Bei den Angriffen vom Mittwoch auf die Kurdengebiete im Grenzgebiet sind laut Behördenangaben mindestens 13 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Eine mit Sprengstoff beladene Drohne habe das Gebäude der Kurdischen Demokratischen Partei des Iran (KDPI) in der Provinz Erbil angegriffen, berichtete die Nachrichtenseite Kurdistan24.net. Die KDPI bestätigte den Angriff bei Twitter. Mindestens neun Drohnen hätten zudem Gebäude der linken Kurdenpartei Komala in der Provinz Sulaimanija angegriffen.
Der Vorsitzende der Kurdischen Freiheitspartei (PAK) sprach außerdem von Drohnen- und Raketenangriffen auf die PAK-Zentrale, wobei in Erbil sechs Menschen ums Leben gekommen seien. Auch die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK) soll angegriffen worden sein. Es waren nicht die ersten Angriffe im Gebiet, laut iranischen Angaben gab es schon in den vergangenen Tagen Attacken auf Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen, wie die Nachrichtenagentur Tasnim bekanntgab.
Weitere Eskalation
Das sei eine „legitime Reaktion“ auf vorherige Angriffe kurdischer Gruppen auf iranische Militärbasen im Grenzgebiet, so Teheran. Der iranische Innenminister Ahmad Wahidi hatte zuvor einigen kurdischen Gruppen vorgeworfen, an den regierungskritischen Protesten der vergangenen Tage im Iran beteiligt zu sein. Angeblich soll es laut Regierung auch kurdische Waffenlieferungen an iranische Demonstranten in den Kurdengebieten gegeben haben.
Die Entwicklung ist eine neue Eskalation wegen der anhaltenden regierungskritischen Proteste im Iran. Auslöser war der weiterhin ungeklärte Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Sie war von der Religionspolizei festgenommen worden, weil ihr Haar zu sehen war. Da Amini kurdische Wurzeln hatte und mit ihrer Familie in der Provinz Kurdistan lebte, gab es besonders in etlichen kurdischen Städten heftige Proteste sowie Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Tochter von Rafsandschani verhaftet
Seit dem Tod Aminis gab es im Iran täglich Proteste, gegen die die Behörden gewaltsam vorgehen. Zur Zahl der Toten und Verhafteten gibt es weiter keine genauen Angaben. Der iranische Staatssender spricht von mehr als 40, andere Quellen von mehr als 70 Toten. Tausende sollen landesweit festgenommen worden sein. Darunter ist seit Mittwoch auch die einflussreiche Tochter von Ex-Präsident Ali-Akbar Haschemi Rafsandschani, Faeseh Haschemi.
Die bekannte Frauenrechtlerin hat nach Tasnim-Angaben versucht, Frauen zur Teilnahme an den Protesten zu motivieren. Das wird im Iran derzeit als Straftat eingestuft. Haschemi gehört schon seit Jahren zu den Kritikern des islamischen Regimes und trat stets gegen den Kopftuchzwang auf, obwohl sie selbst eines trägt. Sie war auch Herausgeberin der Tageszeitung „San“ (Frau), die jedoch wegen ihrer feministischen Ansichten 1999 schließen musste.
Raisi will hart bleiben
Der heutige Präsident des Iran, Ebrahim Raisi, sieht in den Protesten „Verschwörungen der Feinde gegen die iranische Führung, weil sie sich von der Dominanz, dem Einfluss und Fortschritt des Systems bedroht fühlen“, wie er am Mittwoch sagte. Die neue Generation solle über diese Dominanz aufgeklärt werden und – anstatt zu protestieren – stolz auf diese Errungenschaften sein, so Raisi laut dem Webportal des Präsidialamts. Später sagte Raisi, dass der Tod der jungen Frau in Haft alle in der Islamischen Republik „traurig“ gemacht habe, warnte aber, dass „Chaos“ inmitten der sich ausbreitenden gewalttätigen Proteste über den Tod von Amini nicht akzeptiert werde.
In einem Liveinterview des Staatssenders IRIB am Mittwoch stimmte Raisi aber auch versöhnliche Töne an: „Ich habe schon immer gesagt, dass wir unsere Toleranzschwelle bezüglich Kritik und auch Protesten erhöhen sollten.“ Der Weg dahin sei offen, man könne im Land dazu auch Zentren für Diskussionen eröffnen. Auch die Umsetzung der Gesetze könnte reformiert werden, so Raisi. Er ließ aber offen, welche Gesetze revidiert werden könnten und ob auch islamische Gesetze wie das Kopftuchverbot dazugehören.
