Blasenbildung an der Wasseroberfläche der Ostsee in der Nähe der dänischen Insel Bornholm
AP/Planet Labs PBC
„Nord Stream“-Pipelines

Auch EU geht von Sabotage aus

Die Europäische Union hält Sabotage als Ursache der Lecks an den Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „2“ für wahrscheinlich und droht mit Gegenmaßnahmen. „Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedsstaaten. Zuvor waren bereits erste Staaten von einem Anschlag ausgegangen.

Laut Borell wird jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur mit einer „robusten Reaktion beantwortet“. Insgesamt drei Lecks waren – nach einem ersten Druckabfall in der Nacht auf Montag – sowohl in einer der Röhren von „Nord Stream 2“ als auch in beiden Röhren von „Nord Stream 1“ entdeckt worden.

Bereits am Dienstag war in Polen, Schweden, Dänemark und Russland ein Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines für denkbar gehalten worden. Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise sprach vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hieß es.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell
AP/Virginia Mayo
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell

Borrell äußerst keinen Verdacht auf Urheber

Borrell nannte in der Erklärung keinen Verdacht, wer hinter einem möglichen Sabotageakt stecken könnte. Der Spanier sagte jedoch, dass man über die Schäden an den Pipelines sehr besorgt sei. „Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an.“ Man werde jede Untersuchung unterstützen, die darauf abziele, Klarheit über die Vorgänge zu erlangen. Zudem werde man Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu machen.

EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf Twitter, die „Sabotageakte“ an „Nord Stream“ schienen ein „weiterer Versuch zu sein, die Energieversorgung der EU zu destabilisieren“. Die Verantwortlichen würden „vollständig zur Verantwortung gezogen“ und müssten dafür „bezahlen“. Ähnlich hatte sich zuvor schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter geäußert.

Kreml weist jede Verantwortung zurück

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete am Mittwoch die Sabotagevorwürfe in seinem täglichen Telefonat mit Journalisten als dumm. Was genau an den Pipelines passiert sei, wisse Russland derzeit auch nicht. Die Vorfälle müssten aufgeklärt werden. Russland habe kein Interesse daran, dass die Pipelines ausfielen, und auch Europa nicht. Wann die Röhren repariert seien, könne er nicht sagen. Zugleich verwies Peskow auf große Gewinne, die US-Firmen mit Gaslieferungen nach Europa machten.

Die dänische Regierung ist besorgt über die Sicherheitslage im gesamten Ostsee-Raum. „Russland hat eine bedeutende militärische Präsenz in der Ostsee-Region, und wir erwarten, dass sie mit ihrem Säbelrasseln weitermachen“, sagte Verteidigungsminister Morten Bodskov nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel.

Stoltenberg geht ebenfalls von „Sabotage“ aus. In dem Gespräch mit Bodskov sei es um „die Sabotage“ der Pipelines gegangen, schrieb der Norweger am Mittwoch auf Twitter. Zudem hätten sie über den Schutz der kritischen Infrastruktur in den NATO-Staaten gesprochen.

Untersuchung lässt auf sich warten

Bodskov sagte in Brüssel, da so viel Gas in den Leitungen sei, könne es eine oder zwei Wochen dauern, bis ausreichend Ruhe in dem Gebiet eingekehrt sei, um die Lecks in etwa 80 Meter Tiefe untersuchen zu können.

„Nord Stream“-Pipelines undicht

Die „Nord Stream“-Pipelines haben einige Lecks, aus denen Gas austritt. Dänemark, Schweden und die Ukraine vermuten, dass Russland dahintersteckt. Die USA hatten vor solchen Sabotageakten bereits gewarnt.

Der Betreiber von „Nord Stream“ 1 schloss eine Reparatur nicht aus. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für solche Arbeiten, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG am Mittwoch der dpa. Bevor ein Vorgehen festgelegt werden könne, müssten allerdings die Schäden begutachtet werden. Es gebe bisher keine Bilder der eigentlichen Lecks. Man wolle die Schäden so schnell wie möglich inspizieren, das setze aber voraus, dass die Behörden die verhängten Sperrzonen aufheben.

Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer weitgehend parallel verlaufenden Pipeline nach eigenen Angaben noch unbekannt. Der Sprecher der Nord Stream AG sagte, es sei „beispiellos“, dass innerhalb kurzer Zeit derartige Schäden an mehreren Leitungen aufgetreten seien.

Mehrere Explosionen

Die dänische Regierung hatte angegeben, dass die Lecks nicht auf einen Unfall zurückzuführen seien. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.

Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden, so Frederiksen. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen, sagte Frederiksen. Es handle sich nicht um einen Angriff auf Dänemark, sagte sie auf eine Frage, ob es sich um eine gegen ihr Land verübte Kriegshandlung handle.

Klima- und Energieminister Dan Jörgensen bestätigte vorherige Angaben von Geologen, dass es am Montag zunächst um 2.03 Uhr eine Explosion an „Nord Stream 2“ südöstlich von Bornholm sowie um 19.03 Uhr eine weitere an „Nord Stream 1“ nordöstlich von der Insel entfernt gegeben habe. Die Gasleitungen lägen tief im Wasser und bestünden aus Stahl und Beton. Die Größe der Lecks deute darauf hin, dass es sich nicht um ein Unglück etwa mit einem Schiffsanker handeln könne.

