Blasen auf Wasseroberfläche nahe Bornholm
AP/Armed Forces of Denmark
„Nord Stream“-Pipelines

NATO untersucht Gaslecks

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden – derzeit ohnehin nicht für den Gastransport genutzten – „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche geschah später in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“. Im Raum stehen auch gezielte Anschläge – das westliche Militärbündnis NATO untersucht. Die Ukraine macht Russland verantwortlich.

„Die NATO beobachtet die Situation in der Ostsee genau“, sagte ein Vertreter des Bündnisses am Dienstag. Die Bündnispartner seien dabei auch im engen Austausch mit den Ostsee-Anrainern Finnland und Schweden, die zwar einen Mitgliedsantrag gestellt haben, aber noch keine NATO-Mitglieder sind.

Unterdessen sieht Kiew Russland verantwortlich. „Das ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terrorakt und ein Aggressionsakt gegen die EU“, schrieb der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, am Dienstag auf Twitter. Moskau wolle damit die wirtschaftliche Situation in Europa destabilisieren und „Panik vor dem Winter“ erzeugen.

Beide Leitungen binnen eines Tages leckgeschlagen

An einen Zufall zu glauben erscheint schwierig: Innerhalb eines Tages dürften beide deutsch-russischen Gasleitungen durch die Ostsee leckgeschlagen sein. In beiden Röhren der „Nord Stream 1“-Pipeline habe das Kontrollzentrum einen Druckabfall festgestellt, teilte der Leitungsbetreiber in der Nacht auf Dienstag mit. Die Kapazität der Pipeline sei ungeplant auf null gesunken.

Vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur hatte es daraufhin geheißen, man stehe miteinander und mit den betroffenen Behörden im Austausch, um den Sachverhalt aufzuklären. „Aktuell kennen wir die Ursachen für den Druckabfall nicht“, hieß es zu den Problemen an „Nord Stream 1“. Das dürfte sich inzwischen aber geändert haben. Dienstagfrüh gaben die schwedischen Behörden eine Warnung wegen zweier Lecks in schwedischen und dänischen Gewässern aus – jeweils die Pipeline „Nord Stream 1“ betreffend. Auch die dänische Schifffahrtsbehörde warnte vor einem Leck in der Pipeline nordöstlich der Insel Bornholm.

Kampfjets sichten aufsteigende Blasen

Ganz ähnlich hatte sich die Situation bereits am Montag rund um „Nord Stream 2“ entwickelt. In der Nacht auf Montag hatte der Betreiber wegen Druckproblemen an einer der Röhren alle Marinebehörden der Ostsee-Anrainer informiert. Im Verlauf des Tages wurde dann die wahrscheinliche Ursache für den Druckabfall ausfindig gemacht: Südöstlich der Insel Bornholm sei ein Gasleck beobachtet worden, hieß es in einem Hinweis der zuständigen dänischen Behörde. Das Leck sei gefährlich für die Schifffahrt und das Fahren innerhalb eines Bereichs von fünf Seemeilen von der besagten Position verboten.

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden – derzeit ohnehin nicht für den Gastransport genutzten – „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche passierte dann in der Nacht auf Dienstag in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“. Noch läuft die Ursachenforschung. Im Raum stehen auch gezielte Anschläge. Wie die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an „Nord Stream 2“ am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Wie die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an „Nord Stream 2“ am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Das dänische Verteidigungsministerium stellte ein Video auf Twitter. Darauf ist zu sehen, wie in einem Gebiet mit mehreren hundert Metern Durchmesser Gasblasen an die Oberfläche steigen.

Habeck: Attacken als Ursache

Die Ursachen hinter den Lecks sollen nun – aufgrund der Lage am Meeresgrund durchaus erschwerte – Untersuchungen zutage bringen. Nach Einschätzung des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck gehen die Lecks auf gezielte Angriffe zurück. Man wisse inzwischen sicher, „dass sie nicht durch natürliche Vorkommnisse oder Ereignisse oder Materialermüdung entstanden sind, sondern dass es wirklich Attacken auf die Infrastruktur gegeben hat“, sagte der Minister am Dienstag.

„Spiegel“: CIA warnte deutsche Regierung vor Anschlag

Die Vereinigten Staaten haben einem Medienbericht zufolge die deutsche Bundesregierung bereits vor Wochen vor möglichen Anschlägen auf Gaspipelines in der Ostsee gewarnt. Wie der „Spiegel“ berichtet, ging ein entsprechender Hinweis des US-Geheimdienstes CIA im Sommer in Berlin ein. Ein Regierungssprecher wollte dem Magazin zufolge dazu nicht öffentlich Stellung nehmen.

Grafik zur Nord Stream und Gaslecks
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/BBC

Wer hinter dem vermutlichen Sabotageakt stecken könnte, scheint derzeit allerdings nur Gegenstand von Vermutungen zu sein. Laut dem „Tagesspiegel“ könnten sowohl proukrainische Kräfte dafür verantwortlich sein wie auch eine russische Operation. Für die ukrainische Seite könnte es darum gehen, die russisch-deutschen Ostsee-Pipelines als russisches Druckmittel gegenüber dem Westen zu eliminieren. Zugleich würden damit die über Polen laufende Verbindung „Jamal“ und das ukrainische Pipeline-Netz noch wichtiger. Eine russische „False-Flag-Operation“ könnte hingegen zum Ziel haben, im Westen zusätzliche Verunsicherung zu schüren.