Polizei kündigt verschärftes Vorgehen an
Die Polizei im Iran kündigte zudem erneut ein verschärftes Vorgehen gegen die Demonstrierenden an. „Heute versuchen die Feinde der Islamischen Republik des Iran und einige Randalierer, die Ordnung, Sicherheit und das Wohlergehen der Nation unter jedem Vorwand zu stören“, so die Polizeiführung am Mittwoch. Die Polizeibeamten würden „sich den Verschwörungen der Konterrevolutionäre und feindlichen Elemente mit aller Kraft entgegenstellen“ und „entschieden gegen diejenigen vorgehen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ im Land störten.
Das Internet im Iran bleibt auch weiter eingeschränkt. Die Beschränkungen seien wegen der „Randale“ angeordnet worden und blieben „solange wie notwendig auch bestehen“, sagte Telekommunikationsminister Issa Sarepur am Mittwoch. Er sei über die wirtschaftlichen Folgen der Internetlimitierungen für die Onlinedienstleistungen zwar informiert, „aber die Schuld liegt bei den Unruhestiftern“, so der Minister laut Nachrichtenagentur ISNA. Außerdem stammten einige der gesperrten Apps aus den USA und seien als Kommunikationsmittel zwischen den Demonstranten eingesetzt und deshalb gesperrt worden.
Besorgnis bei UNO
International ist die Bestürzung über das Vorgehen gegen die Proteste groß, auch in vielen europäischen Städten wurde zuletzt demonstriert. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich nach Angaben eines Sprechers „zunehmend besorgt“ mit Blick auf Berichte über eine steigende Zahl von Todesopfern, „darunter Frauen und Kinder“. Der Generalsekretär fordere die Sicherheitskräfte auf, keine unnötige oder unverhältnismäßige Gewalt anzuwenden.
Die UNO-Frauenorganisation UN Women sagte den Frauen im Iran ihre Unterstützung zu. „Wir fordern die zuständigen Behörden auf, die Ausübung der kompletten Menschenrechte in einem sicheren Umfeld ohne Angst vor Gewalt, Anklage oder Verfolgung zu unterstützen und zu ermöglichen“, hieß es in einer Mitteilung. Die Frauen müssten nach Unrecht protestieren dürfen, ohne Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie hätten das Recht auf körperliche Autonomie, das beinhalte auch die Wahl ihrer Kleidung.
Auch auf europäischer Ebene forderten Ministerinnen ein Ende der Gewalt. Am Mittwoch drückten EU-Ministerinnen und -Staatssekretärinnen aus elf Staaten, darunter EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), ihre „tiefste Empörung“ über Aminis Tod aus. „Es ist unerträglich, dass eine Frau wegen ihrer Kleidung ihr Leben verliert“, betonten sie und forderten das Regime in Teheran auf, die Gewalt zu stoppen sowie eine gründliche Untersuchung der Todesumstände Aminis.
Pahlawis hoffen auf Umwälzung
Der Sohn des 1979 gestürzten letzten Schahs von Persien sieht indes die Vorzeichen für eine Umwälzung. „Es ist meiner Meinung nach die erste Revolution für Frauen, durch Frauen“, sagte der in den USA lebende Resa Pahlawi der Nachrichtenagentur AFP. Die islamische Regierung in Teheran werde mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht mehr lange im Amt sein, der Westen müsse sich darauf vorbereiten, hieß es.
Pahlawis Mutter, Farah Pahlawi, rief zudem den Westen dazu auf, zu helfen. „Der Westen kann ihnen helfen, indem er all die Schrecken erzählt, die im Iran unter diesem Regime passieren“, so die 83-Jährige zum Sender i24News in Paris. „Ich hoffe, dass dieses Regime gestürzt wird.“ Die iranischen Frauen hätten von Anfang an für ihre Freiheiten und ihren Platz in der Gesellschaft gekämpft, sagte sie. „Sie waren wirklich mutig, und es ist das erste Mal, dass wir eine so große Bewegung im Iran und in allen Städten des Iran sehen.“