die anstehenden Wahlen seien die Parteien vorgewarnt.

Landtagswahlen haben freilich ihre eigenen Gesetze. Länderspezifika wie regionale Themen und die örtliche Politik sind wichtige Motive für Wahlentscheidungen. Dennoch wäre es naiv zu glauben, die Politik auf Bundesebene leiste keinen Beitrag zum Abschneiden der Parteien auf Landesebene, so der Politikexperte. In Sachen Tirol-Wahl sieht er eines ganz klar: „Für ÖVP und Grüne war das eine Ohrfeige. Sie hatten Glück im Unglück, dass die Opposition davon nicht profitieren konnte.“

Mit einem Minus von fast zehn Prozentpunkten fuhr die ÖVP Tirol am Sonntag das schlechteste Wahlergebnis seit 1945 ein. Auch die Tiroler Grünen verloren Stimmen und werden wohl in die Opposition wechseln. „Diese Ergebnisse können die Bundesparteien nicht schönreden“, meint Hofer, selbst wenn das jetzige Votum keine unmittelbaren Folgen nach sich ziehen werde.

Personaldebatte bleibt aus

Für ÖVP-Bundesparteichef Karl Nehammer bedeute das Ergebnis sogar eine „kurze Verschnaufpause“. Denn Umfragen im Boulevard hatten die ÖVP Tirol bereits unter der 30-Prozent-Marke gesehen. Ein solches Ergebnis hätte eine große Personaldebatte ausgelöst, meint Hofer. Dass das am Ende nicht der Fall war, wird von der ÖVP nun als kleiner Sieg gefeiert – nach dem Motto: Es hätte schlimmer kommen können.

„Natürlich trügt der Schein. Denn eine Niederlage ist es trotzdem“, sagt der Politikberater. Kumuliert seien es für die Regierungsparteien minus elf Prozentpunkte. Die Parteien könnten das Ergebnis gerne anders deuten, „aber es ist ein drastisches Minus“, so Hofer. Für die anstehenden Wahlen in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg seien die Koalitionäre nun vorgewarnt. Der anhaltende Bundestrend, in dem die Regierungsparteien zusammen auf keine Mehrheit kommen, werde nämlich auch auf diese Entscheidungen ausstrahlen.

Grünen-Chef Werner Kogler hatte am Sonntagabend gesagt, dass es für die Landesorganisation als Juniorpartner „sicherlich kein leichter Wahlkampf“ gewesen sei. Die Tiroler Grünen hätten aber angesichts der Situation Durchhaltevermögen bewiesen. „Man sieht natürlich, dass der kleine Koalitionspartner thematisch unter die Räder kommt. Das ist in Tirol der Fall gewesen und das ist im Bund der Fall. Das ist für die Grünen ein Problem“, sagt Politikberater Hofer.

Volatiler Wählermarkt

Laut Wählerstromanalyse des SORA-Instituts konnte die ÖVP Tirol knapp 70 Prozent ihrer Stimmen von der Landtagswahl 2018 halten. Den größten Teil mit elf Prozent verlor die Partei an die SPÖ, sechs Prozent gingen an die FPÖ. Die Grünen verloren gleich zehn Prozentpunkte an den Nichtwählersektor, neun an NEOS und acht an die ÖVP. Ähnliche Abwanderungen zeigten sich auch bei den anderen Parteien.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl und Tirols FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger
APA/Helmut Fohringer
Als ein Sieger geht die FPÖ Tirol mit Markus Abwerzger aus der Wahl hervor, die ÖVP Tirol will aber keine Koalition mit den Freiheitlichen

„Die neue Konstante ist die Volatilität“, sagt Politikberater Hofer. Die aktuellen Krisen hätten mehr Brisanz und Mobilisierungsstärke in den Wahlkampf gebracht. Zugute komme das in erster Linie populistischen Parteien, betont der Experte. Neben der Liste Fritz, die ihre Stimmen beinahe verdoppeln konnte, war es die FPÖ, die aufgrund der Themenlage profitieren konnte. „Inflation und die Energiekrise sind die Themen, die die Bevölkerung derzeit am meisten beschäftigen und mit denen die Regierung besonders konfrontiert ist.“

Hingegen konnte die SPÖ trotz ihrer „Doppelrolle“ (Opposition im Bund und in Tirol) nicht reüssieren. Grund dafür sei, dass die Tiroler SPÖ bereits vor der Wahl mit einer Regierungskoalition mit der ÖVP liebäugelte und „deshalb mit einer Handbremse“ wahlkämpfte, sagt Hofer. Andererseits habe sich die Bundespartei auch zurückgehalten. Zehn Prozent der SPÖ-Stimmen von der Landtagswahl 2018 wechselten in das Lager der Nichtwähler und -wählerinnen, gleich elf Prozent zur Liste Fritz.

Lehren für die Hofburg-Wahl

Das Ergebnis in Tirol könnte auch Lehren für die Hofburg-Wahl in zwei Wochen bereithalten. Im Gegensatz zur Wiederwahl von Heinz Fischer im Jahr 2010 sei der Mobilisierungsgrad für andere Bewerber dieses Mal deutlich höher. „Was wir von der Tirol-Wahl lernen, ist auch, dass es durchaus möglich ist, Nichtwähler anzusprechen“, betont Hofer und verweist auf die steigende Wahlbeteiligung. „In Krisenzeiten wird nach Alternativen zum Herkömmlichen gesucht. Wenn die Leute spüren, es geht um etwas, steigt offenbar der Wunsch nach Veränderung.“

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ-Bundesparteivorsitzende) und Georg Dornauer (Tiroler Landesparteivorsitzender)
APA/EXPA/Johann Groder
SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer kündigte vor der Wahl seine Bereitschaft an, mit der ÖVP zu regieren

Die Freiheitlichen konnten von allen Parteien zwar die meisten Stimmen aus dem Nichtwählerteich fischen, gleichzeitig konnten sie viele frühere Wähler und Wählerinnen nicht von sich überzeugen. Obwohl die FPÖ die einzige Partei ist, die einen Präsidentschaftskandidaten für die Wahl Anfang Oktober aufgestellt hat, gibt es viele Mitbewerber des rechten Spektrums. „Wenn es mehrere Kandidaten gibt, die dieselben Ziele vertreten, werden die blauen Bäume nicht hoch wachsen“, sagt Hofer.

Am Sonntag legte die Tiroler Bevölkerung einen Zuwachs bei der Wahlbeteiligung hin: Während 2018 nur 60 Prozent ihre Stimme abgaben, waren es dieses Mal 65 Prozent. Tirol ist das einzige Bundesland, in dem die Beteiligung gegenüber dem letzten Wahlgang gewachsen ist. Alle anderen Länder haben, teils allerdings coronavirusbedingt, bei der vergangenen Wahl einen meist deutlichen Rückgang verzeichnet.