Schachspieler Magnus Carlsen
APA/AFP/Arun Sankar
Kuriose Schachfehde

Carlsen wirft Niemann öffentlich Betrug vor

Der kuriose Krimi, der seit Wochen nicht nur die Schachwelt in Atem hält, erlebt seine Fortsetzung: Nach langem Schweigen äußerte sich Schachweltmeister Magnus Carlsen nun öffentlich zu dem Erdbeben, das er durch seinen eigenwilligen Abbruch eines Turniers verursacht hat. Er wirft seinem jungen Widersacher, dem US-Amerikaner Hans Niemann, tatsächlich Betrug vor. Beweise dafür scheint er nicht zu haben.

Im Wesentlichen bestätigte Carlsen am Montag die Berichte der letzten Wochen, dass Niemann in dem Spiel gegen ihn geschummelt haben soll. Genaueres dürfe er aber aktuell nicht sagen, auch wenn er gerne weiter darauf eingehen würde, so der 31 Jahre alte Norweger auf Twitter. „Ich hoffe, dass die Wahrheit ans Licht kommt, wie auch immer sie aussehen möge.“

Er glaube, so Carlsen, „dass Niemann häufiger (…) betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat“. Beweise für einen Betrug des 19-jährigen Großmeisters Niemann liegen aber nicht vor.

Carlsen schrieb: „Wir müssen etwas gegen Betrug im Schach unternehmen. Ich werde dazu beitragen, indem ich nicht mehr gegen Spieler spiele, die in der Vergangenheit betrogen haben, da ich mir nicht sicher sein kann, was solche Spieler in der Zukunft noch tun werden.“

Niederlage als Vorspiel

Die kuriose Fehde zwischen den beiden Schachgenies hatte Anfang September ihren Ausgang genommen. Damals begegneten Carlsen und Niemann einander erstmals bei einem Turnier in den USA. Zu diesem Zeitpunkt war Carlsen 53 Partien in Folge ungeschlagen – bis er am 4. September gegen Niemann spielte. Der 19-jährige Amerikaner konnte sich gegen den Norweger durchsetzen – obwohl Carlsen mit Weiß spielte und damit den Vorteil hatte – und damit die Serie beenden. Das Schachportal chess24 sprach damals von einem „atemberaubenden Sieg“.

Unüblich war aber nicht nur der klare Sieg des jungen Spielers über den Weltmeister, sondern vielmehr die Reaktion des Norwegers. Er zog sich aus dem mit 500.000 US-Dollar dotierten Turnier zurück. Kommentar gab er keinen ab, stattdessen gab es ein kryptisches Posting auf Twitter: ein seit Langem im Netz kursierendes Video von Fußballtrainer Jose Mourinho, der darin „Wenn ich etwas sage, komme ich in Schwierigkeiten“ sagt.

Der Generaldirektor des Weltschachbundes, Emil Sutkovsky, merkte an, dass Carlsen noch nie ein Turnier wegen eines schlechten Ergebnisses abgebrochen habe – und deshalb einen „triftigen Grund“ gehabt haben müsse. Auch andere Schachprofis wie Hikaru Nakamura stellten in den Raum, dass Niemann Hilfe von außen gehabt haben könnte.

Abbruch nach dem ersten Zug

Bei einem neuerlich Turnier, bei dem die beiden aufeinander trafen, brach Carlsen schon nach einem Zug das Spiel ab und zog sich wortlos zurück, ein Schritt, der in der Schachwelt zur Schnappatmung führte. Der Abbruch durch Carlsen füllte daraufhin Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Erneut fiel das Schlaglicht auf Niemann und die Frage, ob dieser geschummelt haben könnte – auch die Frage nach dem Wie sorgte für wilde Spekulationen.

Rätselraten über Schummelmethode

Tatsache ist: Durch Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz sind Schachcomputer menschlichen Spielerinnen und Spielern überlegen, die Hilfe von einem Computer könnte also zu einem entscheidenden Vorteil werden. In Foren wurde in den Raum gestellt, dass Niemann etwa über vibrierende Analkugeln die nächsten Züge mitgeteilt bekommen haben könnte. Das Gerücht zog seine Runden – und wurde schließlich selbst von Profischachspielern diskutiert. Das löste eine breite Debatte über Betrug im Schachsport aus.

Im Gespräch mit FM4 sagte der österreichische Schachgroßmeister Valentin Dragnev, dass, „so lächerlich wie sie klingt“, im Prinzip diese „Theorie trotzdem durchführbar sein könnte“. Im Schach basiere bisher jedenfalls „sehr viel auf Vertrauen“. Anhand von Spielzügen ließe sich oft erahnen, ob ein „Zug ‚menschlich‘ oder ‚unmenschlich‘ sei“ – mehr dazu in fm4.ORF.at. Betrug lässt sich jedenfalls nicht leicht beweisen.

Im Zweifel nackt spielen

Niemann ließ die Vorwürfe damals nicht auf sich sitzen: „Wenn sie wollen, dass ich mich völlig nackt ausziehe, werde ich es tun. Es ist mir egal. Denn ich weiß, dass ich sauber bin“, so der Schachspieler in einem Interview nach seinem Sieg gegen Carlsen. Skepsis herrscht vor allem deshalb, weil Niemann bei einem Interview zuvor zugegeben hatte, in der Vergangenheit bei Onlineturnieren betrogen zu haben – allerdings im Teenager-Alter. Seither, beteuert er, habe er nie wieder geschummelt.

Niemann fühlte sich zu Unrecht verfolgt und beklagte online eine Rufmordkampagne gegen ihn. Auffallend ist aber auch Niemanns steile Karriere – in weniger als zwei Jahren verbesserte sich seine Elo-Zahl, also seine Spielstärke, deutlich. Kritiker wollen darin den Beweis sehen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann.

Doch Niemann hat auch Unterstützer: So sagte etwa Schachlegende Garri Kasparow, dass Niemann sehr wahrscheinlich „sauber“ spiele. Viele sehen in Carlsens Verhalten auch eine Trotzreaktion darauf, dass er von einem derart jungen Spieler geschlagen worden ist.