Schweden vermutet ebenfalls Sabotage

Nach schwedischen Einschätzungen sind die Explosionen ebenfalls auf Sabotage zurückzuführen. Die Informationslage sei noch alles andere als vollständig, aber zwei Explosionen seien identifiziert worden, die drei Lecks verursacht hätten, sagte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz in Stockholm. Basierend auf schwedischen und dänischen Informationen komme man zu dem Schluss, dass es sich vermutlich um eine absichtliche Tat handle. „Es ist also wahrscheinlich eine Frage der Sabotage“, sagte sie.

Grafik zur Nord Stream und Gaslecks
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa/BBC

Während die NATO die „Situation in der Ostsee genau“ beobachtet, sieht Kiew Russland verantwortlich. „Das ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terrorakt und ein Aggressionsakt gegen die EU“, schrieb der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychailo Podoljak, am Dienstag auf Twitter. Moskau wolle damit die wirtschaftliche Situation in Europa destabilisieren und „Panik vor dem Winter“ erzeugen.

Kampfjets sichten aufsteigende Blasen

In der Nacht auf Montag hatte der Betreiber wegen Druckproblemen an einer der Röhren alle Marinebehörden der Ostsee-Anrainer informiert. Im Verlauf des Tages wurde dann die wahrscheinliche Ursache für den Druckabfall ausfindig gemacht: Südöstlich der Insel Bornholm sei ein Gasleck beobachtet worden, hieß es in einem Hinweis der zuständigen dänischen Behörde. Das Leck sei gefährlich für die Schifffahrt und das Fahren innerhalb eines Bereichs von fünf Seemeilen von der besagten Position verboten.

Lecks in beiden „Nord Stream“-Pipelines

Innerhalb von 24 Stunden sind aus den beiden – derzeit ohnehin nicht für den Gastransport genutzten – „Nord Stream“-Pipelines Druckverluste gemeldet worden. Bereits zu Wochenbeginn sackte der Gasdruck in „Nord Stream 2“ ab. Das Gleiche passierte dann in der Nacht auf Dienstag in der bis vor Kurzem noch aktiven Pipeline „Nord Stream 1“.

Wie die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ unter Berufung auf das dänische Militär berichtete, wurde das Leck an „Nord Stream 2“ am Montag von dänischen F-16-Kampfjets entdeckt. Sie wurden von Bornholm aus in die Luft geschickt, um das Gebiet zu fotografieren. Sie hätten dabei entdeckt, dass an einem Punkt südöstlich der Insel Blasen aus dem Wasser aufgestiegen seien.

Das dänische Verteidigungsministerium stellte ein Video auf Twitter. Darauf ist zu sehen, wie in einem Gebiet mit mehreren hundert Metern Durchmesser Gasblasen an die Oberfläche steigen.

Spekulationen über Verursacher und Motive

Wer hinter dem vermutlichen Sabotageakt stecken könnte, blieb bisher jedenfalls Gegenstand von Spekulationen – und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wobei zugleich unklar blieb, was die jeweilige Seite tatsächlich zu gewinnen hätte. Für die ukrainische Seite könnte es darum gehen, die russisch-deutschen Ostsee-Pipelines als russisches Druckmittel gegenüber dem Westen zu eliminieren. Zugleich würden damit die über Polen laufende Verbindung „Jamal“ und das ukrainische Pipelinenetz an Bedeutung gewinnen.

Grafik zum Gas-Pipelinenetz in Europa
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ENTSOG

Allerdings fließt durch die „Jamal“-Pipeline bereits seit dem Frühjahr kein Gas mehr. Und am Mittwoch stellte Gasprom in den Raum, auch durch die Leitungen über ukrainisches Gebiet den Gastransport einzustellen. Das wiederum könnte zu einer russischen „False-Flag-Operation“ passen, die das Ziel hätte, im Westen zusätzliche Verunsicherung zu schüren.

Folgen für Gasversorgung?

Bereits vor den Druckproblemen floss zuletzt weder durch „Nord Stream 1“ noch durch „Nord Stream 2“ Gas von Russland Richtung Deutschland. „Nord Stream 2“ war infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nie in Betrieb genommen worden. Durch „Nord Stream 1“ hatte der russische Gaskonzern Gasprom die bereits zuvor reduzierten Lieferungen Anfang September ganz gestoppt – mit Verweis auf einen Ölaustritt in einer Kompressorstation. Die EU-Staaten sehen darin nur einen Vorwand.

Die unmittelbaren Folgen der Lecks für die europäische Gasversorgung dürften sich also vorerst in Grenzen halten. So hieß es auch vom deutschen Wirtschaftsministerium und der Netzagentur, die Speicherstände würden weiter „kontinuierlich“ ansteigen. Allerdings zog der Gaspreis infolge der Vorfälle im Laufe des Dienstags doch noch merklich an.