Grafik zum Gas-Pipelinenetz in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ENTSOG

Krisensitzungen in Dänemark und Schweden

Das dänische Klima- und Energieministerium forderte ein „höheres Maß an Wachsamkeit im Strom- und Gassektor“. In Dänemark kam der nationale operative Stab zusammen, um den weiteren Umgang mit den Lecks zu erörtern. Das Gremium tritt in Dänemark unter anderem bei größeren Krisen, Katastrophen und Terrorangriffen zusammen und soll in solchen Lagen die Zusammenarbeit der Behörden sicherstellen. Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen sagte, sie könne einen Sabotageakt „nicht ausschließen“.

Auch in Schweden wurde das Krisenmanagement zusammengerufen, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt sind. Zudem seien am Abend virtuelle Treffen mit dänischen Vertretern geplant, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde. Auf die Frage, was genau passiert sei, sagte sie: „Ich möchte nicht darüber spekulieren. Man muss ganz sicher sein, was passiert ist und wie das unsere Sicherheit beeinflusst.“

Kreml: Keine Variante ausgeschlossen

Dienstagvormittag äußerte sich auch der Kreml zu den Vorfällen rund um die beiden Pipelines. Derzeit könne keine Option ausgeschlossen werden, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in einer Telefonkonferenz mit Reportern. Der Kreml sei sehr besorgt und fordere eine „sofortige Untersuchung“, da es sich um eine Frage der Energiesicherheit für den „gesamten Kontinent“ handle.

Nord Stream: Lecks in beiden Pipelines

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden, derzeit nicht für den Gastransport genutzten, „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche passierte dann in der Nacht auf Dienstag in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“.

Laut „Nord Stream 2“-Sprecher Ulrich Lissek sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Von ähnlichen Vorfälle im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines habe er „nie gehört“.

Keine kurzfristigen Folgen für Gasversorgung

Fakt ist: Bereits vor den Druckproblemen floss zuletzt weder durch „Nord Stream 1“ noch durch „Nord Stream 2“ Gas von Russland Richtung Deutschland. „Nord Stream 2“ war infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nie in Betrieb genommen worden. Durch „Nord Stream 1“ hatte der russische Gaskonzern Gasprom die bereits zuvor reduzierten Lieferungen Anfang September ganz gestoppt – mit Verweis auf einen Ölaustritt in einer Kompressorstation. Die EU-Staaten sehen darin nur einen Vorwand.

Die unmittelbaren Folgen der Lecks für die europäische Gasversorgung dürften sich also vorerst in Grenzen halten. So hieß es auch vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Netzagentur, die Speicherstände würden weiter „kontinuierlich“ ansteigen.

Zig Millionen Kubikmeter Gas in Pipelines

Eine andere Frage ist, welche Gefahren für Schifffahrt und Klima von den Lecks ausgehen. Denn auch wenn kein Gas durch die Pipelines fließt, waren sie bisher trotzdem damit gefüllt. Erdgas besteht zu überwiegenden Teilen aus Methan. Dieses ist hochentzündlich. Sollte es zu einer Explosion kommen, könnte das für Schiffe in der Nähe eine Gefahr darstellen – unter anderem deshalb auch die nun erlassenen Warnungen der dänischen und schwedischen Behörden.

Zugleich ist Methan aber auch ein Treibhausgas, das in der Atmosphäre 25-mal stärker wirkt als etwa CO2. Sollten die beiden Pipelines in den kommenden Tagen tatsächlich leerlaufen, dann würden zig Millionen Kubikmeter Gas entweichen. Allein „Nord Stream 2“ war bisher mit 177 Millionen Kubikmetern Gas gefüllt. Das entspricht etwas mehr als zwei Prozent des jährlichen Gasverbrauchs in Österreich.

Tagelanger Gasaustritt erwartet

Der Leiter der dänischen Energiebehörde sagte am Dienstag, er gehe davon aus, dass der Gasaustritt aus „Nord Stream 2“ noch mehrere Tage, wenn nicht sogar eine Woche andauern könne. „Nord Stream 2“-Sprecher Lissek stellte ein Leerlaufen der Pipeline in den Raum.

Zugleich bezeichnete Lissek die Möglichkeiten des Pipelinebetreibers die zur Ursachenforschung als eingeschränkt. Man verfüge kaum noch über Personal, und Gelder seien aufgrund der Sanktionen eingefroren, sagte der Sprecher. In Lubmin, dem Ort, in dem die Pipeline in Deutschland anlandet, ist nach Wissen Lisseks kein Personal der Nord Stream 2 AG. Man könne auch keine Aufträge erteilen, da man diese nicht bezahlen könne, und müsse schauen, woher man nun Informationen erhalte, hieß es weiter.